Undichte Ölbohranlage in Niedersachsen: Schadensgröße ungewiss
Noch immer ist unklar, wie stark die Umwelt in Emlichheim belastet ist. Jahrelang war giftiges Wasser aus einer Ölbohranlage ausgetreten.
Zuvor ging es im Kreishaus in Nordhorn um genau jene Fragen: Wie groß ist der Schaden, der durch das Auslaufen von Lagerstättenwasser entstanden ist, tatsächlich? Wie und wann startet die Sanierung? Beteiligt an dem Treffen waren Vertreter des LBEG, des Landkreises, der Samtgemeinde Emlichheim sowie des Erdölproduzenten Wintershall Dea, der in der Region seit Jahrzehnten Erdöl fördert.
„Das Schadensausmaß steht immer noch nicht fest“, sagte LBEG-Sprecherin Traeger. Zumindest habe eine gegenwärtig ins Erdreich getriebene Kontrollbohrung bis zu einer Tiefe von 99 Metern keine gesundheitsgefährdenden Kohlenwasserstoffe im Grundwasser aufspüren können. Die Bohrung soll zu einer Grundwassermessstelle ausgebaut werden, später könnte sie auch zur Sanierung des Schadens genutzt werden.
„Wir haben den Betreiber aufgefordert, das Monitoring von oberflächennahem Grundwasser zu intensivieren“, betonte Traeger. Wintershall Dea habe zugesagt, bis Ende August ein Konzept dafür vorzulegen. Einen Monat später, also bis Ende September, will der Konzern zudem den Entwurf eines Sanierungsplans präsentieren.
Ende Juli war bekannt geworden, dass aus der Einpressbohrung Em 132 in der Gemarkung Emlichheim zwischen 2014 und 2018 unter der Erde etwa 140.000 bis 220.000 Kubikmeter sogenanntes Lagerstättenwasser ausgetreten sind. Lagerstättenwasser ist ein natürlicher Bestandteil in Erdgas- und Erdöllagerstätten. Es besteht aus Wasser, gelösten Salzen und Kohlenwasserstoffen, kann aber auch Schwermetalle oder radioaktive Stoffe enthalten. Die genaue Zusammensetzung hängt von der jeweiligen Lagerstätte ab. Bei den Bohrungen wird das Lagerstättenwasser mit Erdgas oder Erdöl automatisch an die Oberfläche gefördert. Erst dort wird es dann wieder vom Rohstoff getrennt.
Giftiges Wasser wird zurückgepresst
In Niedersachsen wird das Lagerstättenwasser mittels Pressbohrungen wieder zurück in die Lagerstätte gedrückt. Dieses Verfahren darf laut LBEG aber nur angewendet werden, wenn das Lagerstättenwasser aus diesem Kreislauf nicht entweichen kann – in Emlichheim ist das aber geschehen. In Niedersachsen gibt es insgesamt 220 solcher Press- oder Einpressbohrungen, im Erdölfeld Emlichheim sind es sechs.
Die Bohrung Em 132 besteht aus zwei Stahlrohren: einem Innenrohr, durch das Lagerstättenwasser eingepresst wird, und einem Außenrohr zur Abdichtung der Bohrung. Beide Rohre sind korrodiert. Das wurde laut Wintershall Dea zunächst bei einer routinemäßigen Wartung festgestellt und dann bei weiteren Untersuchungen. „Auffälligkeiten“ gab es demnach auch bei der Bohrung Em 51. Auch dort sind Rohre korrodiert. Drucktests hätten bislang jedoch keine Hinweise auf den Austritt von Lagerstättenwasser gezeigt, teilte die Samtgemeinde Emlichheim mit.
Wintershall Dea gab die Schadenstiefe bei Em 51 mit mehr als 500 Metern an. Deshalb und wegen der Tatsache, dass sich mehrere Hundert Meter dichtes Gestein darüber befänden, sei von einer Gefährdung für das Oberflächen- und Grundwasser sowie Menschen und Umwelt nicht auszugehen. Beide Bohrungen sind zurzeit außer Betrieb. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei das Lagerstättenwasser in einer Tiefe von 150 Metern ausgetreten, berichtete das LBEG.
Ministeriumsbericht deutet auf großen Schaden hin
Umweltverbände und Grüne haben sich nicht zuversichtlich gezeigt, was mögliche Gefahren betrifft. Die Grünen-Landtagsfraktion sprach gar vom möglicherweise größten Schaden in der Geschichte der niedersächsischen Ölförderung. Sie berief sich dabei auf Angaben aus dem Landeswirtschaftsministerium. In dem Ministeriumsbericht hieß es, dass in dem von der Leckage „vermutlich betroffenen oberen Tiefenbereich“ der Wert für das krebserregende Benzol um den Faktor 423 überschritten wurde. Die Werte für die ebenfalls als gesundheitsschädlich eingestuften Elemente Barium und Bor lagen jeweils um nahezu den Faktor 300 über der Geringfügigkeitsschwelle. Für andere Kohlenwasserstoffe gab das Ministerium die Faktoren 35 beziehungsweise 22 an.
Dem Naturschutzbund (Nabu) ist ein Fall ähnlichen Ausmaßes auch bundesweit nicht bekannt. Er fordert eine vollständige Sanierung des betroffenen Gebietes durch den Betreiber. Dieser müsse darüber hinaus für etwaige Folgeschäden haften.
Inzwischen prüfen auch die Staatsanwaltschaft Osnabrück und die Polizei Lingen, ob möglicherweise ein Umweltvergehen vorliegt. Eine entsprechende Anzeige stammt nach Angaben der Ermittlungsbehörde von Wintershall Dea selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften