: Ungutes Wachstum
UK-Rap ist nun Garant für Mainstreamerfolge am globalen Musikmarkt. Erfolg hat seinen Preis, wie sich am beliebigen Sound des Londoners Central Cee nachvollziehen lässt
Von Victor Efevberha
Eine surreale Szene, vor wenigen Wochen: Im brechend vollen Velodrom – einer der größten Hallen Berlins – leuchtet ein Meer aus Smartphonetaschenlampen. Grund dafür: das Konzert des britischen Rappers Central Cee (bürgerlich Oakley Caesar-Su). Sein Publikum rappt Zeilen von Central Cees Hits wie „Doja“ und „Sprinter“ textsicher mit. Ähnliches wird sich auch auf seinen Konzerten in Hamburg und Paris zutragen. Gemessen an Streamingzahlen und verkauften Tickets, ist Central Cee einer der erfolgreichsten britischen Rapper aller Zeiten. Erst kürzlich veröffentlichte der 26-Jährige das Album „Can’t Rush Greatness“. Mit dabei auch US-Rap-Schwergewichte wie Lil Durk und 21 Savage.
Central Cee wird sogar in den USA – wo Rap vom kleinen britischen Bruder immer belächelt wurde – als Aushängeschild für UK-Rap gefeiert. Ironischerweise, gerade weil das Album nach US-Rap mit leichter britischer Färbung klingt. Der Titel „Can’t Rush Greatness“ verspricht viel, der Sound dagegen klingt beliebig: hochpolierte Beats, Streaming-kompatible Refrains, global verständliche Straßen-Attitüde. So urteilte das renommierte Online-Musikmagazin Pitchfork in seiner Kritik und sprach sogar von einem für den internationalen Markt optimierten Sound.
Dabei war britischer Rap einstmals etwas anderes: eigenständig, wild und roh. Doch bevor BritHop seine atypische Entwicklung nahm, eiferten die Rapper:innen von der Insel ihren US-Kolleg:innen nach. Vor allem in den späten 1980ern als sich so etwas wie eine HipHop-Szene in England entwickelte, vor allem in London, Birmingham und Nottingham. Britische Rapper lehnten ihren Sound eng an den US-Stil an und übernahmen teilweise den Slang aus New York eins zu eins.
UK-Rap-Pioniere wie etwa Caveman aus High Wicombe konnten der Starpower aus den USA wenig entgegenhalten und wurden sogar aus dem regionalen Markt gedrängt. Majorlabels verloren schnell das Interesse an heimischen Künstler:Innen und britische Rapfans besuchten eher Konzerte von US-Stars wie Run DMC. Erst gegen Ende der 1980er kam etwas wie eine eigene Prägung auf, durch den Umweg über jamaikanische Dancehall, Toasting und Crews wie London Posse. Mitglied Rodney P erinnerte sich an eine USA-Reise, die den Sound der Gruppe prägte: „Wir waren damals in New York. Erst dort wurde ich auf meine Wurzeln gestoßen: Ich bin nun mal Engländer und spreche Englisch mit Cockneydialekt.“ Man fühlt sich fast an Damon Albarn erinnert, der behauptete, Blur habe Britpop als Antwort auf US-Grunge erfunden.
London Posse kombinierten jamaikanisches MCing mit Londoner Straßenslang und verhandelten in ihren Songs eher spielerisch ihre britische Herkunft und Verwurzelung in einem Londoner Viertel: „The Yanks said I sound Australian“, rappte Rodney P im Song „How’s Life in London“ (1993). Trotzdem verlagerte sich die UK-Rap-Szene in den Untergrund. Wo es noch fast bis in die nuller Jahre dauern sollte, als in England ein eigenständiges Rap-Genre entstand, dass wohl zu den wichtigsten musikalischen Entwicklungen des Landes gehört. Die Rede ist von Grime: einer Mischung aus Garagehouse, Dubstep und Jungle Breakbeats über die dann gerappt wird. Ein Youtube-Video sorgte 2003 für den ersten viralen Moment von Grime, lange bevor der Genrebegriff für die Beschreibung des Sounds relevant wurde.
Ein stickiges Studio, zwei MCs, die aggressiv über einen rasanten 140-bpm-Beat um die Wette rappten. Grime geht sparsam mit seinen Zutaten um, steckt dennoch voller Dringlichkeit. Es ist ein komplett anderes Szenario als die Mainstreambespaßung beim Konzert von Central Cee in Berlin. Die beiden MCs sind Dizzee Rascal und Crazy Titch. Ersterer sollte zum Star der Grime-Szene werden, der auch über Großbritanniens Grenzen hinaus bekannt wurde. Sein Album „Boy in da Corner“ (2003) gilt als Blaupause für das Genre und gab britischem Rap seine Klangsignatur, losgelöst vom US-Sound. In der taz-Kritik zum Album hieß es damals gar, Dizzee Rascal habe „britischen HipHop neuerfunden.“
Weitere britische Künstler eroberten sich den Markt zurück, der lange von US-Rapper:innen beherrscht wurde. Bald war es hip, dass britische Kids auf Konzerte von Wiley, Skepta oder The Streets strömten. Binnen zehn Jahren kam UK-Drill: Kompromisslos und düster klingt diese Spielart. Zunächst angelehnt an den Footworksound der Dancefloormetropole Chicago, ging der britische Ableger klanglich eigene Wege und fand bald Nachahmer:innen weltweit. Sogar in den USA. Mit dem bitteren Beigeschmack, dass UK-Drill auch zum Soundtrack einer Messerattacken-Welle unter Jugendlichen avancierte, die Großbritannien seit langem heimsucht.
Eine friedliche Entwicklungshilfe für Brit-Rap stiftete dagegen der kanadische Superstar Drake, der seit 2015 mit britischen Kollegen wie Skepta zusammenarbeitet. Parallel dazu speiste die TV-Serie „Top Boy“ britische Gangkultur via Netflix in den globalen Mainstream ein. Inzwischen gehört zumindest eine Handvoll Rapper:innen aus Großbritannien zum internationalen Mainstream: Skepta, Dave, Stormzy oder eben Central Cee. Ihr Weg führte von stickigen Piratenradiosendern ins ausverkaufte Velodrom in Berlin. Britischer Rap klopft an der Weltspitze an – nur klingt er dabei leider immer weniger nach sich selbst.
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