Überm Brunnenrand

Da dem ThSV Eisenach 300.000 Euro fehlen, droht dem Bundesligisten die Insolvenz. Nun soll die Politik mit einem zinslosen Kredit aushelfen, denn ohne Handball wäre Eisenach nicht mehr Eisenach

aus Eisenach MARKUS VÖLKER

In Eisenach hat Nationalspieler Daniel Stephan bewiesen, dass er kein nachtragender Mensch ist. Obwohl der siegverwöhnte TBV Lemgo an der Eisenacher Katzenaue eine fast schon sensationelle 28:29-Niederlage kassierte, zückte Stephan seine Brieftasche und stopfte 20 Euro in die Spendenvase des Thüringer Sportvereins (ThSV) Eisenach. Ein ganze Region ist derzeit am Sammeln, um die Handballer, als einziger Klub des Freistaats in einer ersten Liga von nationalem Interesse vertreten, zu unterstützen. 300.000 Euro fehlen, etwa ein Sechstel des Gesamtetats. Spätestens am Freitag soll entschieden werden, ob die ThSV Marketing GmbH von einem Insolvenzverwalter übernommen wird.

Die Rettung ist das Anliegen aller in der 44.000-Einwohner-Stadt. Der Metzger gibt ein paar Scheine, auch der Bäckermeister tut sein Möglichstes. Auf dem Spendenkonto, das eingerichtet wurde, sind bereits über 20.000 Euro eingegangen. Der Mittelstand, der den Handball unter der Wartburg immer getragen hat, ist wieder einmal gefordert. „Ohne Handball ist Eisenach nicht mehr Eisenach“, sagt Malermeister Steinig, „da würde Thüringen ein Stück seiner Seele fehlen“. Steinig hat 500 Euro locker gemacht. Es hat ihm weh getan, aber er konnte nicht anders.

Seit 1997 spielt der ThSV in der ersten Liga. Damals ortete die SZ „ein paar Verrückte in der Diaspora“, die gegen den Strom der wirtschaftlichen Möglichkeiten schwimmen, dies aber umso hartnäckiger tun, weil sie der starken Strömung zu trotzen gewohnt sind: Wegen der Handballgeschichte, die an Eisenach klebt wie Harz am Ball, und wegen des Einsatzes, den viele der Verrückten schon zu DDR-Zeiten geleistet haben, als der Verein noch Betriebssport-Gemeinschaft Motor Eisenach hieß und stolz darauf war, hinter den Staatsklubs aus Frankfurt, Leipzig oder Berlin die inoffizielle BSG-Meisterschaft zu gewinnen.

Von diesen Hochburgen des Osthandballs sind nur Eisenach und Magdeburg übrig geblieben. Damit die Magdeburger demnächst nicht allein dastehen, hat Präsident Frank Seidenzahl (45) ein Sanierungskonzept entworfen. Der Architekt, der, wie er sagt, seit 40 Jahren Fan ist, hat in den vergangenen Tagen viel telefoniert, um Geld aufzutreiben. „Wir müssen viele Bausteine übereinander stapeln“, sagt er. Das Fundament ist brüchig geworden. Der Mittelstand kränkelt, viele Kleinsponsoren konnten nicht wie sie wollten. Überdies kamen 400 Zuschauer pro Spiel weniger in die Halle als geplant; auch der Verkauf von Dauerkarten ging drastisch zurück. Es kam eins zum anderen. „Die Situation hat sich aufgeschaukelt“, sagt Seidenzahl. Die Spieler warten seit zwei Monaten auf ihr Gehalt – und die Wartburgstadt auf ein Signal der Rettung.

Der Sieg gegen den TBV Lemgo deutete Seidenzahl als Zeichen des Aufbruchs. „Jetzt bin ich noch optimistischer, dass unser Konzept greift“, hat er danach gesagt und ein dramatisches Bild entworfen: „Das Kind ist noch nicht in den Brunnen gefallen, hat sich aber weit über den Rand gelehnt. Es hat nur noch ein Hemdchen an – und den letzten Zipfel davon versuchen wir zu greifen.“ In dieser Mission war Seidenzahl in der Landeshauptstadt Erfurt unterwegs, um über die Gewährung von Landesgeldern zu sprechen. Dies ist nicht unwahrscheinlich, unterhält der Verein doch beste Beziehungen zur Thüringer Politik. Der frühere Innenminister Christian Köckert (CDU) ist Präsidiumsmitglied. Angeblich wurde über einen zinslosen Kredit beraten.

Der Handball in Eisenach ist an schwere Zeiten gewöhnt. Mitte der 90er, als der Verein in der 2. Bundesliga spielte, hatte sich ein Schuldenberg von einer Million Mark angehäuft. Doch auch in der ersten Liga blieb es problematisch, weil Eisenach nie richtig nach vorn kam und die Gunst der Anhänger stets auf eine harte Prüfung stellte. Das von Trainer Peter Rost geführte Team wird wohl den Klassenerhalt schaffen. Doch die Mannschaft droht auszubluten. Zwei Nationalspieler haben ihren Abschied angekündigt: Kreisläufer Stephan Just geht nach Magdeburg; der Isländer Jonny Jensen nach Flensburg; auch Leistungsträger Elmar Romanesen plant abzuspringen. „Es geht um die Zukunft des Handballs auf Jahrzehnte hinaus“, sagt Seidenzahl. „Das sollte nicht an 300.000 Euro scheitern.“