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Ungewohnt verknüpfte ErzählungenStell dir vor, dein Körper ist von Fell umhüllt

Autorin Regina Dürig erzählt in ihrem Erzählungsband „Frauen und Steine“ von Bildhauerinnen und Wissenschaftlerinnen. Selbst Sexpuppen kommen vor.

Als Symptom einer Krankheit aufgefasst: Camille Claudels Bedürfnis, Leben aus Stein zu schaffen Foto: Philippe Ledru/akg images

Das Steinsein, das lässt sich mitnehmen aus diesen sprachlich virtuosen Erzählungen, wäre wohl bedeutend einfacher als das Menschsein. Oder als das Frausein. Aber um spezifisch weiblich gefühlte Körperlichkeit geht es gar nicht so sehr in diesen Erzählungen, die nicht einfach zufällig in einem Buch vereint sind, sondern sämtlich Bezug nehmen auf das im Titel genannte Thema, wie lose auch immer.

Die Formulierung „Frauen und Steine“ ist ja schon ziemlich weit gefasst. Die Autorin umrahmt den Band mit zwei Erzählungen, in denen es sehr explizit um Frauen und Steine geht, noch genauer um das Bemühen von Frauen, Steine zum Leben zu erwecken.

In der Eingangserzählung „Fragmente“ reflektiert ein Erzählerinnen-Ich die eigenen, laienhaften Erfahrungen mit mineralischer Materie in einem Bildhauer-Kurs („jetzt sind die Muskeln müde. Ich sage: Meine Arme sind halt nur das Halten eines Stifts gewohnt“).

In der letzten, langen Erzählung „Landschaft ohne Wolf“ spricht die in eine psychiatrische Anstalt eingewiesene Bildhauerin Camille Claudel in einem langen (inneren) Monolog mit einer gewissen Jessie (die Bildhauerin Jessie Lipscomb war eine enge Freundin Claudels). Ihr Bedürfnis, Leben aus Stein zu schaffen, glaubt Camille nicht mehr ausleben zu dürfen, da dies als Symptom ihrer Krankheit aufgefasst würde: „… wenn meine Hände auch nur eine einzige Gestalt hervortreten lassen, werden sie beharren darauf, dass ich noch immer nicht auskuriert, dass noch immer Wille ist in mir.“

Das Buch

Regina Dürig: „Frauen und Steine. Erzählungen“. Droschl Verlag, Graz 2025, 200 Seiten, 24 Euro

Die Recherche wird Teil der Erzählung

Neben Claudels tragischem Schicksalsmonolog gibt es im Band eine weitere Lebenserzählung über eine (etwas weniger) prominente Frau: Die US-amerikanische Altphilologin Alice Kober leistete in den vierziger Jahren Bahnbrechendes bei der Entzifferung eines antiken Schriftsystems, das als Linearschrift B in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist. Die aufwendige Recherche, die Regina Dürig für diese längere Erzählung unternommen hat – Reisen, Bibliotheksbesuche, Archivrecherchen –, geht ebenso in den Text ein wie fiktionale Passagen, in denen die Autorin Szenen in Kobers wissenschaftlichem Umfeld oder aus dem weitgehend unbekannten Privatleben der Forscherin imaginiert.

Dass der Schlusssatz dieser Erzählung lautet „Der Schlaf traf sie wie ein Stein“, darf wohl als ironisch-pflichtschuldige Anspielung an den Titel des Bandes verstanden werden. Denn die Schrift, die Alice Kober untersuchte, war nicht auf Stein, sondern auf Tontäfelchen geschrieben worden.

Unter dem losen Label seines Titels versammelt der Band eine erstaunliche textliche Formenvielfalt. Es wirkt fast so, als habe die Autorin sich selbst eine breit auslegbare Spielanleitung gegeben, die der schreibenden Kreativität Ankerpunkte für Assoziationen bietet, ohne durch überflüssiges Regelwerk einzuengen. (Sicher nicht zufällig ist Regina Dürig Dozentin für kreatives Schreiben.)

Der Weg ist hier das Ziel; es geht um die vielfältigen poetischen Ausdeutungs- und Ausformungsmöglichkeiten, die sich aus dem Zusammenwirken der Titelbegriffe ergeben. „Frauen“ und „Steine“ sind als Gegensatzpaar ebenso gut vorstellbar wie als ineinander verschmelzende Einheit. Der Assoziationsraum ufert weit und in unterschiedlichen Gestalten aus.

Ein Kind, das von seinen vielbeschäftigten Eltern nie beachtet wird, verwandelt erst sich selbst und dann die gesamte Familie in Steine

Mit „Asteria, nach ihr selbst“ ist ein Langgedicht in die Mitte des Bandes platziert. „Um den heißen Brei“ imitiert die Dia­logform eines Podcasts. „Abgeschiedenheit. Übungen“ ist eine poetische Parodie auf Anleitungen zur Achtsamkeit: Auf jeder Seite stehen nur wenige Zeilen Text – mensch kann das als Einladung verstehen, den papierenen Weißraum zum „Üben“ zu verwenden, so zum Beispiel: „Stelle dir vor, dein Körper ist von Fell umhüllt. Wen würdest du bitten, es zu striegeln?“

Die Erzählung „Ellipse in der Dämmerung“ umfasst eine sanft surrealistische Rahmenhandlung und eine Binnenerzählung, in der ein Kind, das von seinen vielbeschäftigten Eltern nie beachtet wird, erst sich selbst und dann die gesamte Familie in Steine verwandelt.

Und eigentlich ist es kaum zu glauben, dass die Texte in „Katalog der Frauen“, einer Montage von Beschreibungen lebensgroßer Lovedolls, die von ihren Besitzern zum Verkauf angeboten werden, von einer realen Website „annähernd unverändert“ übernommen worden sein sollen, wie die Autorin in einer Nachbemerkung schreibt. „Ich bin zwar Raucher, aber ich habe aus Respekt nicht vor ihr geraucht und sie nie mit ungewaschenen Händen angefasst.“ Oder: „Für 100 € gebe ich noch einen zusätzlichen Kopf dazu.“

Wer würde denken, dass so viel absurde Komik in so kläglichen Gelüsten stecken kann? Bedeutung und Wirkung von Sprache ist eben immer auch eine Frage der Rahmung. Das und noch viel mehr wäre hier mit viel Stil, Witz und Sprachgefühl bewiesen worden.

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