Underground-Festival in der Volksbühne: Wilde Überlappungen
Ein Festival zum 15. Geburtstag: Die 8mm-Bar in der Schönhauser Allee feiert am Sonntag ihr Jubiläum mit der dritten Ausgabe des Synästhesie Festivals.
Der Begriff „Synästhesie“ beschreibt die Kopplung von zwei oder mehr physisch getrennten Wahrnehmungsbereichen. Klänge zum Beispiel werden als Farbe rezipiert oder es wird ein Geschmack dazu wahrgenommen. Klingt nach einer tollen Erfahrung! Deutlich mehr Menschen haben in der Kindheit synästhetische Erfahrungen als im Erwachsenenalter, doch auch in jungen Jahren ist die Neigung genetisch bedingt.
Und als Erwachsener, wo man sensorische Abwechslung ja viel nötiger hat? Nun ja: Da kann man Drogen konsumieren, um Derartiges zu provozieren. Aber das ist ja nicht für jeden und schon gar nicht für alle Lebenslagen. So bleibt eigentlich nur die psychedelische Musik.
Die ist zwar nicht wirklich gleichzusetzen mit überlappenden Sinneseindrücken, doch vielleicht darf man sich entsprechende Klangwelten zumindest als eine Art akustischer Veranschaulichung dieser Erfahrung vorstellen. Wie dem auch sei: Auf dem Musikfestival Synästhesie, das nun zum dritten Mal stattfindet, spielt das Psychedelische tatsächlich eine Rolle, etwa in Gestalt von Krautrock.
Barbetreiber als Brotberuf
Und auch andere Genres, die Veranstalter Alex „Olli“ Konuk, im Brotberuf Betreiber der 8mm-Bar auf der Schönhauser Allee und Begründer des gleichnamigen Musiklabels, eine Herzensangelegenheit sind: Postpunk etwa.
Wilde Überlappungen sind auch bei der Live-Erfahrung der Musik ausdrücklich vorgesehen, wenngleich Konuk ein recht puristisches Verständnis davon hat, welche Musik zu seiner Bar, seinem Label und zum Festival passt. „Je mehr Leute mitreden und eine bestimmte Agenda verfolgen wollen, desto mittelmäßiger wird oft das musikalische Profil“, erklärt er. Deshalb auch rechnet er sich keine großen Chancen auf Fördergelder für das Festival aus, bisher hat es jedenfalls nicht geklappt.
Mit seiner Strategie scheint Konuk trotzdem richtig zu liegen. Schließlich sorgt sein Ansatz für einen konsequenten musikalischen Rahmen – und der ist zum Herzblut der Bar geworden und hält die kreative Community zusammen, die hier entstanden ist. Als Konuk, der aus Washington DC stammt und aufgrund familiärer Verbindung regelmäßig nach Berlin kam, lange bevor die Hipster-Karawane ihm folgte, in den neunziger Jahren endgültig herzog, fehlte ihm im seinerzeit elektronisch orientierten Berlin eins: eine Bar, in der seine Lieblingsmusik aus dem Rock-’n’-Roll-Underground lief: Proto-Punk, Post-Punk, Garage Rock.
Die musste er selbst begründen. Der Rest ist Geschichte. Seit Langem ist die Bar weit über die Stadtgrenzen hinaus geschätzt, Musiker auf Tour schauen hier gerne rein oder spielen ein DJ-Set.
Experimentellen Krautrock, New Wave und Garage-Rock stehen auf dem Programm des eintägigen Festivals der 8mm-Bar. Bei der mittlerweile dritten Ausgabe von Synästhesie spielen am 19. 11. ab 19 Uhr neben den Headlinern Tangerine Dream und The Horrors auch die Bands Camera und Balagan aus Berlin, Pins aus Manchester und Jakuzi aus Istanbul in der Volksbühne, 32 €
Als logische Weiterentwicklung entstand das gleichnamige Label, denn „irgendwann wurde mir klar, dass man auch veröffentlichen muss, um die Musik zu promoten, die man liebt“, erklärt Konuk. Daraus wiederum gingen Live-Konzerte hervor, die im benachbarten Club Bassy stattfinden. Und ein paar Jahre später eben auch das Festival, das nun zum dritten Mal stattfindet.
Viel zu feiern
Und weil es dieses Jahr besonders viel zu feiern gibt im schön organisch gewachsenen 8mm-Universum, unter anderem eben den 15. Geburtstag der Bar, geht die Sause in der direkten Nachbarschaft über die Bühne, in der Volksbühne, worüber Konuk sich besonders freut. „Vor 15 oder auch fünf Jahren haben ich es noch gar nicht so gesehen. Doch mittlerweile erfüllt die Bar auch eine soziale Funktion für die Nachbarschaft. Das war gar nicht unsere Absicht, schließlich haben wir uns nicht gewünscht, dass die Gegend unter so hohen Gentrifizierungsdruck gerät.“
Zurück zum Programm, das einen dieses Jahr bei Synästhesie erwartet. Das wartet neben dem Bar-Jubiläum mit einem weiteren Geburtstag auf: Die Elektronik-Pioniere Tangerine Dream begehen derzeit ihr 50-jähriges Bandjubiläum, wenn nach dem Tod von Edgar Froese 2015 leider ohne ihren Begründer.
Die englische Band The Horrors stand ebenfalls schon immer oben auf Konuks Wunschliste – was nicht verwundert, denn in ihrer Bandgeschichte kommt vieles vor, was auch Konuk umtreibt. Zusammengefunden haben The Horrors über ihre gemeinsame Leidenschaft für Sechziger-Garagenrock, der auch ihr Debüt „Strange House“ (2007) inspirierte. Doch schon das nächste Album „Primary Colours“ (2009) klang ganz anders und brachte Krautrock und Shoegazing zusammen. Mittlerweile sind sie bei maschinelleren Klängen angekommen, von Depeche Mode wurde sie als Support für die letzte Tour gebucht.
Türkischer Synth-Pop
Jenseits der großen Namen gibt es auf dem Festival auch Entdeckungen zu machen, etwa die Istanbuler Synth-Pop-Band Jakuzi, die Konuk erst vor einigen Monaten für sich entdeckt hat – und völlig begeistert ist: von ihren psychedelischen Anleihen und von dem Umstand, dass sie auf Türkisch singen.
Von der Berliner Krautrock-Band Camera sagt Konuk, er habe den Eindruck, die Band hätte ein ähnliches Los (er nennt es im Interview „similar destiny“, was deutlich poetischer klingt) wie die 8mm-Bar. Camera erregten am Anfang ihrer Laufbahn immer wieder dadurch Aufsehen, dass sie Guerilla-Auftritte an Orten spielten, an denen sie nicht eingeladen und bisweilen nicht einmal willkommen waren (einmal spielten sie sogar spontan auf der Echo-Verleihung).
Bleibt zum 15. Geburtstag zu wünschen, dass das 8mm-Unverisum noch lange die Stellung für den Underground in Prenzlauer Berg hält.
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