Ukrainische Geflüchtete in Polen: Noch willkommen?
Polen galt als Vorbild für die Integration ukrainischer Geflüchteter. Dreieinhalb Jahre später kippt die Stimmung. Ein Besuch in der Großstadt Poznań.
E s ist der 26. Februar 2022 und ein Meer blau-gelber Fahnen weht auf dem Plac Wolnosci in Poznań. Mehrere Tausend Menschen versammelten sich damals auf dem Friedensplatz, um kurz nach dem Beginn der Vollinvasion der Ukraine ihre Solidarität zu bekunden. „An alle Ukrainer: Wir stehen an eurer Seite und werden euch immer unterstützen“, versprach Bürgermeister Jacek Jaśkowiak damals.
Poznań ist eine Uni-Stadt im Westen Polens und nahm damals 80.000 Geflüchtete aus der Ukraine auf. In der Stadt selbst lebten zu dieser Zeit rund 530.000 Menschen. Jaśkowiak erinnert sich gut an die Solidarität der Bevölkerung: „Die Einstellung der Gesellschaft war sehr positiv, weil es diese gemeinsame Kultur gibt, und wir wissen, was es bedeutet, unter russischer Besatzung zu leben“, erinnert er sich.
Jaśkowiak ist seit 2014 Bürgermeister der Stadt, die als liberal, jung und queerfreundlich gilt. In der Ecke seines Büros im weiß-rosafarbenen Rathaus der Stadt hängt ein schwarzer Boxsack, erst vor zwei Jahren kämpfte der jetzt 61-Jährige gegen einen bekannten polnischen Boxer bei einem Spendenevent.
Jaśkowiak ist Teil der liberalen Bürgerplattform, der Partei von Premier Donald Tusk. Deren Kandidat für die Präsidentschaftswahl Rafał Trzaskowski sprach sich überraschend für finanzielle Kürzungen für ukrainische Geflüchtete aus. Der Vorschlag zeigt: Liberale Kräfte in Polen bedienen sich bei den antiukrainischen Parolen der nationalkonservativen und rechtsextremen Stimmen in der Politik.
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Ukraine-Solidarität in Polen kippt
Ein Stimmungswandel
Wie steht es daher um die Willkommenskultur in Polen? Kein Staat in Europa hat so viele Ukrainer aufgenommen, die vor dem Krieg geflüchtet waren, wie Polen. Doch auch in der Bevölkerung soll die Stimmung kippen: Laut dem Meinungsforschungsinstitut CBOS sprach sich im Frühjahr 2025 nur noch die Hälfte der Befragten dafür aus, Menschen aus der Ukraine aufzunehmen.
Wie blicken Ukrainer in Poznań auf ihr Verhältnis zur polnischen Bevölkerung? Oleh lebt seit fünf Jahren mit seiner Familie in der Stadt und studiert an der Uni internationale Beziehungen. Mit anderen Ukrainern, die kurz nach Beginn der Vollinvasion nach Polen kamen, gründete er eine Gruppe, um die ukrainische Kultur und Geschichte sichtbarer zu machen und selbst ein Stück ihrer Heimat nicht zu verlieren.
„Die Solidarität am Anfang war sehr groß, doch es hat sich in den vergangenen drei Jahren viel verändert. Ich möchte nicht pauschalisieren, aber man merkt, dass einige Polen müde sind vom Krieg“, so der 21-Jährige. Sie verstünden nicht, warum die Ukrainer weiter für ihr Land kämpften. „Dabei wäre Polen als nächstes dran, würden wir alle aufgeben.“
Auch unter den ukrainischen Studierenden gäbe es zwei Lager: „Einige sehen momentan keinen Weg zurück und wollen sich von ihrer Heimat lösen, doch uns ist es wichtig, auch in Polen weiterhin als Ukrainer zu leben“, erzählt die 19-jährige Sofiia. Sie ist 2024 zum Studieren nach Poznań gezogen.
„Die verstehen nicht, was wir durchmachen“
Die Gruppe trifft sich gern in einem modernen Café in der Innenstadt. Die Wände sind unverputzt, die Deko aus Chrom, die Preise unterscheiden sich kaum von denen in Berlin. Manchmal würde sie auf der Straße angefeindet, wenn sie mit ihren Freunden Ukrainisch spräche, erzählt sie.
Kontakt zu den Kommilitonen haben sie außerhalb der Uni kaum. „Die verstehen nicht, was wir durchmachen müssen und wie sehr wir unsere Heimat vermissen“, sagt Sofiia, die aus Charkiw stammt.
Für die ukrainischen Studierenden haben sich auch formale Anforderungen verändert. Im neuen Semester müssen sie einen Sprachnachweis vorlegen, können den Test jedoch erst im neuen Jahr wahrnehmen. Viele wussten nichts von der neuen Regelung und fangen somit erst ein Semester später an. Trotzdem lebten sie gern in Poznań, betont Oleh. Im östlichen, konservativen Teil Polens, sei die Stimmung gegenüber Ukrainer*innen angespannter, erzählten ihm Freunde.
Eine Person, die diese Skepsis füttert, ist der neue Präsident Karol Nawrocki. Er machte bereits während des Wahlkampfs zu Beginn des Jahres klar: „Polen zuerst.“ Er nahm den Vorschlag des liberalen Präsidentschaftskandidaten Trzaskowski auf und blockierte mit seinem Veto ein Gesetzespaket, dass unter anderem die finanzielle Hilfe für ukrainische Geflüchtete regelte.
Sein Veto sorgte für heftige Kritik bei den progressiven Kräften in Polen. In der vergangenen Woche wurde nun eine Reform der Gesetze im Sejm verabschiedet. Ukrainer*innen, die erwerbstätig sind, alleinerziehend, kranke oder behinderte Kinder pflegen, erhalten weiterhin die umgerechnet 190 Euro Kindergeld.
Die Skepsis gab es damals schon
Viele Ukrainer*innen fühlen sich als Teil der polnischen Gesellschaft, gehen arbeiten und bringen ihre Kinder in polnische Kindergärten, betont Bartosz Hordecki. Er ist Dozent und Forscher an der Fakultät für Politikwissenschaft und Journalismus an der Adam Mickiewicz Universität in Poznań.
„Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft ist weiterhin da, aber schon damals hat man auch über viele unschöne Dinge hinweggesehen. Wir haben heute die Stimmung von damals zu positiv in Erinnerung“, sagt er. Natürlich haben sich in einer sehr liberalen Stadt viele Menschen für die ukrainischen Geflüchteten eingesetzt, doch die Skepsis gegenüber Migranten gab es auch damals schon.
Die aktuelle antiukrainische Haltung der Konservativen kritisiert er. „Mich wundert, dass sie glauben, die Ukrainer würden uns finanziell belasten. Die Mehrheit arbeitet, oft machen sie Jobs, die die polnische Bevölkerung nicht erledigen will.“
Laut einer Studie von Juni 2025 machen Ukrainer 2,7 Prozent des Wirtschaftswachstums in Polen aus. Migranten aus der Ukraine tragen demnach mehr zum polnischen Haushalt bei, als sie an Sozialleistungen erhalten. Woher die Unzufriedenheit?
Manipulation im Internet
Hordecki analysierte mit Kollegen im Frühjahr 2023 Social Media Posts über ukrainische Geflüchtete in Polen. „Wir haben herausgefunden, dass sich User im Netz viel negativer äußern, als in den klassischen Medien.“ Dabei müsse man vorsichtig sein. Einige Posts seien nicht von Menschen verfasst worden.
„Man darf die antiukrainische Haltung mancher Menschen in Polen nicht ignorieren, und diese nutzen auch das Internet für ihre Hetze. Doch wir haben auch gesehen, dass manipulierte Videos und Fotos zugenommen haben“, sagt Hordecki. Mit gezielter Desinformation will Russland die Solidarität der Polen gegenüber der Ukraine und ihrer Bevölkerung schwächen.
Hordecki betont, dass der persönliche Austausch und die Berichterstattung lokaler Medien, dazu beitragen könne, die Skepsis zu mindern. Ähnlich sieht es auch Poznańs Bürgermeister. Jaśkowiak will bald in Bussen und Bahnen der Stadt den Lokalsender Radio Poznań laufen lassen, um die Bürger über ihre Stadt und das politische Geschehen im Land täglich zu informieren.
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