Union nach Kauder-Abwahl: Tun, als sei nichts gewesen
Die Union ist im Krisenmodus. Anmerken lassen wollte sie sich das am Tag nach der Aufregung um die Abwahl von Fraktionschef Kauder allerdings nicht.
Durch ihre Abwesenheit entging Merkel der Unannehmlichkeit, persönlich auf lästige Fragen der Opposition nach ihrer politischen Zukunft antworten zu müssen. Bereits unmittelbar nach der überraschenden Niederlage ihres Vertrauten Volker Kauder bei der Wahl zum Unionsfraktionschef hatten sowohl FDP-Chef Christian Lindner als auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bereits am Dienstagabend von der Kanzlerin gefordert, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.
Die Absage an dieses Begehren ließ Merkel am Mittwoch von Regierungssprecher Steffen Seibert übermitteln. „Ein ganz klares Nein“, antwortete er am Mittwoch auf eine entsprechende Frage in der Bundespressekonferenz. Seine Vorgesetzte hege keinen entsprechenden Gedanken. „Die Bundeskanzlerin ist wie jeden Tag mit aller Kraft an der Arbeit für die Ziele dieser Bundesregierung und für eine Politik, die den Bürgern zugute kommt“, versuchte sich Seibert an der Simulation von Normalität.
Am späten Dienstagnachmittag hatte sich Kauder nach dreizehn Jahren als Fraktionschef überraschend mit 112 gegen 125 Stimmen seinem Herausforderer Brinkhaus geschlagen geben müssen. Seitdem ist die Union in Aufregung, will sich jedoch nichts anmerken lassen. Allen voran der siegreiche Brinkhaus versichert unablässig, seine Wahl sei nicht als Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin und CDU-Chefin zu verstehen. „Eins ist klar: Die Fraktion steht ganz fest hinter Angela Merkel“, sagte der 50-jährige Ostwestfale noch am Abend nach seiner Wahl. Zwischen ihr und ihm passe „kein Blatt Papier“.
Führungsriege hat Gefühl für die Stimmung verloren
Gleichwohl lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, dass die gescheiterte Wiederwahl Kauders eine herbe Niederlage Merkels ist. Allerdings es wäre zu einfach, den Aufstand gegen ihn so zu interpretieren, als habe er einzig ihr gegolten. Die Wahl seines Gegenkandidaten zeigt vielmehr, wie sehr die gesamte Führungsriege von CDU und CSU das Gefühl für die Stimmung in der Unionsfraktion verloren hat. Deren Unzufriedenheit war eigentlich seit dem schwachen Abschneiden bei der Bundestagswahl unübersehbar, der Ruf nach einer wie auch immer gearteten „Erneuerung“ unüberhörbar. Aber er wurde nicht gehört.
Dass Kauder bei seiner letzten Wiederwahl im Herbst vergangenen Jahres ohne Gegenkandidaten bereits nur noch 77 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, war ein mehr als deutliches Warnsignal, das jedoch tapfer ignoriert wurde. Nun hat sich der Unmut in einem antiautoritäres Aufbegehren der Hinterbänkler gegen die Unionsnomenklatura entladen. Nicht unterschätzt werden sollte dabei, der Beitrag, den Kauder selbst mit seinem autokratischen Führungsstil zu seiner Ablösung geleistet hat.
Letztlich könnte jedoch die Causa Maaßen den Ausschlag gegeben haben. „Für manchen Abgeordneten hat der Umgang der drei Parteivorsitzenden mit dem Fall Maaßen das Fass zum Überlaufen gebracht“, zeigte sich der Generalsekretär der NRW-CDU, Josef Hovenjürgen, gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger überzeugt. Da könnte er nicht falsch liegen.
Auffällig ist jedenfalls, dass die Wahl von Brinkhaus quer zu den Frontlinien der vergangenen Monate liegt. Denn es stimmt zwar, dass sich Merkel in der Fraktionssitzung am Dienstag für ihre Verhältnisse geradezu leidenschaftlich für ihren treuen Knappen Kauder eingesetzt hat. Doch auch Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt standen hinter seiner erneuten Kandidatur. Deren Scheitern belegt also nicht nur Merkels, sondern auch ihren Autoritätsverlust.
Kein „Erdbeben“
Nun ist kollektive Schadensbegrenzung angesagt. Das Ergebnis der Fraktionswahl sei kein „Erdbeben“, beteuerte CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer. „Es war eine ganz normale Abstimmung, die fair und demokratisch ausgetragen wurde.“
Entschieden widersprachen die beiden stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Volker Bouffier und Armin Laschet am Mittwoch dem Eindruck, Kauders Scheitern bedeute eine weitreichende Schwächung Merkels. „Ich bin sicher, wenn sie gestern die Vertrauensfrage gestellt hätte, wäre das ein ganz dickes Ergebnis geworden“, sagte der hessische Ministerpräsident Bouffier. „Sie hat das Vertrauen der Fraktion“, sagte sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Laschet. Lediglich in der Frage des Fraktionsvorsitzes habe es einen Wunsch nach Veränderung gegeben.
Doch trotz aller Beschwichtigungen: Die Union bleibt im Krisenmodus.
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