: Uni-Streik: Naturwissenschaften besetzt
■ Hochschullehrer müssen im NW 2 seit gestern draußen bleiben / Alle 40 Eingänge verrammelt / Professoren führten sich zum Teil wie „Rumpelstilzchen“ auf und würden am liebsten „den Kammerjäger gegen den Pöbel“ holen
Seit gestern morgen, sechs Uhr, ist das Naturwissenschaftliche Gebäude II der Bremer Universität für Professoren geschlossen. Schon im Morgengrauen hatten sich ca. 60 bis 70 Biologie- und Chemie-StudentInnen auf den Weg gemacht, statt ihrer Fachbücher und Vorlesungs-Skripte allerdings Ketten, Vorhängeschlösser und Holzlatten mitgebracht.
Kurz nach sechs waren alle Haupt-, Neben- und Notausgänge verriegelt. „Für Profesoren heute geschlossen“, stand am Haupteingang schräg gegenüber der Mensa. Während StudentInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Verwaltungsangestellten jederzeit gerne der Zutritt ermöglicht wurde, sorgte eine im Schichtdienst organsierte Türwache während des ganzen Tages per Gesichtskontrolle dafür, daß die Hochschullehrer sich weitgehend an die Empfehlung ihrer StudentInnen hielten. Nur einer Minderheit der Professoren lag ihr gestriger Arbeitstag derart am Herzen, daß sie sich über Feuerleitern oder mit unwirschen Handgreiflichkeiten oder dem
Einsatz heißen Kaffees als Wurfgeschoß den Weg ins Büro vorbei an den Streikposten bahnten. Zu ihnen gehörten der Chemiker und Fachbereichssprecher Wolf-Dieter Stohrer ebenso wie die Professorenkollegen Hans Flohr und Dieter Leibfritz. Leibfritz, der durch Prüfungen gefallene StudentInnen gern als „Abfall“ bezeichnet, fand die glücklich erreichte Tür seines Büros dafür in unkonventionell verschönerter Form vor: „Dikatator“ und „Ich bin rein, mein Herz ist klein“ hatte ihm ein Aktionskomitee zur farblichen Aufwertung des Gebäudes an die Tür gesprüht. Auf die Tür des Fachbereichssprechers hatten die StudentInnen gemalt: „Während Stohrer noch regiert, wird sein Sturz schon diskutiert.“
Auch die Mehrheit der verdutzten Bremer Biologie- und Chemie-StudentInnen erfuhr erst angesichts der verrammelten Türen von der Besetzungs-Aktion ihrer KommilitonInnen. Eine erste Vollversammlung um 10 Uhr stimmte der Aktion jedoch mehrheitlich zu und beschloß gleichzeitig, die Besetzung aufrecht zu
erhalten, bis vier Minimalfor derungen der Studenten des Fachbereichs erfüllt sind: Erstens soll der Fachbereichs-Entwurf für eine rigide Diplomprüfungsord
nung zurückgenommen werden. Zweitens soll die Universität mehr Plätze für Praktika zur Verfügung stellen. Für die angehenden LehrerInnen unter den Che
mie- und Biologie-StudentInnen soll die Universität mehr Didaktiker einstellen. Außerdem fordern die StudentInnen die Besetzung einer bereits ausgeschriebenen
Hochschullehrer-Stelle mit einer Frau.
Über alle vier Forderungen verhandelte gestern nachmittag Uni-Rektor Jürgen Timm erstmals mit den BesetzerInnen. Gleichzeitig forderte Timm die Besetzer auf, zumindest die Fluchtwege wieder frei zu machen.
Für die gleiche Bitte erhielten die Haustechniker des NW 2 sogar Beifall, nachdem sie ihre grundsätzliche Solidarität mit den streikenden StudentInnen erklärt und sich darüber lustig gemacht hatten, daß einzelne Hochschullehrer sich vor den verschlossenen Türen „wie Rumpelstilzchen“ aufgeführt hätten.
Denen schwebte gestern z.T. eine ganz andere End-Lösung des Konflikts vor. Kopfschüttelnd verständigten sich die Professoren Flohr und Montforts bei einem Rundgang durch das besetzte Gebäude darüber, wie sie „mit dem Pöbel“ umgehen würden: „Ich würde den Kammerjäger holen lassen.“ „Ja, und dann den ganz Laden gründlich desinfizieren“.
K.S.
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