Ungleiche Bildungschancen: „Die Gruppen driften sozial auseinander“
Immer mehr Jugendliche wollen Abitur machen. Schulen sollten alle Abschlüsse unter einem Dach bündeln, meint der Erziehungswissenschaftler Ulf Preuss-Lausitz.
taz: Herr Preuss-Lausitz, viele Gesamtschulen suchen ihre Schüler zunehmend nach Leistung aus. Verraten die Gesamtschulen ihre Ideale?
Ulf Preuss-Lausitz: Gesamtschulen waren immer so konzipiert, dass eine Drittelung der Schülerschaft mit Haupt-, Realschüler und Gymnasiasten das Ziel war. Dieses ist aber selten erreicht worden.
Viele Länder etablieren neben Gymnasien auch verschiedene Formen von Gesamtschulen. Wird es Verliererschulen geben?
Attraktiv werden Gesamtschulen erst dann, wenn sie einen eigenen Weg zum Abitur anbieten. Alle Schulen, die keine Oberstufe haben, sind in diesem Wettbewerb in einer schlechten Situation. Häufig sind sie Schulen, in denen sich die Probleme ballen. Ich halte überhaupt nichts von fünf alternativen Schulformen wie in NRW. Besser ist es, alle Angebote in einer Schulform zu bündeln.
Immer mehr Jugendliche wollen Abitur machen. Davon profitieren doch vor allem die Gymnasien?
Davon profitieren nicht nur Gymnasien, sondern auch Schulen, die das Abitur als Alternative anbieten. Die Entwicklung zum zweigliedrigen System ist dann interessant, wenn diese zweite Säule entweder die Berufsausbildung, das Abitur oder gar beides anbietet.
Gymnasien konzentrieren sich nur auf die leistungsstarken Schüler. Sie selbst haben einst davor gewarnt, Gesamtschulen parallel zu Gymnasien zu gründen. Haben sich Ihre Befürchtungen nicht bestätigt?
Nein, die Befürchtung ist nach wie vor berechtigt: Die Bevölkerungsgruppen driften sozial auseinander, und das Gymnasium spielt dabei eine große Rolle. Besonders wenn man zulässt, dass die Gymnasien leistungsschwächere Schüler auf andere Schulen abschieben. Aber ich bin Realist: Das Gymnasium wird es in den nächsten Jahren weiterhin geben, aber man muss es stärker pädagogisieren.
Was heißt das?
Das Gymnasium muss sich stärker um Schüler in Leistungskrisen kümmern. Man muss eine Kultur des Behaltens auch im Gymnasium etablieren. Auch das Gymnasium muss sich für Inklusion öffnen. Hier könnten Gesamtschulerfahrungen eine wichtige Hilfe sein.
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