Ukrainischer Exilant über den Maidan: „Die Opposition bremst die Revolution“
Der Maidan gehorche Oppositionsführern wie Klitschko nicht mehr, sagt der geflohene Führer der rechten „Spilna Sprava“, Oleksandr Danylyk.
taz: Herr Danylyk, Sie haben aus Angst die Ukraine verlassen. Was drohte Ihnen?
Oleksandr Danylyk: Der Sicherheitsdienst und das Innenministerium waren schon lange hinter mir her. Es bestand aber auch die Gefahr, von Unbekannten gefangen genommen zu werden. Entweder wäre ich in einer Isolierzelle gelandet oder in irgendeiner Garage, die ich nicht mehr verlassen hätte können.
Ihre Organisation Spilna Sprava wird sowohl von der Regierung als auch von der Opposition beschuldigt, drei Ministerien eingenommen zu haben. Warum ist die Opposition Ihrer Organisation gegenüber so negativ eingestellt?
Was wir machen, ist der effektivste und gewaltfreieste Weg zur Problemlösung. Die Oppositionsführer repräsentieren momentan weder den Maidan noch ihre eigenen Wähler. Im besten Fall sind sie unfähig zu konkreten Handlungen, im schlimmsten sind sie Marionetten von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch oder des Kreml. Die Oppositionsführer haben die Menschen zwei Monate frieren lassen, um dann die Bühne für sich zu monopolisieren. Deswegen ist die Opposition momentan eine Bremse für den Revolutionsprozess. Keines der Gebäude ist besetzt, sie sind alle gemietet.
33, ist Führer der oppositionellen Volksbewegung "Spilna Sprava" (Gemeinsame Sache). Ende Januar flüchtete er nach London.
Machen die Oppositionsführer Oleh Tjagnibok, Arseni Jasenjuk und Vitali Klitschko gemeinsame Sache mit Janukowitsch?
Die Oppositionsführer arbeiten mit Janukowitsch zusammen. Sie sind seine Einflüsterer, die ihm sagen, wie er sich verhalten soll, damit sich der Maidan auflöst. Erste Versuche dafür gab es schon. Zum Beispiel das Amnestiegesetz, als Janukowitsch versprach alle politischen Gefangenen freizulassen unter der Bedingung, dass alles so bleibt wie bisher. Und da war da auch der Vorschlag an Jasenjuk, Ministerpräsident zu werden.
Vor einigen Woche gab der Rechte Sektor bekannt, dass wahrscheinlich schon in der nächsten Zeit eine Neuformierung der Organisation stattfinden werde. Das ließ sowohl die Regierung als auch die Opposition aufhorchen, da die gesteigerte Radikalisierung negative Folgen für den Staat haben kann. In jedem Fall wird der Rechte Sektor ernst genommen - alleine die Zahl der offiziellen Überläufer in den sozialen Netzwerken geht in die Hunderttausende.
Dies sind die wichtigsten Gruppen des nationalistischen Blocks:
Trisub (Deutsch: „Dreizahn“) Trisub ist ein Zusammenschluss kleinerer und größerer patriotischer Gruppierungen. Die militärisch orientierte Organisation wurde 1993 auf Initiative der Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) in der Westukraine gegründet. Ihr Anführer, Dmitrij Jarosch, ist auch zum Führer des gesamten Rechten Sektors ernannt worden.
UNA-UNSO Der Zusammenschluss der Ukrainischen Nationalversammlung (UNA) und der Ukrainischen Nationalen Selbstverteidigung (UNSO) wuchs in den 1990er Jahren zu einer rechten Massenorganisation. 1994 ließ die Regierung die zunehmend radikaleren Aktivisten der Partei in großer Zahl verhaften. Bei der Durchsuchung ihres Büros stellte man fest, dass alleine in Kiew 4.000 Menschen UNA-UNSO beigetreten waren. Ende der 2000er Jahre veränderte sich die Ideologie der Partei hin zum klassischen ukrainischen Nationalismus und wurde etwas gemäßigter.
Belyj Molot („Weißer Hammer“) Zur jüngsten nationalistischen Organisation der Ukraine zählt der Weiße Hammer. Zu ihren ersten Aktionen zählten Pogrome in illegalen Spielsalons in Kiew und Umgebung im September 2013. Ihr Erkennungsmerkmal ist ein weißer Hammer. Im Volk heißen sie "Robin Hoods", in Regierungskreisen "al-Quaida".
Wer kontrolliert denn dann den Maidan, etwa der Rechte Sektor?
Es ist unmöglich, den Maidan zu kontrollieren. Die Protestler werden dem Rechten Sektor, Spilna prava und anderen nur so lange zuhören, wie sie das sagen werden, was ihrer Weltanschauung entspricht. Wenn man sich von der Linie der Protestler entfernt, wird jede beliebige Organisation ihre Autorität verlieren, so wie bereits die Troika der Opposition ihre Autorität verloren hat.
Sie werfen Janukowitsch vor, sich vom Kreml unterstützen zu lassen. Haben Sie russische Spezialtruppen in Kiew gesehen?
Die Spezialeinheiten sind maskiert und reden tun sie nicht mit uns – daher ist es schwer am Akzent zu erkennen, ob es sich um Russen handelt. Meine Freunde aber, die für die Einheiten des Innenministeriums arbeiten, haben mir diese Informationen bestätigt. In manchen leitenden Abteilungen gibt es ganze Etagen voll von russischen Geheimdienstmitarbeitern. Viele Angehörige der ukrainische Spezialtruppen würden ihre Arbeit gerne kündigen, aber sie bekommen Anrufe und ihre Familien werden bedroht.
Was wird nun geschehen?
Die Revolution ist nicht mehr aufzuhalten. Einige ukrainische Politiker werden ihren warmen Sessel räumen müssen. Die Regierung denkt, dass die Leute müde sind und der Maidan sich bald auflösen wird. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Volk hat schon zu viel geopfert, als dass es sich jetzt mit einem kleinen Sieg zufrieden geben würden.
Übersetzung: Ljuba Naminova
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“