piwik no script img

Unabhängiger Musikbetrieb"Eigentlich Turbokapitalisten"

Seit 1997 schmeissen sie ihre Läden: die Macher der Plattenlabels Sonig und Karaoke Kalk, des Magazins "De:Bug" und des Verlags Autopilot. Zum Geburtstag ein Gespräch über Reinschlittern, Ellbogen und Burn-out

Nach zehn Jahren die ersten Leichen im Keller? Bild: promo

taz: 1997 scheint ein sehr risikofreudiges Jahr gewesen zu sein. Ihr alle habt etwas Neues gestartet: ein Musikmagazin, einen Musikverlag, zwei Plattenlabels. Was war euer Ansporn?

Thorsten Lütz: Ich habe damals in Köln gelebt und war als DJ sehr interessiert an elektronischer Tanzmusik. Es war eine aufregende Zeit, jede Woche kamen interessante Platten raus. Damals richtete sich eine Menge Aufmerksamkeit auf Köln, das, was dann bald der "Sound of Cologne" genannt wurde, entstand. Die Szene war sehr aktiv. Das Techno-Duo Air Liquid mischte da mit, Wolfgang Voigt war dabei, um den herum wenig später sich das Kompaktimperium gründete, der A-Musik-Plattenladen eröffnete. Da wollte ich meinen Beitrag leisten. Wie es der Zufall so wollte, machten Freunde von mir Musik - und die habe ich dann veröffentlicht. Aus absoluter Naivität heraus. Ich dachte, ich mach das jetzt einfach mal, investiere in eine 500er-Auflage und lass das pressen.

Frank Dommert: Ich hatte 1997 schon Erfahrungen mit kleinen Labels gesammelt. Und dachte mir: Jetzt mach ich das mal richtig, gründe ein Gewerbe. Natürlich hatte auch ich, im Nachhinein betrachtet, keine Ahnung. Aber es war ja recht einfach damals. Man konnte die Platten einfach pressen und dann verkaufen. Ohne Promotion, ohne irgendwas.

Guido Möbius: Ich hab damals bei einem Folk-Label gearbeitet. In Münster, bei einem der dienstältesten deutschen Independentlabels. Autogram Records. Da entstand die Idee, einen Musikverlag zu machen. Mit dem Verlag bin ich dann nach Berlin gegangen. Dass das ausgerechnet 1997 anfing, war persönlich gesehen Zufall.

1997 steht auch für das Ende von Rave als großer Erzählung. Das Magazin "Frontpage" ging pleite, die Idee der Mehrheitsfähigkeit von Techno bröckelte weg. Dachte man da: Jetzt bauen wir uns neue Nischen?

Jan Rikus Hillmann: Die De:bug ist ja aus der kommerziellen Katastrophe der Frontpage entstanden. Camel zog damals sein Sponsoring zurück. In der Frontpage-Redaktion hatten sich die Wege einiger der Leute gekreuzt, die dann die De:bug gründeten. Da kulminierten einige Dinge. Ich hatte vorher nur Drum n Bass gehört, und die De:bug bedeutete für mich erst mal eine Öffnung - es ging darum, auch andere Dinge zuzulassen. Wir steckten ja alle in diesen Online-Entwicklungen, man konnte schon sehen, was sich da abzeichnet. Auch dass mit der Musikindustrie Entscheidendes passieren würde, war damals bereits abzusehen.

Hattet ihr das Gefühl, in einer Start-up-Situation zu stecken?

Dommert: Nein, das war mehr so ein Reinschlittern. Viele Leute, die heute bei uns ankommen, die haben schon einen Plan, die haben auf der Popakademie gelernt, wie man ein Label macht. Wobei das, ehrlich gesagt, natürlich gerade heute Blödsinn ist.

Hillmann: Bei uns herrschte eine unbeschwerte Unwissenheit. Wenn du eine Zeitschrift machen willst, gehört da ja auch ein Verlag dazu. Wir konnten eine Zeitschrift machen, das hatten wir bei der Frontpage ja schon geübt, aber das wirtschaftliche Zeugs, das haben wir ausgeblendet. Das ist gar niemandem aufgefallen, so wenig Ahnung hatten wir davon.

In dem Augenblick, als ihr angefangen habt: Was war da euer Resonanzraum? Wo, dachtet ihr, wirkt ihr hinein?

Lütz: Es hat keine Rolle gespielt, in welche Nische man da jetzt hineinsenden wollte. Ich habe mich halt gefreut, wenn ich eine Mail aus Australien bekommen habe: Ich hab gerade eine Platte von euch gekauft. Spitze, dachte man sich dann, ein Typ aus Australien hat gerade ne Platte gekauft.

Dabei war Australien damals schon noch ein bisschen weiter weg als heute, oder?

Lütz: Ja, sicher. Aber so ein Vertrieb wie Groove Attack war eben an jedem neuen Label aus Köln erst mal interessiert und hat das unterstützt - weil es auch diesen "Sound of Cologne"-Hype gab.

Gab es zwischen euch etwas Gemeinsames, das ihr vielleicht damals gar nicht so wahrgenommen habt? So etwas wie das "Plateau 1997"?

Dommert: Das "Sound of Cologne"-Ding war für mich 1997 eher schon vorbei - die Zeit der Gemeinschaftsveranstaltungen, die Partys in besetzten Häusern. Es ging darum, sich etwas anderes zu suchen.

Hillmann: Wir wollten kein Star-Ding, sondern etwas machen, wofür man nicht auf einen Sockel gestellt wurde. Da gab es so ein Understatement. Wir versuchten, ein Medium zu basteln, das ein Radar ist, ein gesunder Spiegel der Szene.

Wart ihr Subkultur-Unternehmer?

Lütz: Ich wollte einfach Musik veröffentlichen. Dass das eine unternehmerische Tätigkeit ist, habe ich erst gemerkt, als ich feststellte, dass ich von dem Label leben kann, dass ich mich nicht mehr hinter den Tresen stellen oder einen blöden Job beim Musikfernsehen machen muss. Aber irgendwie war es doch immer die Ausübung eines Hobbys.

Hillmann: Wir waren motiviert, wir beuteten uns selbst aus. Da denkt man nicht strategisch, sondern eher an den nächsten Text. Alle, mit denen wir zusammenarbeiteten, machten das natürlich anders. Also: Wir sind keine Subkultur-Unternehmer. Wenn überhaupt, dann Kulturunternehmer. Weil: Wir zahlen der Druckerei ja genauso viel wie zum Beispiel die Berliner Philharmoniker.

Möbius: Mir gings immer um eine Professionalisierung dessen, was noch nicht professionell ist. Deswegen sind wir hier ja auch mal zusammengekommen. Ich dachte: Man muss DJ Bobo im Magazin XY einfach den Platz wegnehmen. Das war meine Motivation: Mitzugeigen in dem Konzert derer, die das als Majors superstrategisch betreiben.

Ist in den letzten zehn Jahren also die Leidenschaft mehr dem Kalkül gewichen?

Lütz: Tja, ich habe zusätzlich zu dem Label noch einen Verlag gegründet, weil ich gemerkt habe, dass diese Verlagsdeals mittlerweile fast unumgänglich sind. Dass Wüstenrot etwas von einem lizensiert zum Beispiel, das war vor fünf Jahren noch eher die Ausnahme, ist jetzt aber ein nicht unwesentlicher Beitrag zum Gesamtumsatz.

Dommert: Man hat halt jetzt einen administrativen Apparat am Hals, den man in den ersten drei Jahren noch nicht so hatte - Steuer, Künstlersozialkasse, Gema und den ganzen Kram. Da wird man schon auch strategischer, oder härter - oder realistischer.

Hillmann: Man erreicht mittlerweile einfach mit sehr viel weniger Aufwand sehr viel mehr - und sehr viel schneller. Immer nur Selbstausbeutung macht ja auch keinen Spaß.

Möbius: Was am Anfang noch wahnsinnig spannend war, ist jetzt nicht mehr so spannend. Irgendwann stehen die Netzwerke. Joballtag. Um die Lust an der Sache nicht zu verlieren, braucht man persönliche Strategien: Mehr auf Konzerte gehen, sich mit den Künstlern treffen, abends richtig Musik hören, nicht nur so nebenbei im Büro. Man muss sich da tatsächlich vor dem Burn-out bewahren. Im Kontakt mit Medienleuten habe ich oft das Gefühl, dass ich mit Medienopfern spreche. Leute, die vor ein paar Jahren noch durchdrungen waren von den Sachen - denen das aber immer egaler wird.

Lütz: Das kommt mir total bekannt vor. Man hat das Gefühl, dass die Leute total überfüttert sind. Irgendwas stimmt da nicht, gerade bei Journalisten.

Was hat sich denn da draußen an den Strukturen geändert in zehn Jahren?

Dommert: Die Vertriebsstrukturen, die sind vollkommen kaputt. Das liegt daran, dass sich der physische Tonträgermarkt im Vergleich zu früher auf zehn Prozent des alten Umfangs reduziert hat. Dass die jungen Leute illegal downloaden weiß ja jeder. Da hängt aber trotzdem ein riesiger Rattenschwanz dran. Die Leute, die für uns den Japanvertrieb gemacht haben zum Beispiel, die sind einfach nicht mehr da. Und das ist genauso in Polen oder Spanien und so weiter.

Hillmann: Auch bei unseren Lesern - oder sagen wir mal: Usern - hat sich das Nutzungsverhalten komplett verändert. Nicht, weil man heute ganz andere Sachen hört, sondern weil man schneller auf Musik zugreifen kann. Man kommt schneller an Musik ran, es ist mehr Musik um einen rum, die Genres haben sich aufgelöst. Labels sind ja heute nicht mehr einfach nur Techno-Label, sondern eher so Pools.

Möbius: 1997 war alles noch viel eindeutiger. Man wusste: Das ist ein Drum-n-Bass-Hörer, so sieht der aus. Heute ist durch diese großen Zugriffsmöglichkeiten sowohl eine Genreauflösung eingetreten als auch eine große Gleichgültigkeit - ich glaube aber, eher als Schutzreaktion.

Habt ihr überhaupt Lust, euch noch mal umzustellen auf neue Marktstrukturen? Auf Online-Vertrieb, Konzertbooking als Einnahmequelle, Lizensierung an Film und Werbung?

Lütz: Ich bin schon manchmal ganz schön angepisst und beobachte die Entwicklung eher kritisch. Aber ich kann erst mal nicht mehr machen, als nur zu reagieren.

Dommert: Manchmal fragt man sich schon: Was mach ich da? Weil: Ich habe ja angefangen und wollte Platten machen. Und jetzt stehe ich da und soll Excel-Tabellen von MP3-Downloads und -Streams auswerten. Das ist natürlich schon ein Unterschied!

Hillmann: Immerhin hat man nach zehn Jahren so viel Erfahrung, dass man mit seinem Medium einen Orientierungspunkt setzen kann, der schwerer wiegt als das, was noch neue, junge Leute in einen Blog stellen.

Wie würdet ihr das beschreiben, was euch verbindet?

Lütz: Wir sind alle Jungs!

Dommert: Und begeistern uns alle für Musik!

Also, wenn wir uns 1997 hingesetzt hätten mit Leuten, die 1987 irgendetwas angefangen haben, dann wäre das Verhältnis zur Musikindustrie sicher ein Thema gewesen: Arbeitet man mit oder gegen die? Wie stellt sich das heute dar? Karaoke Kalk macht heute Deals mit Wüstenrot, die "De:Bug" schaltet Anzeigen der Telekommunikationsbranche. Lässt sich aus dem Verhältnis zur Musikindustrie noch eine gemeinsame Haltung ableiten?

Lütz: Ich habe wirklich keine Berührungsängste, wenn ich weiß, dass es der Musik weiterhilft. Es ist nicht mehr angebracht, irgendwelche Feindbilder zu haben. Ich vertrete ja auch nicht nur meine, sondern auch die Interessen der Künstler, deswegen muss es darum gehen, die größtmögliche Aufmerksamkeit zu bekommen.

Hillmann: Nach zehn Jahren muss man sich ja auch nicht mehr so abgrenzen. Wir sind ja immerhin auch ein anzeigenfinanziertes Blatt, von daher dürfen wir keine Berührungsängste haben. Für mich ist das eine professionelle Auffassung von Zeitschriftmachen.

Dommert: Ich empfinde die Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren schon eher so, dass man wackelt, dass man wieder die Ellbogen ausfahren muss und sich fragt: Wo gehts jetzt lang? Trotzdem ist man natürlich nicht mehr so drauf wie ein junges Breakcore-Label, das seine Platten ganz non-profit-mäßig zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellt.

Möbius: Eigentlich sind wir Turbokapitalisten. Die es aber immer noch tierisch freut und die es als subversiv empfinden, wenn sie ein Sonig-Stück ins Radio hieven.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!