Übersichtsschau Peter Doig: Der einsame Malerstar
Vergebliche Suche nach dem Rekordbild: Die Tate Britain widmet dem auf Trinidad lebenden Künstler Peter Doig eine große Übersichtsschau.
V or genau einem Jahr wurde Peter Doig über Nacht unfreiwillig zu der Art Maler gekürt, die sich ab sofort nur noch Menschen leisten können, die auch einen Hockney oder Hirst in ihrem Foyer hängen haben. Eines von Doigs Gemälden, "White Canoe", wurde für 5,7 Millionen Pfund versteigert, für die Arbeit eines noch lebenden, zeitgenössischen Künstlers eine pure Sensation. 1990, in dem Jahr, als das Bild des sich im Wasser grell spiegelnden Kanus entstand, lief der jetzige Verkäufer, Supersammler Charles Saatchi, noch uninteressiert durch Doigs Hinterhofausstellungen. Schließlich waren die Zeitungen voll mit Artikeln zum Tod der Malerei, und der Multimillionär kaufte an den Wochenenden lieber die Ateliers der jungen Konzeptkunstszene leer.
Manche Besucher strichen am Eröffnungstag der jetzt angelaufenen Übersichtsschau mit über 50 Arbeiten des Künstlers ungeduldig durch die Räume, weil sie das Rekordbild sehen wollten. Dabei stand "White Canoe" für die Kuratorin Judith Nesbitt nie auf der Auswahlliste, es gäbe durchaus wichtigere Werke des Künstlers, und dass diese Arbeit nicht dabei sei, habe man bereits lange vor dem Rekord beschlossen. Nun hängt am Anfang der Schau ein winziges, eigenartiges Ölbild, das der Künstler im gleichen Jahr malte wie das weiße Kanu. "Art School" entstand während Peter Doigs Studienzeit an der Chelsea Art School und thematisiert, fast rührend naiv, die Gefräßigkeit des Marktes: Zu sehen sind drei niedliche Nager, die sich in ihren Höhlen eines Baumes verkriechen, während bereits im Hintergrund ein Stamm nach dem anderen gefällt wird. Vielleicht handelt es sich bei dem Holzfäller um Saatchi, eventuell aber auch um den Künstler selber, der, isoliert durch die Wahl seines damals uncoolen Genres, die jüngeren Aufsteiger aus dem Rennen schmeißen will.
"Art School" wirkt mit seinen groben Linien beinahe plump, im Vergleich mit Doigs späterem Spiel aus Flächen und Farbe, die stets ineinander zu laufen scheinen wie heißes Wachs. Der gebürtige Schotte bezeichnete seine fertigen Werke, deren Motive er oftmals auf Postkarten, in Filmen oder Zeitungsausschnitten findet, einmal als das Produkt aus vielen, aufeinanderfolgenden Fehlern; einer dicken Schicht, die aus verschiedenen Rastern anschwillt. Dieses Raster machte Doig berühmt. Es lässt unseren Blick beim Betrachten seiner Bilder wie der wunderbaren Serie "Concrete Cabin", die zwischen Anfang und Mitte der Neunzigerjahre entstand, nervös vor- und zurückspringen: Wie bei einer optischen Täuschung lässt Doig den Betrachter genussvoll in die Falle gehen, verheddert zwischen der fast fotografisch präzisen Darstellung eines Le-Corbusier-Hauses im Hintergrund und einer obersten, pollockhaften Schicht aus nervösen Sprenkeln. Ein bisschen so, als habe man einen schlierigen Film auf der Netzhaut.
Die Rastlosigkeit des Vaters, Buchhalter bei einer Transportfirma, führte die Familie von Trinidad bis nach Kanada. Mit 18 setzte sich Doig ab, um zum Kunststudium nach London zu gehen. Wenige Monate zuvor Jahr hatte er noch in der eiskalten kanadischen Landschaft als Ölbohrer gearbeitet. Hotels gab es nicht, und so musste Peter Doig die Bewohner einsam daliegender Bauerhöfe fragen, ob er in ihrem Stall schlafen könne. Dieses Spähen durch die schützenden Äste der Natur auf der Suche nach Zivilisation ist in seinen Bildern über Jahre fast zu einer Art Obsession geworden, ein versteckter Blick auf eine isoliert dastehende kleine Holzhütte, die mit ihren horizontal aufgereihte Stämmen gegen die vertikal stehenden Bäume für Doig ein weiteres nervöses Raster ergibt. Als Doig Le Corbusiers Unité dhabitation durch Zufall im französischen Briey-en-Foret entdeckte, muss ihm der enorme Bau mit seinen rasterhaften Balkonen vorgekommen sein, wie die steingewordene Version der einsamen Holzhütten, die er in Kanada gesehen hatte. Doig kam häufiger zurück, lebte sogar einige Zeit in den heruntergekommenen Wohnungen, um diesen Moment immer und immer wieder zu erleben, in dem das grelle Weiß des Komplexes durch die dunklen Baumkronen schimmerte. Die Ausstellung widmet dieser Phase einen ganzen Raum.
Bis Peter Doig eine Arbeit beendet hat, mit vielen Zeichnungen und Skizzen, können Monate vergehen. Phasen sind das, in denen er ein Bild weglegt und erst wieder hervorholt, wenn ihm ein Gedanke für den nächsten Schritt gekommen ist. Mit dieser Akribie und Furchtlosigkeit vor dem Tempo des Marktes bringt der 48-Jährige eine angenehme Langsamkeit in die zeitgenössische Malerei. Denn die wird ja derzeit tendenziell von der Staffelei runtergekauft, noch ehe die Farbe trocken ist. Wie spätestens die Rekordsumme für "White Canoe" belegte, macht aber gerade die überschaubare Quantität das Werk von Peter Doig noch begehrenswerter. Im Jahr malt er gerade einmal sechs bis acht Bilder, die nur erahnen lassen, in wie vielen Arbeitsschritten Doig Raster über Raster legt und damit die flirrende Unruhe erzeugt, die über die Oberfläche seiner Bilder wie "Swamped" (1990), "Pond Life" (1993) oder "Cobourg 3 + 1 more" (1994) tänzelt.
Doig agiert als eine Art Neoimpressionist, der versucht die diversen Ebenen zwischen unseren Augen und den konkreten Objekten in ihre Einzelteile zu zerlegen. In seinem Studio in Port-of-Spain hängen und stehen viele Studien, in denen Doig zum Teil unnatürliche Farbkombinationen durchexerziert. Die Londoner Schau hat diesen Blick ins Atelier nachgestellt: In dichter Hängung ziehen sich die diversen Stadien zu einzelnen Arbeiten aus 18 Jahren über die hohen Wände, man kann regelrecht ahnen, wie quälend es für Doig gewesen sein muss, sich für die letztendliche Version unter vielen zu entscheiden. So ist eine Vorstudie zum Werk "100 years ago (Carrera)" (2001) einmal in düsteren Rottönen, während das dominante Kanu und das Wasser in einer weiteren Version in kontrastierendem Rot und Blau leuchten, was er schließlich auch für das spätere Bild wählte.
Seit 2002 lebt Peter Doig mit seiner Familie in Trinidad, inzwischen ist sein langjähriger Freund, der Maler und Bildhauer Chris Ofili, nachgezogen und sein Nachbar. Vor Ort ist Doig ebenfalls bekannt für seinen wöchentlichen Filmklub. Auf schlichter Bestuhlung sehen die Bewohner "The Big Lebowski" bis Takeshi Kitanos "Hanabi" und bekommen angenehme Abwechslung zum dominanten amerikanischen Mainstreamangebot aus Blockbustern und Gangsta Rap. Seine legendären Poster, die er für die jeweils vorgeführten Filme anfertigt, sind in der Tate-Schau leider nicht zu sehen. Und spätestens seit dem Rekordverkauf von "White Canoe" muss Peter Doig befürchten, dass selbst dieses Nebenprodukt seines Hobbys eines Tages unter dem internationalen Auktionshammer landet. Mit seinem Alltag in Trinidad wendete sich Doig mehr und mehr von den Vorlagen auf Fotografien und Zeitungsausschnitten ab, um nun mehr das zu malen, was ihn umgab. Er selbst beschrieb die Landschaften, die er mit Ofili bei Bootstouren entdeckte, als "archaische Plätze, wie natürliche Kathedralen". Das wiederum bewog den ein oder anderen Kritiker dazu, dieses Staunen über das Unbekannte als Doigs gauginhafte Entdeckerromantik zu deuten. Und kann man als Künstler heute überhaupt noch die Fremde beschreiben, ohne Gefahr zu gehen, in eine der ausgehöhlten Stereotype faszinierender Exotik zu trampeln?
Bei Peter Doigs neueren Arbeiten hat man beinahe den Eindruck, als filterte er die bedrohliche Farbigkeit und Saftigkeit, mit der er bisher fast obsessiv arbeitete, nun regelrecht heraus. Fast so, als wolle er jeder Form von Vergleich mit dem exotisierenden Blicken der Maler der Moderne auf das Fremde entgehen. Da, wo es scheinbar Klischees zu erkennen gäbe, lässt Doig sie fast schadenfroh in öliger Indifferenz aufgehen: Eine im Dschungel stehende, nackte Figur mit ihrer eigenartig talgig wirkenden Haut, trägt derart verzerrte Gesichtszüge, dass der Betrachter mit seinem verinnerlichten stereotypen Bildrepertoire unvorbereitet vor die Wand läuft.
Peter Doig arbeitete über Jahre mit dem Unbehagen von Einsamkeit in der Natur, das er mit jeder neuen flirrenden Schicht steigerte. In den Werken, die er seit seinem Leben in Trinidad malt, wäscht er scheinbar allen David-Lynch-Horror nach und nach bis auf einen hauchdünnen, wässerigen Film von der Leinwand ab. Das letzte Bild der Ausstellung zeigt den zarten Umriss einer kaum erkennbaren Gestalt in Fledermauskostüm ("Man Dressed as a Bat", 2007), einem traditionellen Symbol zur Karnevalszeit in Trinidad. Diese zarte, fast transparente Szene unterscheidet sich in ihrer seltsamen Schönheit und Befreitheit von allem, was Doig bisher gemalt hat. Als er im vergangenen Jahr von der immensen Summe erfuhr, die für sein Frühwerk mit Kanu bezahlt wurde, entriss es ihm für einen Moment das bisher unverkrampfte Verhältnis zu seiner eigenen Arbeit. Vor diesem Hintergrund wirkt die tatsächliche Leere des letzten Bildes in der Londoner Ausstellung fast schon symbolisch. Peter Doigs selbstbestimmter Neuanfang.
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