: Unerträglicher Alltag in Ramallah
■ In der Metropolis-Reihe „Pulverfass Nahost“: Azza El-Hassans Dokumentation News Time kommt ohne die inflammatorische Rhetorik der Opferperspektive aus
Es ist zur Zeit sehr schwierig, Kameraleute oder CutterInnen aufzutreiben, die gerade nichts zu tun haben – wenn man einen Dokumentarfilm über das Alltagsleben von Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten machen will. „Dies ist nicht die Zeit für Dokumentarfilme“, sagen sie dann auf Anfrage am Telefon, „dies ist die Zeit für Nachrichten.“
Nach diesem Umstand, der sie dazu zwang, während der Produktion ihres Dokumentarfilms selbst die Kameraarbeit zu übernehmen und ihrer Nachbarin die Verantwortung für den Ton zu geben, hat Azza El-Hassan den fertigen Film News Time genannt. Die junge palästinensische Filmemacherin wollte eben nicht noch mehr Nachrichtenbilder produzieren, sondern die Menschen in der „meistgefilmten Region der Welt“ anders zeigen – privater, menschlicher, alltäglicher. Gegen „die Banalisierung des Todes in Palästina“ wendet sich ihr Ansatz, so sagt sie, und dagegen, dass Menschen auf Nachrichtenbilder reduziert werden.
Als dokumentarisches Programm ist das so weit, so erprobt, und die selbstreferentielle Einbeziehung der Dreharbeiten und ihrer Schwierigkeiten in den Film tut ihr Übriges, tatsächlich eine Erzählung vom Alltag in Ramallah während der so genannten Al-Aqsa-Intifada entstehen zu lassen. Die eigene Biographie als Flüchtlingskind im Libanon der späten 70er und frühen 80er Jahre wird über historische Nachrichtenbilder erzählt, die im Ramallah der Gegenwart dann durch Bilder der häuslichen Umgebung El-Hassans ersetzt werden.
„Ich muss etwas Schönes filmen, eine Liebesgeschichte zum Beispiel“, sagt El-Hassans Stimme, während vor ihrem Fenster junge Männer mit Steinschleudern vorbeilaufen. Also soll von ihrem Vermieter, Abu-Khalil, erzählt werden, und von dessen mittlerweile 30 Jahre andauernder Liebe zu seiner Frau Um. Doch bereits nach dem ersten Interview, während dessen sich Um sichtlich mit der Situation quält, verlassen beide wegen der Bombardements die Stadt. Aber ein neues Objekt ist schnell gefunden: eine Gruppe Jungs, die auf den leeren Straßen vor El-Hassans Haus herumlungern und Krieg spielen.
Diese Acht- bis Zehnjährigen erscheinen in wechselnden Gruppenbildern, beim Spielen und bei der Arbeit am väterlichen Gemüsestand vor der Kamera. Später werden sie auch einzeln befragt, erzählen von der Schule, ihrer Familie und ihren Plänen. Und immer wieder erweist sich die Prämisse, nicht von der politischen Situation zu erzählen, als nicht praktikabel, so dass auch dieser Erzählstrang abgebrochen wird, weil „er uns zu nachdenklich macht“.
Diesmal kommt jedoch einer der Jungs durch ein Dum-Dum-Geschoss zu Tode, und die Prämisse wird endgültig aufgegeben. Stattdessen sehen wir die Schulklasse des Toten beim wiederholten sinnlosen Aufstehen und Hinsetzen auf Befehl des Lehrers, hören sehr häufig die Worte „Märtyrer“ und „Vaterland“ und sehen das berühmte Foto von Mohamed Al-Dura in den Armen seines Vaters an Häuserwänden hängen. News Time endet mit Bildern eines fahnenschwingenden Begräbnismarsches, mit Nachrichtenbildern eben.
Nachdem der Film also die meis-te Zeit versucht hat, der Banalisierung des Todes Bilder des Lebens entgegenzustellen, muss er sie schließlich doch in seine Erzählung aufnehmen. Denn ob der Tod eines Zehnjährigen als CNN-Nachrichtenbild oder als kitschige Märtyrerikone inszeniert wird, macht im Hinblick auf die Banalisierung keinen Unterschied. Und zum Glück scheint der Film das zu wissen. Zwar erzählt News Time seine Alltagsgeschichten eindeutig aus einer kollektiven Opferperspektive, die sich ohne Rücksicht auf die Dynamik und Komplexität der Situation konstruieren muss. Dennoch kommt er ohne die gewohnte inflammatorische Rhetorik aus, die eine solche Perspektive in den Nachrichten häufig begleitet. Hier müssen keine Israelis verteufelt werden, um die Unerträglichkeit der Situation zu erleichtern. Und konfrontiert mit dem Tod eines Kindes einerseits und dessen inadäquater, kitschiger Sinnstiftung andererseits, wird auch News Time, gewollt oder ungewollt, in eine erschreckte emotionale Distanz gezwungen. Eine Distanz, die weniger kalkuliert daherkommt als die der Nachrichtenbilder, und die so manchem „Nahostexperten“ gut zu Gesicht stehen würde.
Georg Felix Harsch
in Anwesenheit der Regisseurin: Montag, 19 Uhr, Metropolis
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