Ukrainisches Viertel in den USA: Little Odessa am Atlantik
In New York hat die ukrainische Diaspora viele Spuren hinterlassen. Sie spiegeln sich auch im Verhältnis der USA zur Ukraine wider. Ein Ortsbesuch.
Im Ukrainian Village erinnert heute nicht mehr allzu viel an die Namensgebung. Gelegen in Manhattan, dem prominentesten und teuersten Stadtbezirks von New York, wehen rund um die Second Avenue vereinzelt blau-gelbe Fahnen. Im Diner Veselka werden allerdings nach wie vor Borschtsch und Wareniki serviert.
Ansonsten ist der Straßenzug kaum von den umliegenden zu unterscheiden. In den Eckhäusern haben sich New-York-typische Sandwichläden breitgemacht, höherpreisige Asian-Fusion-Restaurants dominieren das Bild. Auch der steigenden Mieten wegen wohnt heute ein Großteil der ukrainischstämmigen New Yorker:innen rund 18 Kilometer weiter südlich, in Brighton Beach auf Coney Island. Hier, an der Endstation der U-Bahnlinie B, sieht man schon von der Plattform der stählernen, rostig-grünen Haltestelle den Atlantik und kyrillische Buchstaben an jeder Hausfront.
Russisch dominiert auf den Straßen, Ukrainer, Russinen, Georgier und andere Bürger:innen aus der ehemaligen Sowjetunion leben hier nebeneinander. Die Solidarität mit der angegriffenen Ukraine scheint hoch, in einigen Geschäften hängen handgemalte Schilder, die von Spenden in die alte Heimat künden.
Düster und gewaltvoll
„Little Odessa“, wie das Viertel auch genannt wird, hat der Filmregisseur James Gray ein filmisches Denkmal gesetzt. Kein leuchtendes; Grays „Little Odessa“ (1994) ist düster und gewaltvoll. Ukrainisches Leben taucht in New York an verschiedenen Stellen im Stadtbild auf – und hat in der Kunst jeweils verschiedenste Blaupausen hinterlassen. So zogen Holocaustüberlebende, auch aus sowjetischen Gebieten, nach dem Zweiten Weltkrieg in großer Zahl nach Brooklyn. Im Stadtteil Williamsburg dominieren heute orthodoxe Jüd:innen das Stadtbild, stellenweise teilen sie sich Straßenzüge mit jüngeren New Yorkern, die mitsamt ihrer Bars und Cafés in das Viertel migrierten.
Von den vielen jüdischen Migranten, die es um 1900 in die neue Welt zog, lebten so einige zuvor auf ukrainischem Gebiet, etwa in Galizien, das Joseph Roth so oft zum Mittelpunkt seiner Erzählungen machte, und von wo aus sein berühmtester Protagonist, Mendel Singer, mit seiner Familie in die USA auswandert.
Beispielloses Zeugnis ostjüdischen Lebens in New York ist auch der Roman „Der Gehilfe“ von Bernard Malamud, Sohn von aus dem russischen Zarenreich emigrierten jüdischen Eltern, der den tristen Alltag eines Lebensmittelhändlers im Brooklyn beschreibt. Und auch „Little Ukraine“ in Manhattan hatte seine Dichter. „After midnight, Second Avenue horseradish Beef at Kiev’s wood tables“, beginnt der Beatpoet Allen Ginsberg sein Gedicht „Hard Labor“ über das inzwischen geschlossene Restaurant „The Kiev“. Ginsberg lebte einst ganz in der Nähe.
Neo-byzantinische Kirche
An die Blütezeit ukrainischen Lebens mitten in New York erinnert heute noch die große neo-byzantinische St.-Georg-Kirche am Taras Shevchenko Place. Unmittelbar in der Nähe ist das Ukrainische Museum, das aktuell im Zeichen des Krieges steht. Die Galerie ist verdunkelt, Gemälde lassen sich nur mit der Taschenlampe betrachten. Licht kommt einzig von groß an die Wand projizierten Videos des Kollektivs Babylon ’13, sie zeigen Szenen aus dem Kampfgebiet. Männer, im Laub liegend, zielen auf russische Panzer, die in der Ferne durch den Nebel gleiten.
Man hört sie atmen, schließlich fluchen, als der erste Schuss daneben geht. 7.500 Kilometer von den Kampfhandlungen entfernt soll die Ausstellung die Besucherin in eine Galerie im Kriegsgebiet transportieren. Die Ausstellungsobjekte sind alle noch da, geraten im Angesicht des Kriegs jedoch zur Nebensache.
Bilder des ukrainisch-amerikanischen Malers Mikhail Turovsky zum Holodomor, im Halbdunkel besonders gräulich, zeugen ebenso von der Geschichte des Landes wie 100 Jahre alte Trachten und Keramik; sie wurden von der Wirklichkeit überholt. Eine Reihe von Gemälden aus den 1970er und 1980er Jahren zeigen harmlos Blumen in verschiedenen Schattierungen und Farben – und die Unmöglichkeit eines Nebeneinanders von Krieg und Kunst.
