Überwachung beim Castor-Transport: Volle Drohnung gegen Demonstranten
Die Polizei hat bei den Castorprotesten Drohnen eingesetzt - ohne Wissen des Einsatzleiters. Dabei ist Bildmaterial erstellt worden. Viermal wurde das Fluggerät eingesetzt.
BERLIN taz | Noch ist nicht klar, was schwerer wiegt: der heimliche Einsatz einer Polizeidrohne während des Castortransports oder die Öffentlichkeitspolitik der Sicherheitsbehörden mit Vorgängen, die sie für lapidar halten. Nach den Massenprotesten gegen Atomkraft Anfang November hatte der zuständige Einsatzleiter der Polizei, Friedrich Niehörster, vor Journalisten noch alle Mutmaßungen über einen Drohneneinsatz dementiert. Nun musste er einräumen: Beim Castoreinsatz im niedersächsischen Wendland sind ferngesteuerte Aufklärungshubschrauber zum Einsatz gekommen, die auch Bildmaterial des Einsatzes erstellt haben.
Dieses Eingeständnis geht auf das Wirken der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg zurück, die nach den Anti-AKW-Protesten wiederholt von Drohneneinsätzen berichtet hatte. Auch der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) räumt inzwischen ein, dass die niedersächsische Polizei während des Castortransports viermal ein unbemanntes Fluggerät eingesetzt hat.
Doch auf dieses Eingeständnis folgte am Mittwoch eine weitere Falschaussage des Innenministeriums: Im Gespräch mit der taz spielte ein Sprecher den Einsatz der Drohne zu Testflügen herunter: "Das Gerät wurde lediglich genutzt, um den eigenen Polizeieinsatz zu überprüfen, es war hingegen nicht zu polizeitaktkischen Zwecken im Einsatz." Das Gerät befinde sich noch in einer Testphase, die niedersächsische Polizei habe lediglich ermitteln wollen, ob das Gerät für Nachtaufnahmen geeignet sei. Außerdem habe sie Bilder von Polizeiabsperrungen und Straßenkreuzungen gemacht.
Hingegen bestätigte eine Sprecherin der für den Einsatz zuständigen Polizeidirektion Lüneburg am Mittwoch der taz, dass die Drohnen sehr wohl auch aus einsatztaktischen Gründen genutzt worden seien. Demnach habe es auf einem Feld im Örtchen Laase zwar einen reinen Testflug gegeben. Aber: "Die drei anderen Flüge waren einsatzbezogen. Sie dienten der Dokumentation, aber auch der Aufklärung. Die Rechtsgrundlage dazu ist das Gefahrenabwehrrecht."
Unter anderem habe der kleine Aufklärungsflieger während des Castortransports auch ein an der Elbe vor Anker gegangenes Greenpeace-Schiff fotografiert, um zu prüfen, ob davon Störaktionen ausgehen könnten. Personenaufnahmen seien aber nicht gemacht worden. Stattdessen könnten aber Lagebilder, auf denen vereinzelt Polizisten zu sehen seien, auch zur Vorbereitung künftiger Einsätze herangezogen werden.
Damit nimmt die Informationspolitik von Polizei und Ministerien nach dem Castortransport bemerkenswerte Ausmaße an: Bereits im Fall eines womöglich ohne Rechtsgrundlage eingesetzten französischen Polizeibeamten hatten Polizeiführungen und das Bundesinnenministerium zunächst den Einsatz bestritten. Später argumentierten die Behörden, sie seien nicht informiert gewesen. Zuvor hatten die Polizeikräfte wegen Überforderung während des laufenden Einsatzes zusätzliche Polizeikräfte aus den Bundesländern nachordern müssen.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament und Wendlandaktivistin Rebecca Harms kritisierte den Einsatz der umstrittenen Mikrodrohnen: "Der Einsatz solcher Mittel belegt erneut, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel seine Gültigkeit verloren hat", sagte sie.
Dagegen verweist das niedersächsische Innenministerium darauf, dass auch heute schon Kameraaufnahmen aus Hubschraubern möglich seien: "Ob eine Kamera auf einem Mast steht und von dort alles aufnimmt oder ob eine Drohne fliegt, ist in der Sache egal." Ganz egal ist dies allerdings unter juristischen Gesichtspunkten nicht (siehen unten).
Die Mikrodrohnen des Typs md4-200 - von der Polizei "Drehflügler" genannt - sind nicht zu verwechseln mit Flugdrohnen in Kampfeinsätzen. Sie ähneln weiterentwickelten ferngesteuerten Hubschraubern und können Foto- und Filmkameras transportieren, mit denen Luftbildaufnahmen erstellt werden können (siehe rechts) - waren allerdings bislang in Deutschland kaum im Einsatz.
Niedersachsen ist eines der Bundesländer, das beim Einsatz der umstrittenen Aufklärungsflieger voranschreitet. Im Jahr 2008 hatte Landesinnenminister Schünemann stolz den Testbetrieb verkündet.
Knapp zehnmal wurde der Flughubschrauber seitdem angefordert, kam allerdings wegen widriger Witterungsbedingungen bislang noch nie zum Einsatz im Ernstfall - wohl auch, weil die kostspielige Technik äußerst störanfällig ist.
Außer in Niedersachsen verfügt auch die Landespolizei von Sachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie die Bundespolizei über baugleiche oder ähnliche Mikrodrohnen. In Sachsen waren die Drohnen in der Testphase bereits bei Fußballspielen zur Gefahrenabwehr gegen Hooligans im Einsatz.
Mitarbeit: Markus Schulz, Matthias Monroy
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen