Ukrainer*innen in Berlin: Sehr dankbar, aber unglücklich
Seit zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine. Nach Berlin geflohene Ukrainerinnen berichten, wie es ihnen seither ergangen ist. Drei Protokolle.
Sofiia Holubeva, 26, Künstlerin aus Odessa: „Lieber lebe ich im Krieg, als meinen Mann zu verlieren“
Ich denke jede Minute an den Krieg. Meine Zwillingsschwester ist in der Ukraine, mein Vater, meine Mutter, meine Freund*innen und mein Mann sind dort. Jeden Tag bin ich in meinem Studio in der Universität der Künste (UdK) und arbeite an meiner Kunst, die mit der Ukraine und dem Krieg verbunden ist. Der Krieg ist immer da.
Ich lebe gerne in Berlin und bin sehr dankbar für all die Unterstützung, die ich vom Staat erhalte. Ich bekomme 450 Euro Sozialhilfe im Monat, meine Miete wird gezahlt, ebenso mein Deutschkurs und ich darf Gaststudentin an der UdK sein. Das ist unglaublich.
Ich bin für die Unterstützung sehr dankbar. Gleichzeitig ist vieles extrem frustrierend. Ich darf nicht länger als drei Wochen im Jahr in die Ukraine gehen, sonst verliere ich meinen Anspruch auf Sozialleistungen. Mein Mann darf die Ukraine nicht verlassen, also können wir uns nur drei Wochen im Jahr sehen. Das ist sehr, sehr schwer für uns.
Außerdem werden mir die Sozialleistungen gestrichen, sobald ich Geld mit meiner Kunst verdiene. Irgendwann möchte ich gerne als Freiberuflerin arbeiten und selbst Geld verdienen, aber solang bin ich auf die Sozialhilfe angewiesen. Es sind eben kleine Schritte.
Alle zwei Monate gehe ich zurück in die Ukraine, um meinen Mann zu sehen. Wenn ich da bin, helfe ich, wo ich kann, obwohl das oft sehr gefährlich ist. Letzte Woche war ich in Cherson, 10 Kilometer von der Front entfernt, und habe Geschenke für die Kinder mitgebracht. Es ist furchtbar dort. Ich gehe hin, um mich mit der Realität zu konfrontieren, um mich nicht an ein sorgenfreies Leben in Berlin zu gewöhnen.
Jeden Tag habe ich 3,5 Stunden Deutschkurs. Das muss ich, wenn ich Sozialhilfe beziehe. Vor Kurzem habe ich die B1-Prüfung bestanden. Jetzt habe ich den Orientierungskurs „Leben in Deutschland“. Ob das heißt, dass ich bleibe? Ich weiß es nicht. Es ist sehr schwer, etwas zu planen. Wenn ich länger bleibe, könnte es sein, dass die Beziehung zu meinem Mann zerbricht und das will ich nicht. Lieber lebe ich im Krieg, als meinen Mann zu verlieren.
Aber gerade ist es für viele Aspekte meines Lebens besser, in Berlin zu leben. Ich darf Gaststudentin sein und kann mir Wissen aneignen, dass ich weitergeben kann, wenn ich zurück in die Ukraine gehe. Außerdem gibt es hier tolle Museen und Galerien und einen florierenden Kunstmarkt, der in der Ukraine noch nicht so weit entwickelt ist. Von hier aus kann ich auch mehr Hilfe leisten, indem ich Spenden sammele und das wenige Geld, das ich habe, an Hilfsorganisationen in der Ukraine schicke. Außerdem kann ich hier meine Kunst nutzen, um Menschen über die Ukraine zu informieren und zu beeinflussen. In der Ukraine weiß jeder, dass Krieg herrscht, da muss ich keine Aufklärungsarbeit betreiben.
Anfangs war die Unterstützung der Berliner*innen natürlich größer. Aber wir erhalten immer noch viel Hilfe, vor allem von Einzelpersonen. Meine Vermieter*innen vermieten mir zum Beispiel meine Wohnung in Mitte, die eigentlich 1.000 Euro kostet für 500 Euro. Oder neulich hat mir ein Mann, den ich in einer Galerie kennengelernt habe, 300 Euro geschickt, damit sich meine Familie in Odessa einen Generator kaufen kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Berliner*innen einem helfen, solang man mit ihnen spricht, seine Geschichte teilt und nicht gierig von ihnen Geld verlangt. Ich habe noch nie Rassismus erlebt.
Mit Russ*innen komme ich in Berlin kaum in Kontakt. Darüber bin ich sehr dankbar. Die Wunde ist zu groß.
Die Deutschen haben sich mittlerweile an den Krieg gewöhnt. Das merkt man an kleinen Dingen. Neulich bin ich am Bode Museum vorbei gelaufen und plötzlich war die Ukraineflagge, die seit Kriegsbeginn auf dem Museumsdach angebracht war, verschwunden. Deshalb müssen wir weiterhin über die Ukraine sprechen, aber nicht aus einer Opferrolle heraus oder auf eine aggressive Art, sondern auf eine heroische Art. Mein Weg ist, das durch die Kunst zu tun.
Katerina Kliuchkevych, 36, Ingenieurin aus Charkiw : „Die Berliner*innen sind innerlich so frei“
Bevor der Krieg ausbrach, war ich schon innerlich gebrochen. Meine Mutter und mein Großvater waren gerade an Corona gestorben. Als ich am 24. Februar aufwachte, stand meine Stadt in Flammen.
Es ist verrückt, du hast ein gutes Leben und von einem Tag auf den anderen verlierst du alles und musst dir ein völlig neues Leben aufbauen. Das ist hart.
Als meine Tochter, mein Sohn und ich in Berlin ankamen, nahm uns eine Frau mit ihrer Familie auf. Wir sollten nur für 2 Wochen bei ihr bleiben und blieben dann für 1 Jahr und 4 Monate. In der Ukraine sind reiche Leute Snobs, aber sie ist so eine kluge, tolle Frau. Ich bin ihr so dankbar für alles.
Nach 1,5 Jahren habe ich eine eigene Wohnung gefunden. Gestern hat mir der Vermieter aber mitgeteilt, dass ich in 3 Monaten ausziehen muss, weil er zurückkommt. Aber nach allem, was ich durchgemacht habe, wirkt jedes Problem auf mich klein.
Mein größtes Problem ist, dass ich noch nicht fließend Deutsch spreche. Als ich nach Berlin kam, sprach ich weder Deutsch noch Englisch. Jetzt spreche ich Englisch und habe die A2-Prüfung in Deutsch bestanden, aber das reicht noch nicht, um hier einen Job zu finden. Noch arbeite ich bei einem ukrainischen IT-Unternehmen als Qualitätssicherungsingenieurin. Ich darf aber nicht mehr als 24.000 Euro im Jahr verdienen, sonst müsste ich in Deutschland hohe Steuern zahlen. Damit für die ganze Familie zu sorgen, ist nicht leicht.
Ich arbeite viel, wenn ich nicht arbeite, gehe ich Tango tanzen. Der Lehrer gibt mir kostenlos Unterricht. Ich liebe Tango.
Außerdem möchte ich Deutsch lernen, um nicht mehr anders behandelt zu werden. Heute war ich in der Bank und der Bankangestellte hat immer nur den Kopf geschüttelt, wenn mir ein deutsches Wort nicht eingefallen ist. Aber so reagieren nur Menschen, die sich wichtig machen wollen.
Sonst habe ich in Berlin viele wunderbare, außergewöhnliche Menschen getroffen. Sie sind innerlich frei und tun alles, was sie wollen. Sie sind sehr gesprächig und haben keine Angst, ihre Gefühle zu zeigen. Für mich ist das sehr ungewöhnlich, in der Ukraine haben wir viele vorgefertigte Haltungen. Ich glaube Ukrainer*innen könnten viel von Deutschen lernen. Wenn der Krieg vorbei ist, möchte ich in die Ukraine zurückkehren und meinen Leuten zeigen, was wir ändern können.