Bilder mit Geschichte
Kleinformatige Bilder des polnischen Malers Nikifor, auf denen Städtchen und Dörfer in Serie zu sehen sind, rufen in Erinnerung, wie oft eben jene Städte und Dörfer im Laufe der Jahre zerstört und wieder aufgebaut worden sind. Krieg, auch das zeigt die Ausstellung, gehört ebenso zur Geschichte wie die Kulturgüter, die sie produziert.
Die Ukraine war im letzten Jahrhundert mehrmals Schauplatz von Kriegen, im Ersten Weltkrieg nahm die Armee des Deutschen Kaiserreichs das Gebiet ein, im Zweiten Weltkrieg überfiel Nazi-Deutschland das der noch jungen Sowjetunion zugehörige Land. Dazwischen hatte die Bevölkerung unter dem Polnisch-Ukrainischen Krieg sowie dem Russischen Bürgerkrieg zu leiden. Kriege, Hunger, Pogrome – Migrationswellen aus dem Gebiet der heutigen Ukraine gab es in den letzten 150 Jahren zuhauf.
Die USA beheimatet heute die zweitgrößte ukrainische Diaspora der Welt (nach Russland). Während sich der Großteil der Migrant:innen und ihrer Nachkommen weiterhin auf Metropolregionen konzentriert (New York, Chicago, Seattle), haben sich im Laufe der Jahre auch im ländlichen Amerika kleinere Ballungszentren gebildet, in Ohio zum Beispiel. US-Amerikaner:innen mit osteuropäischem Hintergrund wählen tendenziell konservativ, darin sind sie amerikanischen Medien zufolge Exil-Kubaner:innen ähnlich, die eine ausgeprägte Abneigung gegen Kommunismus haben. Ob sich diese Tradition jedoch fortsetzt, kann momentan bezweifelt werden.
Große Wählerwanderung
Schon bei den Midterm-Wahlen vor zwei Monaten vollzogen US-Bürger mit ukrainischem Background den „political shift“, wie die Kyiv Post berichtete, hin zu Amtsinhaber und Präsident Joe Biden. Grund dafür ist die Unterstützung für die Ukraine, die zwischen den beiden großen Parteien zunehmend zum Streitpunkt geraten ist.
Die USA sind das Land, aus dem die Ukraine am meisten Unterstützung erfährt, finanziell wie militärisch. Eine Rolle, die in der Republikanischen Partei nicht allen gefällt. Von einem „Blankoscheck“ war empört die Rede, Ex-Präsident und Wieder-Kandidat Donald Trump tönte gar, „nicht einen Penny“ gäbe es für die Ukraine mehr unter seiner Führung.
Nun verliefen die Midterms für die Republikaner deutlich schlechter als erwartet und auch Trump erleidet gerade Rückschlag um Rückschlag. Doch der Trump’sche Irrsinn hat schon zuvor fruchtbaren Boden gefunden, wo man es nicht mehr vermutete. Immerhin überstand er Anfang 2020 das erste von zwei Amtsenthebungsverfahren; einem Verfahren, dem sich erst drei Präsidenten jemals stellen mussten. Im Fokus stand damals die Ukraine.
Fragwürdiger Freispruch für Trump
Die Affäre drehte sich um ein Telefonat, bei dem Trump den frisch gewählten Präsidenten Selenski bat, belastendes Material zu Joe Biden und dessen Sohn zu beschaffen, während die US-Regierung 400 Millionen an Militärhilfe zurückhielt. Hunter Biden trat 2014 dem Aufsichtsrat von Burisma bei, einer ukrainischen Gasholding, die einem umstrittenen Minister der Regierung des nach den Protesten auf dem Maidan abgesetzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch gehörte, während sein Vater unter Obama für die Ukrainepolitik der USA verantwortlich zeichnete. Am Ende wurde Trump freigesprochen, doch die Affäre nutzt er immer noch, um Stimmung gegen den US-Präsidenten zu machen. Heute vermutet er belastende Informationen in den Händen Putins.
Indessen scheint die destruktive Haltung bei den Amerikaner:innen nicht zu verfangen. Wie eine Studie des Chicago Council on Global Affairs zeigt, befürwortet eine Mehrheit weiterhin Bidens Ukraine-Politik: 66 Prozent wollen, dass die Ukraine wirtschaftlich unterstützt wird. Im März waren es freilich noch 78 Prozent. Seit dem jüngsten Besuch Selenskis in Washington scheinen die Bremser in der Republikanischen Partei jedoch leiser geworden zu sein. Selenski, Symbol einer kämpferischen Ukraine, die „alive and kicking“ ist, wurde im US-Kongress mit Standing Ovations bedacht.
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