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Unbestimmte Zeit im Tunnel

Eine Fahrt mit der Hamburger S-Bahn ist mitunter nichts für Menschen mit schwachen Nerven. Vor allem wenn sie stehenbleibt  ■ Von Kaija Kutter

Eine Uhr hatte ich nicht dabei. Nur das Bild von der am Hauptbahnhof im Kopf. 19.15 Uhr war es gewesen, als ich die S1 in Richtung Altona bestieg. Kurz hinter Jungfernstieg ein Ruck. Die Bahn bleibt stehen. Kennt man ja. In 20 Jahren als HVV-Nutzerin ist mir das oft passiert. Irgendein Signal steht auf Rot, und dann geht es auch gleich wieder weiter. Hoffe ich doch. Ich habe einen Termin, einen wichtigen. Um 19.30 Uhr. Klar, das schaffe ich noch. Hab ich doch auf dem Stadtplan nachgesehen. Am nächs-ten Bahnhof aussteigen und dann noch fünf Minuten zu Fuß.

Ein Hüsteln ist zu hören. 20, vielleicht 25 Menschen, meist in schicker Abendgarderobe, sitzen mit mir im Abteil, in diesem Zug unter der Erde. Einige blicken auf, andere lesen Zeitung. „Sehr geehrte Fahrgäste“, ertönt es aus dem Lautsprecher, „wegen eines technischen Defekts verzögert sich die Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit.“

Unbestimmte Zeit hat er gesagt. Nicht etwa zwei bis drei Minuten. Die Mitfahrenden blieben überwiegend ruhig, fachsimpelten über die Vor- und Nachteile der neuen S-Bahn-Züge. Ich war es, die in Panik geriet, die als erste aufstand und durchs Abteil tigerte. „Hat hier vielleicht einer ein Handy?“, frage ich zwei junge Männer. Der eine zuckt mit der Schulter. „Das hat doch keinen Empfang hier unten“, sagt er und holt es trotzdem aus dem Jackett. Zwei Damen auf der Bank vor mir wollen ins Theater. Sie streiten sich: „Ich hab doch gleich gesagt, wir sollen ein Taxi nehmen. Jetzt kommen wir zu spät. Unerhört diese Bahn.“

„Uns könnte doch viel schlimmeres passieren“, mischt sich ein Fahrgast ein. „Immerhin brennt es nicht und es saust kein Zug in uns hinein.“ „Und sie verteilen keine Decken. Das ist ein gutes Zeichen“, witzelt ein Typ mit Baseballkappe.

„Meine Damen und Herren“, ertönt eine neue Durchsage des inzwischen offenbar nervös gewordenen Zugführers. Man versuche jetzt, das Betriebssystem wieder hochzufahren. „Dabei könnte das Licht ausgehen. Bitte geraten sie nicht in Panik.“ Ein Raunen geht durchs Abteil. Der Zug macht ein Geräusch, als ob Luft abgelassen wird. Dann geht das Licht aus. Zwei Fahrgäste leuchten mit Minitaschenlampen, die sie an ihren Schlüsseln haben. Es rumpelt. Das Licht geht wieder an. Der Zug bleibt stehen.

Das hat wohl nicht funktioniert. Ich stehe mit dem Handy-Besitzer an der Tür. Zehn vor acht zeigt seine Uhr. Über eine halbe Stunde sitzen wir hier fest, und es passiert nichts. Kein Zuspruch vom Bahnpersonal, keine Durchsage. Draussen leuchtet ein Bahnbeamter das Radwerk ab. Im Nachbartunnel rauscht ein Zug vorbei. Die Zugbeleuchtung lässt die Umrisse eines Holzstegs erkennen. Müssen wir am Ende über diese dunklen Planken den Tunnel verlassen?

Neben der Notbremse ist noch ein Notruf. „Hat jemand was dagegen, wenn ich den Notknopf mal probiere?“, frage ich in die Runde. „Das geht doch nur zum Zugführer. Der hat genug zu tun“, meint eine Frau. Ich drück aber trotzdem den Knopf. Vielleicht, denke ich, verbindet der uns mit der Bahnzentrale, und die sagen uns, was los ist. Das Signal „Warten“ leuchtet auf. Dann erlischt es wieder. „Wenn jetzt einer einen Herzanfall hätte, könnten wir niemanden erreichen“, bemerkt eine Frau von weiter hinten. Ich drücke noch mal. Wieder leuchtet „Warten“, wieder nichts.

Neben mir eine Debatte über Konsequenzen. Das Theaterstück hat angefangen. Die Karten werden doch wohl ersetzt? „Vom HVV doch nicht“. Und wenn doch? Das Stück gibts bestimmt nicht noch mal, ist ausverkauft. Die Frau macht den Eindruck, als ob sie sich immer ärgere. Die übrigen Fahr- gäste bleiben immer noch ruhig. Erstaunlich. Nur in mir rumpelt es. Der Zug rumpelt auch. Ein lautes Motorengeräusch. Er fährt an. Ich applaudiere, wie im Flugzeug.

„Bloß nicht zu früh klatschen“, sagt der Typ mit Baseballkappe. „Sonst bleibt er wieder stehen.“

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