■ Uni-Streik: Die Trägheit und Provinzialität der Hochschullehrer, ihr Festklammern an Feudalprivilegien, ist eine Ursache der Bildungsmisere: Sprengt die Macht der Professoren!
Die bildungspolitische Rede von Bundespräsident Roman Herzog hat mit den Streiks an den Universitäten einen Stein ins Rollen gebracht. Zigtausend Studierende protestieren. Doch auf der Straße fehlt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine Gruppe – die Professoren, die 1968 als Studenten auf die Barrikaden gingen? Herzog forderte zu Recht, die bürokratischen Fesseln zu sprengen. Doch was tut die Universität, was tun die Hochschullehrer selbst zur Verbesserung der Lehre?
Natürlich hofft man auf Abhilfe durch Geld und einer Reform der Makrostrukturen. Aber warum wird in Deutschland nur nach neuen gesetzlichen Rahmen gerufen? Und warum haben sich gerade die Professoren nicht aus der Beamtenlethargie befreit und sind nicht schon lange gegen die untragbaren Zustände vorgegangen? Haben sie sich ernsthaft überlegt, wo eingespart, wo innerhalb des Status quo reformiert, wo die Lehre und die persönliche Betreuung effizienter gehandhabt werden könnten? Wie viele deutsche Professoren sind auch heute noch Computer-Analphabeten, ohne E-Mail, und diktieren statt dessen ihre Briefe der Sekretärin?
In Nordamerika ging das bereits vor 15 Jahren zu Ende. Eigene, auch teilzeitliche Sekretärinnen haben die Professoren längst nicht mehr. Die Bibliotheken sind zentral und hochtechnisiert, um Bibliothekskräfte einzusparen und Duplizierungen zu vermeiden. Warum haben die deutschen Professoren nicht schon längst für sich selbst Leistungskontrollen eingeführt, in Forschung wie in der Lehre? Wie viele deutsche Professoren leisten es sich, jahrelang nichts zu produzieren, keinen wissenschaftlichen Aufsatz, kein Buch, kein eigenes Forschungsprojekt? In Nordamerika oder Großbritannien wären diese Leute schon längst aus der Universität geflogen. Warum gehen sie nicht energischer gegen den byzantinischen akademischen Verwaltungsapparat an?
Die Feudalprivilegien, die sie haben, schaffen Dünkel und mindern Selbstkritik, auch wenn es sicher hervorragende Ausnahmen gibt – die nur beweisen, daß es ja auch anders gehen könnte. Die innere Schwäche der heutigen Professorenschaft zeigt sich an vielen Beispielen. Ich denke an ihre mangelnde Internationalität: Universitäten in Nordamerika, um internationale Kontakte für ihre Professoren und Studenten bemüht, müssen in Deutschland förmlich um Kontakte betteln. Ausländische Austauschstudenten beklagen sich regelmäßig über das Desinteresse der deutschen Hochschullehrer an ihrer Arbeit; ihnen wird das Studium an deutschen Universitäten gründlich verleidet, und das große kulturelle und wirtschaftliche Potential dieser Kontakte wird hier noch immer nicht verstanden. Der Wunsch von Innenminister Kanther, den ausländischen Studierenden das Leben noch schwerer zu machen, paßt hier ins Bild.
Ein besonders eindringliches Beispiel der Mentalität deutscher Professoren zeigte sich zu Beginn der 90er Jahre. Westdeutsche Professoren zerschlugen in den Struktur- und Berufungskommissionen das DDR-Hochschulsystem, um dort kranke westdeutsche Klone zu schaffen. Einer, der das Westmodell in den Osten übertragen half, der Soziologe Wolfgang Schluchter, der sehr wohl wußte, daß die West-Unis „reformbedürftig“ waren, behauptet, es habe keine Alternative gegeben: „Übertragung und Reform in einem, das war einfach zuviel. Dafür waren die Fristen zu kurz, die Finanzspielräume zu eng.“ Wir können dankbar sein, daß Schluchter kein Automechaniker ist und mir nach Explosion meines Wagens erklären würde: „Ich hätte ihn ja gerne besser repariert, aber leider war die Frist zu kurz.“
Mit der Vereinigung bestand die große Chance, ein neues System aufzubauen – oder aber zumindest einige Reformen, selbst innerhalb des westdeutschen Hochschulrahmengesetzes, zu wagen. Vieles am Hochschulsystem der DDR wäre nachahmenswert gewesen: das Studium war straffer, Studierende arbeiteten in Jahrgangskohorten zusammen, im Lehrkörper waren Frauen besser vertreten. Der Mittelbau entsprach eher nordamerikanischen Assistenzprofessoren als westdeutschen Assistenten, er war also intensiver – und kostengünstig – in die Lehre eingebunden, was auch die mustergültige Betreuung dort erklärt.
All dies kümmerte die Westprofessoren nicht. Erst einmal wurden, wo immer möglich, die Ostprofessoren ins Aus befördert und östliche Reformbestrebungen kaputtgemacht. Es war ein internationales Gesprächsthema, daß selbst noch die Ostmathematiker von westdeutschen Kommissionen überprüft wurden, um sie durch die eigene Westklientel zu ersetzen. Diese war freilich männlich, und somit wurde die Zahl der Frauen unter den Hochschullehrern auf nahe null gesenkt. Auch wurden die konventionellsten wissenschaftlichen Paradigmen der einzelnen Disziplinen fraglos vom Westen in den Osten übertragen. In der Zeit des Übergangs boten renommierte internationale Wissenschaftler ihre Hilfe beim Aufbau an; sie wurden ignoriert. Schließlich ging es um die eigenen Pfründen. Von der Internationalität, der Bereitschaft zu Experimenten keine Spur. Mit wenigen Ausnahmen wurde mit den Westprofessoren deren Provinzialität auch im Osten etabliert.
Vieles an der augenblicklichen Hochschulmisere könnte in Eigeninitiative geändert werden: Assistenten ließen sich als jüngere gleichberechtigte Kollegen voll in den Lehrbetrieb integrieren, statt immer noch für „ihren“ Professor dessen Seminare oder subalterne Aufgaben zu übernehmen. Sie sollten selbständig Forschungsgelder beantragen können, nicht einen Professor darum bitten müssen. Und wenn selbst an Harvard graduierte Studenten prinzipiell Lehraufgaben übernehmen, muß das auch in Deutschland möglich sein. Gleichzeitig ist es unsinnig in vielen Fächern, Studierende in bis zu 20 Semesterwochenstunden zu schicken. Wer soll da noch Zeit haben zur Lektüre und zu Hausarbeiten? In Toronto kommen wir mit acht Semesterwochenstunden aus und können deshalb erwarten, daß pro Seminar von Woche zu Woche ein Buch oder eine Reihe von Artikeln gelesen werden. Die Betreuungssituation könnte sich also hier mit wenigen Mitteln drastisch ändern. Mehr Geld ist gewiß vonnöten, aber vieles ließe sich auch im Kleinen tun. Herzog hat recht: wir müssen die bürokratischen Fesseln sprengen, doch auch die Mentalität der heutigen, gutbezahlten, verbeamteten Professorenschaft ist eine Fessel. Wir sollten sie nicht länger akzeptieren. Michal Bodemann
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