Umgang mit der AfD in Berlin: „Demokratie beruht auf Dialog“
Berlins AfD-Wähler sind den Trump-Wählern gar nicht so unähnlich, sagt Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
taz: Herr Gill, sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Trump-WählerInnen in den USA und AfD-WählerInnen hierzulande?
Thomas Gill: Clinton hat die Wahl in den großen Industriezentren verloren, offensichtlich hat die Arbeiterschaft eher Trump gewählt. Und es scheint auch hier so zu sein, dass viele Arbeiter oder prekär Beschäftigte die AfD gewählt haben – aber keineswegs nur die.
Wie erklären Sie das?
Angst vor dem sozialen Abstieg kann man haben, egal auf welcher Sprosse der Leiter man sich befindet. Da entsteht bei einigen die Hoffnung, durch Ausgrenzung von anderen die eigene Position zu sichern. Das ist Trumps Strategie und die des Rechtspopulismus insgesamt. Dazu kommt eine Art Protestbotschaft, die lautet: Wir wollen nicht mehr so regiert werden wie bisher, wir fühlen uns nicht repräsentiert. Das ist glaube ich auch für Berlin eine große Herausforderung.
Inwiefern?
Es gibt auch hier einen nicht geringen Bevölkerungsanteil, der den Eindruck hat, in der Politik nicht mehr vorzukommen, nicht gehört zu werden, nicht gemeint zu sein. Ob rechtspopulistische Parteien das tatsächlich anders machen oder besser können, sei dahingestellt. Die AfD hat ja im Moment noch den Vorteil, bislang nirgendwo politische Verantwortung zu tragen. Aber die vage Hoffnung, dass die AfD ihre Interessen vertritt, besteht bei den WählerInnen offenbar.
Was nährt diese Hoffnung?
Rechtspopulismus lebt von einfachen Antworten auf komplexe Zusammenhänge und dem Versuch, den Maßstab dessen, was sagbar ist, zu verschieben. Man darf aber keinen Dialog erwarten und auch kein Interesse an Dialog. Es ging ja auch Trump im Wahlkampf nicht um den Austausch von Argumenten. Das verhindert genau das, was den Kern der Demokratie ausmacht: die gemeinsame Suche nach den besten Lösungen.
Ist das eine Bedrohung für die Demokratie?
Die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei. Sie transportiert aber eine antipluralistische Demokratievorstellung.
Die lautet?
Die lautet: Wir sind das Volk – und zwar nur wir. Wobei dieses Wir die Rechtspopulisten und ihre AnhängerInnen umfasst und etwa die jetzt Regierenden schon ausschließt, weil sie das Volk ja eben nicht mehr repräsentierten. Oft ist das aufseiten der WählerInnen verbunden mit sehr hohen Erwartungen an die Politik beziehungsweise daran, dass diese gerade die eigenen Forderungen erfüllt. Da fehlt das Verständnis dafür, dass Demokratie etwas ist, was man eben auch aushalten muss: dass es andere Meinungen gibt. Demokratie beruht auf Dialog, nur so funktioniert sie.
Wie kann man dieses Verständnis wieder herstellen?
Das ist eine der großen Aufgaben gerade auch für die politische Bildung in Berlin, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Bevölkerungsgruppen erreicht, die den Eindruck haben, sie seien nicht mehr gemeint. Das sind sehr verschiedene Gruppen, die aber eint, dass sie sich als marginalisiert oder vernachlässigt betrachten und deren Lebensalltag belastet ist. Die können oft nicht mithalten bei dem, was erwartet wird, um am politischen Leben teilzuhaben.
Thomas Gill leitet seit Mai 2014 die Berliner Landeszentrale für politische Bildung, zuvor langjährige Tätigkeit in der außerschulischen politischen Jugendbildung.
Was ist das?
Man muss bestimmte sprachliche Codes beherrschen, man muss Zeit dafür haben, seine Anliegen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten auf bestimmte Art und Weise zu artikulieren. Wobei mir wichtig ist zu sagen, dass die, die das nicht können, keineswegs alle rechtspopulistische Parteien wählen, und dass nicht alle WählerInnen rechtspopulistischer Parteien zu diesen Marginalisierten gehören. Trotzdem ist es eine wichtige Aufgabe in Berlin, darüber nachzudenken, wie man diese Gruppen wieder zu politischer Beteiligung bringt.
Trump und die AfD schaffen das ja offenbar.
Wenn ich die Analysen der Wahl- und Parteienforscher richtig verstanden habe, ist die Wahlentscheidung für Trump oder die AfD eher eine Art, Protest auszudrücken, verbunden mit der Hoffnung, dass da jemand ist, der die eigenen Interessen vertritt. Dazu kommt, dass sowohl bei Trump wie bei der AfD keine politische Vergangenheit vorliegt: Da ist bisher noch nichts an politischen Fehlern oder Versagen, die man ihnen vorwerfen kann. Und ob die AfD ein dauerhaftes Phänomen ist, ist eine ganz andere Frage. Im Moment gelingt es ihr, ein sehr heterogenes Spektrum zu erreichen. Doch sie hat ein Rechtsextremismusproblem, sie versagt bei der Abgrenzung nach rechts. Aber der Rechtspopulismus ist ein Symptom, nicht die Ursache für die Probleme, die wir mit unserer Demokratie haben und die wir lösen müssen.
Und wie lösen wir die?
Etwa indem wir mehr echte Beteiligungsmöglichkeiten schaffen und die Menschen, die sich als abgehängt empfinden, in politische Verfahren einbeziehen. Wir brauchen mehr Partizipation. Die Teilhabebereitschaft und die Teilhabeerwartung sind gestiegen. Es gab vor drei oder vier Jahren eine Umfrage unter anderem zum Thema Mitbestimmung unter Kindern und Jugendlichen. Da gaben 70 Prozent der Befragten an, dass sie in der Familie an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden. Bezogen auf Schule und ihre Lebensumfeld etwa im Kiez lag der Anteil derjenigen, die sagten, sie können da mitbestimmen, bei unter 15 Prozent. Da ist noch jede Menge Luft nach oben, und ich glaube, bei Erwachsenen ist das nicht viel anders.
Warum ist das ein Problem?
Wer an wesentlichen Orten, wo er sein Leben verbringt, bei relevanten Fragen nicht mitentscheiden darf, empfindet eine Unzufriedenheit, die auch berechtigt ist. Es würde sich lohnen, darüber nachzudenken, wo man mehr Beteiligung herstellen, Betroffene einbeziehen kann – und sie so stärkt, dass sie diese Instrumente auch wahrnehmen können. Es geht darum, gesellschaftlichen Zusammenhang herzustellen.
Den sehen Sie bedroht?
Ja. Es beteiligen sich – etwa in Fernsehtalkshows – ja längst auch Politiker anderer Parteien an Auseinandersetzungen auf eine Art, die an das verrohte Kommunikationsniveau in sozialen Netzwerken erinnern. Umgangsformen werden nicht mehr beachtet, der andere wird niedergebrüllt, seine Meinung entwertet, statt Argumente auszutauschen – und das wird dann als Tabubruch legitimiert. Da muss man tatsächlich nicht nur darauf achten, dass man sich nicht den Stil verderben lässt, sondern auch, dass Menschenrechte eingehalten werden.
Was empfehlen Sie für den Umgang mit den AfD-Vertretern im Parlament und den Bezirksverordnetenversammlungen?
Ich empfehle generell, an Fachfragen zu arbeiten, an Inhalten. Nicht an Personen.
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