Ukraines bekanntester Talkmaster: Ein cleverer Dirigent
Sawik Schuster ist der bekannteste Talkmaster der Ukraine. Er hat die Gesprächskultur zivilisiert. In die Politik will er nicht. Das glaubt ihm niemand.
Schuster ist Moderator, Regisseur und Drehbuchautor seiner Show. „Schuster live“ ist in der Ukraine so populär wie in Deutschland der Sonntagabend mit Anne Will, sichtbarer Unterschied: Schuster steht während der Sendung, wie ein Dirigent. Abwesend sieht er in das Publikum hinein, dann dreht er sich ruckartig zum Podium. Scheinwerfer flammen auf, sein Kopf mit dem silbrigen Haar taucht in gleißendes Licht. „Unser Territorium ist die gesamte Ukraine“, behauptet Schuster, als würde ihm jetzt das Land zu Füßen liegen. Applaus.
Der Anzug ist maßgeschneidert, jedes Härchen getrimmt, alles stimmt, wären da nicht die riesigen Lackschuhe. Auf ihnen gleitet er über die Bühne, mal zu den Polstern, in denen seine Gäste hocken, mal zum Publikum. Manchmal wirkt er wie ein Emissär. Nur das gelegentliche Beben in den Mundwinkeln lässt die Erregung erahnen. Schuster hat mit seinem Stil die Gesprächskultur zivilisiert. Nicht wenig in einem Land, wo oft genug die Fäuste „reden“ – auch im Parlament.
Noch bis vor wenigen Jahren ist es auch in seiner Show immer wieder zu Tätlichkeiten gekommen. Jetzt befehden sich die Gäste meist nur noch verbal – und das in der Regel auf Ukrainisch. Schuster selbst spricht hingegen konsequent Russisch. Das wird akzeptiert. Es ist etwas Aristokratisches, was der Moderator ausstrahlt, was er offenbar aus seiner Wahlheimat Italien mitgebracht hat – und was ihn von vielen anderen Moderatoren unterscheidet, erst recht von den ehemaligen Kollegen aus dem russischen Staats-TV. Der 63-Jährige ist kein Hitzkopf und kein Propagandist, er ist Weltbürger. Schuster besitzt die kanadische und italienische Staatsbürgerschaft.
Eine Schießerei in Kiew
Trotzdem ist es nicht nur die große Politik, die Schuster im Studio ausrollt. Er behandelt auch Aufreger, die in Bussen und der U-Bahn die Runde machen. Halb Kiew hat tagelang gekocht, weil ein Polizist bei einer nächtlichen Verfolgungsjagd das Feuer eröffnete und einen 17-Jährigen auf dem Autorücksitz erschoss. Schuster hat heute Freunde des Opfers eingeladen, dazu den Parlamentsabgeordneten Anton Geraschtschenko, der auch Berater des Innenministers ist. Die lautstarken Vorhaltungen der Freunde bringen den massigen Geraschtschenko völlig aus der Fassung. Der entgegnet erregt, dass der Polizist nicht habe wissen können, wer im Wagen sitzt. „Es hätte ja auch ein Terrorist sein können!“
Für die Verteidigung der Schießerei bemüht der Politiker den Westen. Wenn man so leben will wie im Westen, müsse man auch dessen Maßstäbe akzeptieren, in den USA greife die Polizei schließlich auch immer wieder zum Schießeisen. „Aber nein!“, fährt Schuster Geraschtschenko an und taxiert ihn kurz. Man könne nicht zulassen, dass ein Polizist zur Waffe greift, nur weil ein Autofahrer durch Kiew rast. „Westen ja, aber bitte nicht den Wilden Westen!“, ermahnt Schuster und legt Verwunderung in seinen Blick.
Treuherzigkeit ist es dennoch nicht. Ganz im Gegenteil. Neben all den Raufbolden, korrupten Beamten und nationalistischen Heißspornen muss Schuster nur eine tadellose Figur machen – ehrlich, bescheiden, authentisch. Der Rest ist Suggestion. Sawik Schuster schafft es spielend, dass man ihm alles glaubt. Manche halten ihn in solchen Momenten für einen Freund, andere für einen Therapeuten. Dabei ist er nur Talkmaster.
Vom Migränearzt zum Kriegsreporter
Vielleicht liegt es daran, dass Schuster von Hause aus Arzt ist, Spezialisierung Migräneforschung. 1952 wurde er in Vilnius in Litauen geboren, das damals zur Sowjetunion gehörte. Sein Vater war Fußballer, anschließend Fußballtrainer. 1971 wandert die Familie nach Kanada aus. In Montreal beendet Schuster sein Medizinstudium und geht als Wissenschaftler nach Florenz. Doch 1978 hängt Schuster die wissenschaftliche Karriere an den Nagel und berichtet fortan als Kriegskorrespondent aus dem Libanon, aus Palästina, Nicaragua. Er schreibt für Newsweek, Liberation und den Spiegel, wo er als „russisch sprechender Kanadier“ vorgestellt wurde.
In Afghanistan gelingt Schuster ein Ganovenstück. Auf eigene Faust macht er sich in das von Moskau besetzte Land auf. Unter Sowjetsoldaten, die von den Mudschaheddin gefangen wurden, verteilt er die Armeezeitungen Krasnaja Swesda – eine Fälschung. Schuster will so die Kampfkraft der Sowjetarmee schwächen. Ab 1988 arbeitet er auch für Radio Liberty und steigt zum stellvertretenden Leiter des russischen Dienstes auf. Zwischen 2001 und 2005 arbeitet Schuster dann in Moskau. Er moderiert Sport, auch eine Talkshow.
Nach vier Stunden ist „Schuster live“ für heute Geschichte. Schuster betritt sein Büro – in Jeans. Zielstrebig geht er zum Schreibtisch, holt Tabak und Papier heraus. „Das ist das Allerwichtigste nach der Sendung“, beginnt er und dreht sich seine Erste. „Ich mache mir meine Zigaretten immer selbst. Das ist authentischer.“ Die Selbstgedrehte als Botschaft. Schuster will „echt“ rüberkommen. Nicht so falsch und korrupt wie viele draußen vor der Tür.
„Korruption im Parlament“
Doch Eigensinn hat seinen Preis. Wohl kaum ein Talkmaster hat in den letzten Jahren so häufig den Sender gewechselt wie Schuster. Der letzte, spektakuläre Rausschmiss war am18. September 2015: Da hatte ihn der populäre Kanal „1+1“ kurz vor Sendebeginn vor die Tür gesetzt. Man wolle in der angespannten Situation eine weitere Eskalation innerhalb der Gesellschaft vermeiden, hatte das der Sender offiziell begründet. Schuster vermutet, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko persönlich dahintersteckt. Möglicherweise habe den Senderverantwortlichen auch das Thema „Korruption im Parlament“ nicht gefallen.
Knapp zwei Jahre zuvor sollte schon einmal eine Sendung gekippt werden, das war am29. November 2013, als der damalige Präsident Janukowitsch im letzten Moment die Unterschrift unter dem Assoziierungsabkommen mit der EU verweigerte. Die Ausstrahlung von „Schuster live“ wurde 45 Minuten blockiert. Der Mann, der ihm damals geholfen hatte, doch noch auf Sendung zu gehen, hieß Petro Poroschenko.
Schuster nimmt einen tiefen Zug. Für ihn ist die Sache klar: Die Fernsehlandschaft in der Ukraine sei fest in der Hand von Oligarchen. Nun hat Schuster seine Sendung in die eigenen Hände genommen und seinen eigenen Kanal gegründet, „3S.tv“, der über Internet und Kabel sendet. Doch auch so ist Schuster in jeder ukrainischen Stadt und zum Teil auch auf dem Land zu empfangen. Mit Spenden und Aktien will er die Unabhängigkeit erhalten.
Boxhandschuhe an der Wand
Langsam zieht der Zigarettenqualm in die letzte Ecke. Das Büro ist Schusters Rückzugshöhle. Ohne Termin kommt hier niemand rein, auch nicht seine Mitarbeiter. Man könnte glauben, hier hält Schuster seine Leidenschaft für den Sport versteckt. Auf Regalen und auf Tischen finden sich Trophäen, Auszeichnungen in Form eines Fußballs. Am Haken an der Wand hängen Boxhandschuhe. Nur die vielen Aschenbecher auf Tischen, am Fensterbrett und im Regal passen nicht recht dazu.
Hat so ein einflussreicher Moderator nach all den Jahren nicht selbst Lust auf Politik? Gibt es da nicht schon einen sportlichen Ehrgeiz? Schuster überlegt. Wenn ukrainische Medien ihm politische Ambitionen unterstellten, sei das völlig falsch, antwortet er dann. Und selbst wenn er in die Politik ginge, fährt er fort, wäre sein Programm so radikal, dass man ihn nicht wählen würde. Ein Beispiel? „Es kann doch nicht sein, dass die neuen Machteliten immer ihre Vorgänger einfach enteignen. In der Ukraine ist sich doch niemand seines Besitzes sicher, abgesehen vielleicht von den Besitzern kleiner Wohnungen.“
Und neben der Eigentumsfrage müsste auch die Frage nach dem Selbstverständnis des Landes angegangen werden. „Ich glaube, das Modell vom Einheitsstaat Ukraine kann nicht Bestand haben.“ Nach dem Krieg müsse man sich endlich an die Diskussion machen, was die Ukraine sein will. „Will sie eine Föderation sein oder eine Republik? Und was für eine Republik?“
Eine russischsprachige BBC
Doch letztlich sei die Frage, was er als Politiker anders machen würde, natürlich nur eine theoretische. Sawik Schuster sagt es und lächelt treuherzig. Er werde weder für das Amt des ukrainischen Präsidenten kandidieren noch für das Parlament. Er wolle Journalist bleiben und aus seinem Sender einen weltweit bekannten Kanal machen, sein Traum ist die Gründung einer russischsprachigen BBC. „Für alle liberal denkenden Menschen, die die russische und ukrainische Sprache lieben!“
Zunächst muss Schuster allerdings im ukrainischen Mediengeschäft überleben. Das könnte schwierig werden. Anfang des Jahres hat die Steuerbehörde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, Vorwurf: Steuerhinterziehung in Höhe von 400.000 Euro. Schuster soll einen Teil der Gehälter in Briefumschlägen ausgezahlt haben.
Noch ist der Mann gut im Geschäft. Und Politiker, die ihm wohlgesinnt sind, holt er besonders gern in die Sendung, unter ihnen Oleg Ljaschko, den Chef der militanten Radikalen Partei, und Julia Timoschenko. Die ehemalige Ministerpräsidentin mit dem markanten Zopf besitzt ein äußerst flinkes Mundwerk. Eine Weile stand es zwar still, Timoschenko galt als Verliererin der Maidan-Revolution. Jetzt aber, wo die Regierung in der Krise steckt, geht es für sie wieder bergauf. Und „Schuster live“ orchestriert gekonnt den Aufstieg. Sawik Schuster ist eben ein meisterlicher Dirigent.
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