Ulrich Gutmair über NDW und Migration: „Alles ist so teuer geworden“

taz-Redakteur Ulrich Gutmair spricht in Bremen über Untergrund-Musik, urbane Räumen und die Rolle von Mi­gran­t*in­nen für Punk und NDW.

Ein Mann singt auf einer Bühne

Hat mit „Militürk“ den besten deutschsprachigen Punksong geschrieben: Gabi Delgado-López Foto: Jörg Carstensen/dpa

taz: Ulrich Gutmair, welcher ist der beste deutschsprachige Punksong über eine Stadt?

Ulrich Gutmair: Ich finde einer der besten überhaupt ist „Militürk“ über Westberlin.

… berühmt geworden in der Version von Fehlfarben 1980

Ja, aber geschrieben hat ihn 1979 Gabi Delgado-López, der später mit der Band Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) bekannt wurde. Ich vermute, „Militürk“ ist der erste Text von ihm, der vertont wurde. Es geht um Subkultur in Westberlin und Agenten aus Ostberlin und er ist immer noch cool zu hören.

Der Refrain „Wir sind die Türken von morgen“ ist auch der Titel Ihres neuen Buchs. Darin geht es um die Mu­si­ke­r*in­nen der Neuen Deutsche Welle (NDW). Sie fordern das Bild einer vornehmlich weißen Szene heraus.

Es ist interessant, dass sich früher anscheinend niemand darüber Gedanken gemacht hat, dass viele Mu­si­ke­r*in­nen der NDW nichtdeutscher Herkunft waren, wie Delgado-López oder Angelo Galizia von The Wirtschaftswunder.­ Man könnte denken, das wurde übersehen. Ich würde aber sagen, dass es weniger eine Rolle gespielt hat, woher die Leute kamen, weil es im Punk darum ging, sich neu zu erfinden.

55, Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert.

Ist es nicht trotzdem wichtig, heute auf diese Prot­ago­nis­t*in­nen hinzuweisen?

Ja! Je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr Personen findet man. Außerdem ist es faszinierend, wie viele frühe Punk- und NDW-Songs Deutschland als neues Einwanderungsland beschreiben.

Welche?

Es gibt mehrere Stücke von The Wirtschaftswunder, die sich mit Migration befassen. Ihr Sänger Angelo Galizia kam 1971 mit 17 Jahren nach Deutschland. Seinen Akzent setzte er bewusst als Stilmittel ein. In einigen Songs geht es auch inhaltlich darum, dass Deutsch nicht seine Erstsprache ist, etwa in „Analphabet“. Er hat auch ein Gastarbeiter-Lied gesungen, „Heimweh“ über seinen Heimatort Biancavilla in Sizilien. Ein anderes Beispiel von einer weniger bekannten Band ist „Deutsche Land“ von Rotzkotz aus Hannover. Da geht es um Asylpolitik und um Deutschland als ­„Gefühlskrankland“.

Welche Rolle spielen urbane Räume für Musik abseits des Mainstreams?

Eine wichtige. Im Berlin der 1990er-Jahre ist das offensichtlich: Weil die Mauer gefallen war, gab's viel Platz. Es wurden Häuser besetzt oder zur Zwischennutzung freigegeben. Es gibt ganz klar einen Zusammenhang zwischen der Blüte der Technokultur im Berlin der frühen 1990er und der Situation, dass es Platz in der Innenstadt gab. Auch im Punk sind Städte wichtig. Bis heute schreiben Bands oft Lieder über die Städte, in denen sie wohnen. Für die Lesung in Bremen habe ich ein paar Platten rausgesucht, mit Songs über die Anbindung von Bands an ihre Stadt.

Heute bedrohen steigende Mieten und Gentrifizierung Räume für Kultur. Ist musikalischer Untergrund bald Geschichte?

Vortrag in der Reihe „Stadt und Rock'n'Roll“: Mo, 18.12.23, 19 Uhr, im Heartbreak-Hotel, Fehrfeld 30, Bremen

Berechtigte Frage. In Berlin ist es so, dass die Clubszene tendenziell immer weiter in die Peripherie ausweichen muss. Aber ich finde es interessant, dass Leute trotzdem immer noch Nischen für Kultur finden. Das Problem ist weniger, dass Orte fehlen, sondern dass alles so teuer geworden ist. Früher konnte man mit quasi gar keinem Geld super interessante Räume betreiben, die nicht kommerziell sein mussten, etwa weil man keine oder kaum Miete bezahlte. Da kamen ein paar Mark rein durch Bierverkauf und alle waren glücklich. Ich würde sagen, das geht so heute nicht mehr. Spontaneität und ein gewisses Experiment sind weniger möglich.

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