Union will Steuersenkungen für Geringverdiener: Für mehr Netto
Unionswähler mit niedrigem Einkommen wandern zur Linkspartei ab. Die Union will sie zurückholen - mit einer Steuerreform.
BERLIN taz Gegen Angela Merkel, für niedrigere Steuern - diese Position machen sich zwei einflussreiche Gruppen von Unionsabgeordneten zu eigen. Nachdem bereits die CSU für Steuersenkungen plädiert hat, fordern nun auch die Arbeitnehmergruppe und der Parlamentskreis Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Belastung der Bürger zu verringern. "Mehr Netto vom Brutto" heißt das Ziel. Schon zum 1. Januar 2009 soll es umgesetzt werden.
In ihrem an die Fraktionsführung gerichteten Brief vom 8. Mai, der der taz vorliegt, argumentieren die Abgeordneten mit den Wahlerfolgen der Linkspartei im Westen. Für Leute mit niedrigen und mittleren Einkommen nehme "die Attraktivität der Linken zu". 44.000 ehemalige Unionswähler seien bei den jüngsten Landtagswahlen in Hessen und in Niedersachsen zur Linken gewechselt. Diesen Bürgern wollen die Unionsabgeordneten ein Angebot für "mehr Gerechtigkeit und Systematik im Steuerrecht" machen.
Formal gehören den beiden Gruppierungen etwa 190 Parlamentarier der C-Parteien an. Insgesamt hat die Union 223 Sitze im Bundestag. Unterschrieben haben den Brief freilich nur die beiden Vorsitzenden der Gruppierungen, Gerald Weiß und Michael Fuchs, sowie ihre Stellvertreter. Aus dem Schreiben solle man deshalb nicht schließen, dass die Mehrheit der Fraktion für Steuersenkungen plädiere, sagte der finanzpolitische Sprecher der Union, Otto Bernhard, der taz. Zwei Drittel der Fraktion würden noch die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützen, zunächst einen Bundeshaushalt ohne Schulden zu beschließen und erst danach über weitere Steuersenkungen zu reden. "Aber der politische Druck nimmt zu", sagte Bernhard.
In ihrem Brief schlagen Weiß und Fuchs vor, "dass noch zum 1. 1. 2009 der Grundfreibetrag heraufgesetzt wird". Bislang muss keine Steuern auf sein Einkommen zahlen, wer bis zu 7.664 Euro pro Jahr verdient. Die Anhebung des Freibetrags würde denen nützen, die sehr geringe Löhne erhalten. Eine konkrete Zahl wird in dem Brief aber nicht genannt.
Außerdem wollen die Abgeordneten etwas gegen die "kalte Progression" tun. Dieses Phänomen beschäftigt die Republik seit ein paar Monaten und diente auch der CSU als Begründung für ihre jüngste Forderung nach Steuersenkung. Der Hintergrund: Durch die normalen Lohnerhöhungen rutschen die Beschäftigten in höhere Steuerklassen und zahlen prozentual mehr Steuern. 2006 und 2007 seien die Bruttolöhne um 43 Milliarden Euro gestiegen, heißt es in dem Brief, aber nur "17 Milliarden Euro sind bei den Arbeitnehmern angekommen". Diese "heimliche Steuererhöhung" wollen die Unionsabgeordneten rückgängig machen.
Der Finanzpolitiker Bernhard hält diese Forderung für gefährlich. "Dann kann man den ganzen Haushalt wegschmeißen", sagt er. Sein Argument: Wenn die Ausgaben des Staats mit der Inflation steigen, indem etwa die Beamten und öffentlichen Angestellten mehr Lohn erhalten, dann müssten auch die Staatseinnahmen zunehmen, sonst würde ja das Defizit immer größer. Bernhard steht hinter Merkels Position, bis 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden aufzustellen.
Dieser Meinung ist auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). Allerdings bröckelt die Front der Haushaltssanierer. SPD-Chef Kurt Beck deutete in der vorigen Woche die Möglichkeit von Steuersenkungen an, nachdem die CSU in die Offensive gegangen war. Die Christsozialen, die sich im Herbst einer Landtagswahl stellen müssen, plädieren ebenfalls für einen höheren Grundfreibetrag. Außerdem verlangen sie eine abgemilderte Progression, um die mittleren Einkommen zu entlasten. Schließlich soll auch der Spitzensteuersatz später greifen. Heute zahlen den höchsten Steuersatz bereits diejenigen, die 4.300 Euro im Monat verdienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland