Unabhängige Patientenberatung vor dem Aus: Kommerzielle Autonomie
Der oft gelobten unabhängigen Patientenberatung in Bremen droht die Abwicklung, weil anderenorts nun eine kommerzielle Firma die Aufgabe übernimmt.
Hintergrund ist die Entscheidung, dass die Firma Sanvartis ab dem kommenden Jahr in Deutschland die Patientenberatung betreiben darf. Bezahlen müssen dies laut Sozialgesetzbuch die Krankenkassen – es geht dabei um neun Millionen Euro in den kommenden sieben Jahren. Das Geld fließt nun – aller Wahrscheinlichkeit nach – in das profitorientierten Unternehmen Sanvartis, das Call-Center für Krankenkassen betreibt und für Pharmafirmen sowie Medizinproduktehersteller arbeitet. Welche Pläne Sanvartis für Bremen hat, ist offen.
Quante-Beandt „bedauert“ die – noch nicht rechtskräftige – Entscheidung zugunsten von Sanvartis. Zugleich „erwartet“ die Gesundheitssenatorin, dass die Firma „die Unabhängigkeit“ der Patientenberatung gewährleistet. Und dass sie das in Bremen bestehende und „erfolgreiche“ Angebot „aufrecht erhält“.
Ob das weiter besteht, ist derzeit „völlig offen“, sagt Elisabeth Goetz, Ärztin und Geschäftsführerin der Bremer Patientenberatung. Die Einrichtung gibt es schon seit 1998, anderswo aber erst seit 2006. Die hiesige Beratungsstelle ist auch nicht Teil des bundesweiten Netzwerks der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD).
Die hat 21 Filialen und wird bislang von den Verbraucherzentralen sowie dem Sozialverband VDK getragen. Ab dem kommenden Jahr sollte auch die Bremer Institution integriert werden. Doch nun unterlag die UPD in einer europaweiten Ausschreibung gegen Sanvartis. Wie es in Bremen weiter geht, ist frühestens Ende des Monats klar.
Das Problem: Die Bremer Krankenkassen zahlen bislang sowohl für die bundesweite Patientenberatung der UPD als auch für die autonome Bremer Einrichtung, in diesem Falle zusammen mit dem Gesundheitsressort, dem Magistrat Bremerhaven, der Ärzte- sowie der Psychotherapeutenkammer und der Bremer Krankenhausgesellschaft.
Diese Doppelfinanzierung durch die Krankenkassen könne „nicht auf Dauer“ bestehen bleiben, heißt es bei der AOK, andererseits leiste die Bremer Patientenberatung „hervorragende Arbeit“. Die AOK würde sie deshalb „gern erhalten“, so ein Sprecher. Auch beim Verband der Ersatzkassen (VdEK) – wo man ebenfalls nur Lob hört – ist „noch keine Entscheidung“ über die Zukunft der Beratungsstelle gefallen.
Deren Mitarbeiterinnen jedenfalls wollen nicht für Sanvartis arbeiten. Und die grüne Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther hält eine Kooperation der Bremer Organisation mit Sanvartis für „völlig falsch“. Es sei „höchst fraglich“, ob das Unternehmen „unabhängig und bürgernah“ beraten könne, so die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.
In einem gestern von der Grünen-Fraktion beschlossenen Antrag „appelliert“ sie an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung Karl-Josef Laumann (CDU) und „bittet“ den rot-grünen Senat, sich im Bund sowie beim Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) „dafür einzusetzen, dass weiterhin eine unabhängige, neutrale, dezentrale und persönliche Beratung für PatientInnen gewährleistet wird“.
Im Gesundheitsressort allerdings will man Sanvartis „nicht verteufeln“ und auch nicht zwangsläufig am lokalen Sonderweg festhalten. Und die GKV ist ohnehin von Sanvartis‘ Qualitäten überzeugt. (Hier gehts zur Mitteilung der GKV: https://www.gkv-spitzenverband.de/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_289496.jsp)
In der Bremer Patientenberatung (http://www.patientenberatung-bremen.de) werden bislang rund 4.000 Personen im Jahr beraten, in bis zu 6.000 Gesprächen. Insgesamt arbeiten auf knapp zwei Stellen vier Mitarbeiterinnen.
Zur Unabhängige Patientenberatung Deutschland: http://www.patientenberatung.de
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