Viele Ukrainer*innen, die nach Deutschland kommen, wollen den Krieg verdrängen. Sie wollen sich ablenken, amüsieren und ein neues Leben aufbauen. Ich will nicht wütend sein auf diese Menschen, aber ich wurde anders erzogen. Wenn ich weiß, dass meine Freund*innen leiden, kann ich nicht anders, als alles Mögliche zu tun, um ihnen zu helfen.
Ich liebe mein Land und mein Leben in der Ukraine so sehr. Ich liebe meine Freunde dort. Ich möchte so gerne zurück, aber es ist zu gefährlich. Das soll nicht undankbar klingen, ich liebe auch Berlin.
Und so lange ich nicht weiß, was die Zukunft bereithält, werde ich jeden Tag in Deutschland mein Bestes geben.
Ganna Stanyeva, 39, E-Commerce-Managerin aus Charkiw: „Ich bin Angela Merkel sehr dankbar“
Ich habe meinen Sohn, einen Koffer mit seinen Anziehsachen und das Auto, in dem wir gekommen sind. Alles andere habe ich verloren. Als wir Charkiw verließen, sagte mir mein Sohn, dass er weder Deutsch noch Englisch lernen müsse, er werde sein ganzes Leben in der Ukraine leben.
Jetzt langsam versteht er, dass wir so schnell nicht zurück können. Selbst wenn der Krieg vorbei ist, liegt Charkiw nur rund 72 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Deshalb plane ich unser Leben jetzt hier.
Anfangs wohnten wir bei einem Mann und seiner Familie in der Nähe des Alexanderplatzes. Als klar wurde, dass der Krieg länger andauern würde, beantragte ich einen Wohnungsberechtigungsschein (WBS) und fand eine eigene Wohnung in Spandau. Ich jobbte in einem Kindergarten und lernte jeden Tag Deutsch.
Im August letzten Jahres kamen meine Eltern hinterher. Ihr gesundheitlicher Zustand war sehr schlecht. Meine Mutter hatte Krebs, sie ist jetzt gestorben. Mein Vater hatte durch eine Corona-Infektion eine Thrombose entwickelt, sein Bein musste amputiert werden. In Charkiw konnten sie aber keine angemessene medizinische Behandlung mehr bekommen, es gab nicht einmal mehr Schmerzmittel. Also kamen sie nach Berlin. Das war für sie im Nachhinein ein Geschenk.
Anfangs habe ich mich schwer getan, das deutsche Krankensystem zu verstehen, aber wir fanden sehr gute Ärzt*innen, auf die wir uns verlassen konnten. Sie waren aufmerksam, hilfsbereit und loyal. Meinem Vater wurde das Bein amputiert und er bekam eine Prothese. Meine Mutter kam erst in eine onkologische Klinik, später auf eine Palliativstation. Den Umständen entsprechend waren die Bedingungen sehr, sehr gut. Die Ärzt*innen taten alles, um ihre letzten Monate so schmerzfrei zu gestalten wie möglich.
Ich bin Angela Merkel sehr dankbar. Ich glaube, dass das System und die Unterstützung, die wir bekommen, nur wegen ihrer Flüchtlingspolitik so gut ausgebaut ist. Ich kenne kein anderes Land, dass so viel Unterstützung bietet.
Meiner Meinung nach ist das Schulsystem hier zu liberal, in Charkiw war das viel strenger. Mein Sohn ist auf einer sehr guten Schule, aber sie lassen ihm zu viele Freiheiten. Wenn er etwas nicht lernen möchte, dann muss er das nicht. Aber er ist in der Schule hier glücklich – und das ist das Wichtigste. Wie unsere Zukunft aussieht, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass ich schnell einen Job finde.
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