Überwachung per Kamera: Mitarbeiter-Bespitzelung bei Lidl
Nach einem Magazinbericht wurden Lidl-Mitarbeiter systematisch bespitzelt: Statt zur Prävention von Diebstählen wurden Minikameras zur Überwachung der Angestellten genutzt.
STUTTGART dpa/ap/taz Wegen des Vorwurfs der Mitarbeiterbespitzelung beschäftigen sich Datenschützer mit dem Lebensmitteldiscounter Lidl. Es werde datenschutzrechtlich geprüft, ob die Beschäftigten in zahlreichen Filialen systematisch überwacht wurden, sagte eine Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums am Mittwoch.
Nach einem Bericht des Stern wurde über Überwachungskameras registriert, wann und wie häufig Mitarbeiter auf die Toilette gehen, wer mit wem möglicherweise ein Liebesverhältnis hat und wer nach Ansicht der Überwacher unfähig ist oder einfach nur "introvertiert und naiv wirkt". Aufgeführt wurde laut Stern unter anderem auch, ob Mitarbeiter des Neckarsulmer Unternehmens tätowiert waren. Das Magazin beruft sich auf interne Lidl-Protokolle.
Die Überwachung funktionierte dem Bericht zufolge so: Montagmorgen installierten von Lidl beauftragte Detektive in der jeweiligen Filiale meist zwischen fünf und zehn Minikameras. Dem Filialleiter sei erzählt worden, es gehe darum, Ladendiebe aufzuspüren. Tatsächlich hätten die Detektive auch ihre Beobachtungen der Mitarbeiter notiert.
Der Lidl-Manager Jürgen Kisseberth erklärte am Mittwoch, die Vorwürfe in dem Bericht "haben uns sehr betroffen gemacht". Der Eindruck, man würde die Mitarbeiter bespitzeln, "entspricht in gar keinem Fall unseren Führungsgrundsätzen und dem praktizierten fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern". Um Diebstähle aufzuklären, arbeite Lidl mit Kameras. 2007 habe es in acht Prozent der deutschen Filialen besonders auffällige Inventurdifferenzen gegeben. Deshalb sei dort zusätzlich für einen begrenzten Zeitraum mit Detekteien zusammengearbeitet worden. "Die Aufgabe der Detekteien war es, in den Filialen zusätzliche Erkenntnisse zur Aufklärung von Diebstählen zu gewinnen."
Die Gewerkschaft Ver.di sprach von einem Skandal. Wenn die Vorwürfe stimmten, "dann passt das in das System der permanenten Kontrolle und Unterdrückung in dem Unternehmen", sagte der Handelsexperte der Gewerkschaft in Baden-Württemberg, Bernhard Franke.
2006 hatte Ver.di kritisiert, Lidl habe der Belegschaft die Wahl von Betriebsräten verboten. Lidl-Filialen seien unterbesetzt, Arbeitsschutzbestimmungen würden nicht eingehalten und die Mitarbeiter müssten unbezahlte Mehrarbeit leisten. Das Unternehmen erklärte damals, es empfinde die Vorwürfe als verantwortungslos: "Sie entsprechen einfach nicht der Arbeitsrealität und dem täglichen Miteinander bei Lidl."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative