Überversorgung in der Schwangerschaft: Routine statt Risiko
Viele Untersuchungen werdender Mütter sind nicht bloß unnötig, warnt die Bertelsmann Stiftung: Sie machen Schwangere zur Patientin.
Danach sind zahlreiche Ultraschall- und Herztonmessungen, die nach den medizinischen Richtlinien nur Frauen mit einer Risikoschwangerschaft zuteil werden sollten, mittlerweile die Regel. „Mehr ist nicht zwingend besser“, warnte der Gesundheitsexperte der Stiftung, Uwe Schenk.
Per Zufallsstichprobe hatte die Stiftung 1.293 Frauen befragt, die zwischen November 2013 und Oktober 2014 ein Kind geboren haben und bei der Krankenkasse Barmer GEK versichert sind. Nahezu alle Frauen (99 Prozent) erhielten mehr Untersuchungen, als die Mutterschaftsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses vorsehen.
Zu den zusätzlichen Untersuchungen gehörte etwa die so genannte Kardiotokographie (CTG), die die Herztöne des Kindes und die Wehen der Mutter dokumentiert. 95 Prozent der Befragten glaubten, dass CTG Routine sei und ließen sie durchführen – im Schnitt sogar öfter als viermal. Tatsächlich soll die CTG nur bei drohenden Frühgeburten eingesetzt werden.
Was routinemäßig zur ärztlichen Vorsorge einer Schwangeren gehört, ist in den Mutterschaftsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses geregelt. Danach sind während der gesamten Schwangerschaft 10 bis 12 Untersuchungen vorgesehen: Anfangs im 4-Wochen-Rhythmus, ab der 32. Woche alle 14 Tage.
Kontrolliert werden Blut, Gewicht und Urin der Schwangeren sowie das Wachstum der Gebärmutter und die Herztöne des Kindes. Bei normalem Schwangerschaftsverlauf soll der Arzt zudem an drei Terminen per Ultraschall nachsehen, ob alles in Ordnung ist (10., 20., 30. Woche). Bei Auffälligkeiten bezahlt die Kasse weitere Untersuchungen. Inwieweit Krankenkassen die Kosten für zusätzliche Untersuchungen auch dann übernehmen, wenn kein medizinisches Risiko vorliegt, hängt von ihrer jeweiligen Satzung ab. (hh)
Vier von fünf Frauen zahlen extra
Bald jede zweite Frau mit normaler Schwangerschaft erhielt mehr als fünf Ultraschalluntersuchungen; standardmäßig sollen es drei sein. Weder Alter noch Einkommen noch Bildungsabschluss hatten Einfluss auf die Anzahl. Und: 80 Prozent der Frauen gaben an, für die Vorsorge zugezahlt zu haben – in welcher Höhe und wofür genau, lässt die Studie offen.
Auffällig sei, dass ein Drittel der Frauen, die trotz normalen Schwangerschaftsverlaufs Zusatzuntersuchungen in Anspruch nahm, dies offenbar auf Anraten ihres Arztes tat, sagte Jan Böcken, Senior Project Manager bei Bertelsmann. Ein weiteres Drittel gab an, diesen Wunsch selbst gehabt zu haben; der Rest handelte im Glauben, die zusätzlichen Ultraschalls seien Teil der Routine.
Klar sei, dass ein derartiges Überangebot die Angst der Frauen vor der Geburt schüren könne, warnte die Studienautorin Rainhild Schäfers von der Hochschule für Gesundheit in Bochum: „Es kann auch ihren Wunsch nach einer vermeintlich sicheren Kaiserschnitt-Entbindung wecken.“
Unterdessen sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für die Schwangerenvorsorge zwischen 2010 und 2014 gestiegen – von 1,03 Milliarden Euro auf 1,22 Milliarden Euro. Zusatzangebote seien kritisch zu hinterfragen, empfahl ein GKV-Sprecher: „Eine Arztpraxis ist keine Verkaufsveranstaltung.“ Das Bundesgesundheitsministerium wollte die Studie am Montag nicht kommentieren.
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