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Un-erhörte Klänge statt säuselnder Gesänge

Mit sogenannten subliminal tapes verspricht der Münchener Heilpraktiker Erhard F.Freitag besseres Schlafen/ Tontechniker haben den „im hochkomplizierten Verfahren“ hergestellten Kassettenklängen gelauscht und nichts Hörbares aufgespürt  ■ Von Colin Goldner

Millionen Bundesbürger leiden unter Schlafstörungen. Pillen, Tropfen und Schafezählen gehören wohl zu den bekanntesten Mitteln, wieder in den Schlaf zu fallen. Ein neuartiges Heilmittel verspricht in flächendeckenden Zeitungsanzeigen die Augsburger „Edition Kraftpunkt“: ein Tonband-Kassettenprogramm des Heilpraktikers Erhard F. Freitag.

Freitag hat im Zuge eines verlorenen Millionenprozesses — unter anderem wegen sexueller Übergriffe auf Patientinnen — seine Münchener Esoterik-Praxis zusperren müssen. Seither ist es etwas still um ihn geworden. Jetzt versucht er ein Comeback: Ein neues Buch und eine Wiederauflage seiner Tonband-Kassetten mit dem verheißungsvollen Titel „Besser schlafen“.

Neben ganz normalen Musik- Cassetten (MC), auf denen in endloser Folge „positive Suggestionen“ zu hören sind — wie „Ich bin ein offener Kanal, durch den göttliche Energie strömt... Ich bin ein strahlendes Wesen aus Licht und Liebe...“ —, bietet Freitag auch sogenannte subliminal tapes feil. Es handelt sich dabei ebenso um MCs, auf denen entweder klassische Musik von Mozart oder indefinibles Unterhaltungsgedudle zu hören ist, wahlweise auch „Naturgeräusche“ wie Meereswellen oder Vogelgezwitscher. In einem „hochkomplizierten technischen Verfahren“ würden nun diese Geräusche beziehungsweise die Musik mit unterschwelligen, sogenannten subliminalen Suggestionsformeln — „Ich bin erfolgreich“, „Ich erreiche jedes Ziel“, „Gott liebt mich“ usw. — unterlegt. Für das menschliche Ohr nicht hörbar, daß heißt, unter Umgehung des kognitiven Wachbewußtseins, würden diese Botschaften direkt ins Unterbewußtsein eindringen und dort ihre „segensreiche Wirkung“ entfalten. Solch „umwälzende Technologie des Computer- Zeitalters“, wie es im verquasten Sprachduktus der einschlägigen Esotherik-Medien heißt, ermögliche es, jedwedes Problem sozusagen „von innen heraus“ zu lösen. Es sei keine jahrelange therapeutische Bemühung mehr vonnöten, weder Disziplin noch Ausdauer. Man brauche nur noch eine Kassette in den Rekorder zu legen und „Wunder würden geschehen“, verspricht Freitag.

Ernstzunehmende Belege für die „unerhörte Wirksamkeit“ der subliminal tapes bleiben deren Hersteller bis heute schuldig. Statt dessen werden „Dankesbriefe begeisterter Kunden“ angeführt. Die Behauptung Freitags, bei nicht weniger als 88Prozent der Probanden einer nicht näher bezeichneten „Langzeitstudie“ seien nach entsprechend häufigem Hören der Kassetten eindeutig „positive Resultate“ zu verzeichnen gewesen, ist völlig substanzlos.

Um herauszubekommen, was denn nun wirklich unterhalb der hörbaren Musik, oder auch „eingewoben“ in diese, auf den Bändern „drauf“ sei, haben verschiedene Münchener Tonstudios einige von ihnen getestet. Bei den meisten Tonbändern ist außer den wahrnehmbaren Geräuschen überhaupt nichts festgestellt worden. Lediglich bei einer Untersuchung — in einem Tonstudio des Bayerischen Rundfunks — ist eine sogenannte Schwebung im Infraschallbereich von etwa 0,5 bis 1,5 Herz registriert worden, eine näher nicht differenzierbare leichte Verfremdung. Darüber hinaus sind unrhythmische Schwankungen der Lautstärke zu hören gewesen, die der Musik eine Art „Wahwah“-Effekt verleihen. Fazit des Tonstudios: Eine definitive Beurteilung ist nicht möglich. Außerdem sind die gängigen Lautsprechersysteme zwischen 35 und 20.000 Herz ausgelegt, und damit lassen sich darunterliegende Impulse auf den tapes ohnehin nicht wiedergeben.

Über die „aufwendigen Mischverfahren“ der tapes schweigen sich die Hersteller aus. Ein Tontechniker, der die Bänder untersucht hatte, vermutet, daß das ganze Geheimnis im allersimpelstem Zusammenschneiden zweier Tonbandspuren liegt: Auf der einen Spur sei die Musik und auf der anderen befänden sich irgendwelche — in der Lautstärke reduzierten — „Suggestionen“. Zusammengeschnitten höre man dann nur noch die höhervolumige Musik, die Suggestion sei bestenfalls noch in „homöopathischen Dosen“ vorhanden. Mit jedem einfachen Zweispurgerät lassen sich solche subliminal tapes herstellen.

Durch die Ergebnisse der tontechnischen Untersuchungen erübrigt sich eigentlich die Frage, ob das Ohr überhaupt unterschwellige Impulse aufnehmen kann. Anders als bei visueller Wahrnehmung, bei der Lichtreize direkt auf die Netzhaut beziehungsweise den Sehnerv treffen, müssen bei auditorischer Wahrnehmung eintreffende Schallwellen erst über eine komplizierte „Mechanik“ im Ohr auf das Cortische Organ und die Hörnerven übertragen werden. Wellen mit einer Schwingung von weniger als 20 Herz — hier liegt im allgemeinen die untere Hörschwelle — können diese Mechanik nicht in Gang setzen.

Das Versprechen freilich, mit Hilfe einiger simpler Tonband-Sprüche — noch dazu unhörbarer! — die „Kraft der inneren Ruhe und Gelassenheit“, so Heilpraktiker Freitag, zu erlangen, hat tatsächlich Wunder bewirkt: Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich das Geschäft mit den subliminal tapes zum Big Business. Allerdings mußte die Branche einen herben Einbruch hinnehmen, als die Zeitschrift Psychologie heute in ihrer Novemberausgabe 1988 den „unterschwelligen Betrug“ aufdeckte. Mit großem Werbeaufwand sollen die Ladenhüter nun doch noch unters Volk gebracht werden. Mit der sogenannten „Whole-Brain-Technik“ sollen Schlaflose in den Schlaf fallen. Wie das angeblich funktioniert, erfährt der Interessierte aus einer Demo-Kassette: Auf dem linken Stereo- Kanal seien die Suggestionen rückwärts aufmoduliert, daß heißt, „gihur znag nib hci“. Die rechte Hirnhemisphäre als Zugang zum Unterbewußtsein sei in der Lage, den rückwärtsgesprochenen Text automatisch umzudrehen. Die linke Hirnhälfte, Sitz der Abwehrmechanismen, werde über den rechten Kanal ausschließlich mit bestätigenden Suggestionen angesprochen, wie „Es ist o.k., entspannt zu sein“. Überdies würden die — unhörbaren! — Suggestionen im Kanon von einer Männer-, einer Frauen- und einer Kinderstimme gesprochen, so daß das Unterbwußtsein frei auswählen könne, wem es zuhören wolle. Mit dererlei Allotria soll auch der Wissenschaftlichkeit Genüge getan werden. Das „Ruhig-schlafen“-Programm von Erhard Freitag — „Ich schlafe friedlich. Mein Schlaf ist gut, friedlich und erholsam“ —, kostet 39,90 Mark. „Höchst empfehlenswert“, so die Edition Kraftpunkt, ist die „Kombination mehrerer Titel“: 94 verschiedene Subliminal-Programme vom „Glück-und-Harmonie-in- der-Beziehung“ bis zum „Erfolgreich-Golf-spielen“ für schlappe 2.661,20 Mark.

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