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Aus taz FUTURZWEI

Unbekanntes Saarland Keine Helden, keine Hafermilch

Im Saarland ist die Zukunft ohne Fortschritt und Wachstum bereits Gegenwart. Damit leben die deklassierten Proletarier gar nicht so schlecht.

Foto: Monja Gentschow

Von NILS MINKMAR

Es ist selten, dass bundesweite Medien vom Saarland berichten. Manchmal, wenn Saarländer des Mordes an zwei PolizistInnen verdächtigt werden, ist es ein rätselhaftes Verbrechen. Dann wandern JournalistInnen einige Tage durch diese so ferne, so komplizierte südwestliche Provinz, sind aber danach selten schlauer.

Saarland

ist das zweitkleinste Bundesland (nach Bremen) und liegt an der Grenze zu Frankreich und Luxemburg. Es war von 1947 bis 1957 ein eigener Staat (von Frankreich kontrolliert), trat dann der Bundesrepublik bei.

Einwohner: 950.000

Hauptstadt: Saarbrücken

Lieblingsessen:

• Dibbelabbes, das sind geriebene Kartoffeln.

• Schwenker, das ist Schweinesteak auf einem dreifüßigen Grill gegart, der Rost schwenkt dabei über der Glut an Ketten.

• Lyoner, eine ringförmige Fleischwurst, die Saar-Dichter Ludwig Harig zu zenphilosophischen Betrachtungen über das gute, also runde Leben beflügelte.

Legendäre Politiker: Erich Honecker, Oskar Lafontaine, Peter Altmaier, Simone Peter

Landesregierung ist seit 2012 eine Koalition aus CDU und SPD. Die CDU hatte die letzte Wahl 2017 mit Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer klar gewonnen (40,7 Prozent). Diese übergab das Amt im März 2018 an Tobias Hans, um Bundeskanzlerin zu werden, was – wie wir wissen – nicht geklappt hat.

Die Landtagswahl im Saarland ist am 27. März. Es ist die erste des Jahres. Danach kommen Schleswig-Holstein (8. Mai), NRW (15. Mai) und Niedersachsen (9. Oktober).

Nach der Saarland-Wahl wird es drei Tage großes Geschrei geben, was das Ergebnis für monumentale »bundespolitische Auswirkungen« habe. Unter uns: Es hat keine.

Sonst sind es meist Größenvergleiche: der berühmte Ölteppich, so groß wie das Saarland. Dann der saarländische Tatort – das waren lange Zeit schwer zu verstehende, rundum missglückte Produktionen. Es bestand Interpretationsbedarf. Und genau so ist das bei dem dritten Ereignis, das dem jüngsten westdeutschen Bundesland bundesweite Aufmerksamkeit beschert, der saarländischen Landtagswahl.

Deren Voraussetzungen und Ergebnisse sind nicht auf Anhieb zu verstehen. Die Regionalparteien haben eine lange und verzwickte Geschichte. Die saarländischen Grünen etwa sind Teil der politischen Folklore der Bundesrepublik. Mit verqueren Intrigen, Affären und Coups aller Art stellen sie sich dem bundesweiten Trend einer zunehmenden Seriosität der Grünen entgegen. Seit unvordenklichen Zeiten ziehen dort dieselben Figuren ihre Strippen, in denen sie sich längst hoffnungslos gefesselt haben. Kaum besser ist die Lage bei der saarländischen Linken, hier reguliert die Justiz das innerparteiliche Miteinander. Die Partei wird von Oskar Lafontaine geprägt und beschäftigt. Er bewohnt die politische Bühne des kleinen Landes schon seit den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

Ein Land, in dem es um permanente Veränderung geht

Vor der Linken hat er die SPD hier beschäftigt. Nahm sie, führte sie in einem atemberaubenden Feldzug zur Macht, erst im Land, dann im Bund. Aber dann, gerade als er in Berlin hätte wirken können, gab er sie wieder auf. Nun irrt er unerlöst in einem für sein immenses Talent viel zu kleinen politischen Gehege auf und ab und macht alle kirre. Viele lachen nur noch, wenn sein Name fällt.

Es ist das lächerliche Ende einer großen politischen Saga, in der sich verwirklichte, was im Saarland schon seit der Industrialisierung als Versprechen angelegt ist: Es ist ein Land, in dem es um permanente Veränderung geht, um Fortschritt und um Politik. Dass hier einmal die kühnsten Träume verwirklicht werden sollten, davon kann man sich in einem Gebäude überzeugen, dass direkt an der Saar steht. Es ist die ehemalige französische Botschaft, die dann lange als Kultus- und Bildungsministerium diente, heute aber leer steht. Der französische Architekt Georges-Henri Pingusson baute diesen eleganten, bezaubernden Komplex in den Fünfzigerjahren. Innen wirkt es wie ein schönes Schiff, dass eine beladene Menschheit in sonnigere Zeiten befördert. Wer aber die Gelegenheit hat, einmal vorbeizugehen oder es gar zu besichtigen, spürt die Macht der einstigen Visionen von der Saar als einem Motor der deutsch-französischen Verständigung und eines geeinten, versöhnten Europas. Doch leider steht der Bau derzeit leer, die Sanierung und künftige Nutzung sind ungewiss.

Foto: Monja Gentschow

Die Wege der Erinnerung führen nicht alle zu solchen Entwürfen einer besseren Zukunft, jedenfalls keiner, die uns auch heute noch gefällt. Fährt man etwas hinaus aus der Stadt, endet dort schon die Bundesrepublik Deutschland. Man kann dann einen Hügel emporspazieren, auf dem lauter alte Kriegerdenkmäler stehen. Sie zeugen von der Schlacht bei Spichern aus dem Jahr 1870. Sie ist bedeutsam, weil sie so sinnlos war. Preußische Soldaten wollten die französische Stellung oben auf dem Hügel einnehmen. Viele starben, damals machte man das ja noch zu Fuß und von oben ist leicht schießen. Wenige Tage später wären die Franzosen aber ohnehin abgezogen. Spichern ist ein Symbol für alles, was danach kam: Die Massen von Toten in Verdun, die Rache des deutschen Reiches für die Niederlage von 1918, die Bombennächte, die Lager. Hier ging es los mit der höllischen Synthese aus Nationalismus und Militarismus, hier, in den Stahlwerken an der Saar, wurden die Waffen hergestellt. Heute ist das eine einfache Lehre, die Familien in Saarbrücken beim Spazierengehen ziehen können: All die Toten, der Horror – es hätte nicht sein müssen.

Kooperation, persönliche Verbundenheit und das Feiern von Festen

Im Saarland wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Alternativen zu Sozialismus und Kommunismus gesucht. Man fand sie in einer patriarchalischen Unternehmens- und Gesellschaftsstruktur, die auf der Treue der ArbeiterInnen und ihrer Familien einerseits, der väterlichen Güte der Obrigkeit und Eigentümer andererseits beruhte. Jedenfalls in der Ideologie. Man suchte hier immer wieder den optimalen Weg zwischen den Ideologien, zwischen dem politischen Katholizismus und dem Kommunismus und der fand sich, mit ordentlich vielen Irrwegen nach links und rechts, in einer sozialen Praxis, die ganz auf Kooperation, persönlicher Verbundenheit und dem Feiern von Festen basiert.

Eine Polarisierung der Gesellschaft wie in Hamburg, mit einer superreichen, großbürgerlichen Oberschicht und der radikalen autonomen Szene rund um die Rote Flora ist im Saarland nicht denkbar. Nichts ist hier weniger angesehen als ideologische Überzeugung, die sich über die Bindung zu den Mitmenschen stellt. Und diese Bindungen werden nicht nur in der Familie oder im Freundeskreis gepflegt, sondern traditionellerweise auch darüber hinaus, denn nirgendwo sind so viele Menschen Mitglied in einem Verein. Ob man das Wohnumfeld verschönern möchte, wandern und singen will, eine neue Initiative startet – alles beginnt mit dem Beitritt zu einem Verein oder der Gründung eines solchen.

Kirchen, Gewerkschaften, Schule und Nachbarschaft, die Feste und Vereine – es ist in dem übersichtlichen Land so gut wie unmöglich, sich nicht irgendwann über den Weg zu laufen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die politischen Extreme hier so wenig zu melden haben. Eigentlich ist das Saarland die Heimat aller deklassierten weißen Proletarier und doch ist da so wenig Verbitterung, betrat kein saarländischer Trump die politische Bühne. Das kann man hier studieren: Wie die postheroische Gesellschaft gelingen kann. Wenn Männer und Frauen keine HeldInnen oder Übermenschen mehr sein müssen, wenn es egal ist, woher man kommt, wie woke man ist und ob man Hafermilch bevorzugt.

Das Saarland ist eine Region, die ganz Zukunft war und sie heute hinter sich hat

Möglich, dass nun einmal ein Regierungswechsel ansteht, die SPD wieder die Ministerpräsidentin stellt. Aber Wunder sind nicht zu erwarten. Eine durchdachtere Kommunikation wäre aber schon mal etwas!

Das Saarland ist eine Region, die ganz Zukunft war und sie heute hinter sich hat. Die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung zeugen von allzu großer Ruhe. Start-up-Nation ist hier nicht gerade, wenn sich auch einiges tut bei Forschung und Entwicklung. Aber die Show spielt schon noch in der Automobilindustrie und beim Stahl. Und die Abwanderung ist ein Problem, die Überalterung bei geringer Zuwanderung. Es ist manchmal, als geriete das Land in Vergessenheit, sei ganz woanders.

Foto: Monja Gentschow

Vielleicht ist man der Anstrengungen und Versprechen auch müde. Industrialisierung heißt auf Deutsch Verfleißigung. In den Gruben und Werken wurden den zugewanderten LandbewohnerInnen ein neuer Tagesablauf beigebracht und nach Feierabend wartete die Nebenerwerbslandwirtschaft. Und am Wochenende der legendäre saarländische Hausbau: Hier gibt es eine hohe Eigenheimdichte, weil die versatilen ArbeiterInnen auch HandwerkerInnen waren. Man baut selbst und dann, dann baut man an. Wenn man mit dem Zug in die Hinterhöfe der Straßen schaut, kann man eine Parade der privaten Paradiese entdecken: Gärten, Terrassen, Wintergärten, zusätzliche Zimmer und Stockwerke, umgewidmete Garagen und improvisierte Planschbecken, Volieren und Hasenställe. Auch diese autonomen Bauten sind Zeugnisse einer spezifischen regionalen Kultur der Selbstversorgung, des gemeinschaftlichen Klarkommens. Und das wird noch interessanter, wenn man über die grüne Grenze ins französische Lothringen reist. Hier, wo industriell nicht mehr viel los ist, verwandelt sich die Natur in eine Erinnerung an Kindheitstage und die Häuser und Dörfer zeugen von einem entschlossenen Willen zur privaten Idylle.

Man kann an der Saar heute schon jene Postwachstumskultur studieren, von der so viele theoretisieren. Wenn alles vorbei mit Optimierung und Wachstum, mit Ideologie und Fortschritt ist, geht es erst recht weiter und gar nicht mal so schlecht.

Dieser Beitrag ist im März 2022 in taz FUTURZWEI N°20 erschienen.