Übergriffe in Sachsen: "Da haben Glatzen gewartet"
Wie wurde aus einer Rempelei eine Hetzjagd? Kaum vorstellbar, dass das ohne Ausländerfeindlichkeit möglich gewesen wäre. Eine Spurensuche in Mügeln
"Suchet der Stadt Bestes!" steht über dem im Jahr 1882 im norddeutschen Hansestil erbauten Rathaus von Mügeln. Das würde Bürgermeister Gotthard Deuse für die sächsischen Kleinstadt auch gern. Um so trauriger stimmt ihn, was in der Nacht zum Sonntag beim Altstadtfest auf dem nahe gelegenen Marktplatz geschah. Wenn ein deutscher Mob acht Inder jagt und schließlich zwei Schwerverletzte und ein Dutzend Leichtverletzte zu beklagen sind, muss das seine Stadt in Verruf bringen. "Mügeln hat dieses Negativ-Image nicht verdient. Wir feiern gern - mit allen", sagt der Bürgermeister.
Sachsen weist die höchste Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten auf. Im Jahr 2006 meldeten die ostdeutschen Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt 819 Gewalttaten, 18 Prozent mehr als im Vorjahr, in dem bereits ein Höchstmarke erreicht worden war. Besonders stark stieg die Zahl in Mecklenburg-Vorpommern (von 62 auf 103) und in Sachsen (von 168 auf 208). In beiden Ländern sitzt die NPD im Landtag.
Zum Beispiel mit den indischen ambulanten Händlern, die seit Jahren jeden Dienstag und Donnerstag auf dem Markt ihre Textilienstände aufbauen. Man kennt sie in Mügeln, ebenso wie man den Inder Singh kennt, der im Ort eine Pizzeria betreibt.
Doch gegen Mitternacht kommt es im Festzelt zu einer Rempelei. Anfangs ist es nicht mehr, als bei solchen Volksfesten üblich ist. Auf der Tanzfläche ist es eng. Aber bei der Gruppe, die durch ihre Bewegungen auf der Tanzfläche das Missfallen einiger deutscher Besucher erregt, handelt es sich um Ausländer. Frauen belästigen sie nicht, allenfalls himmeln sie die Sängerin der Band an. So weit stimmen alle Berichte überein.
Wie aber eine Rempelei zu einer Messerstecherei und zu einer Hetzjagd eskalierte, an der sich 50 Menschen beteiligten, lässt sich nicht so einfach rekonstruieren. Hier driften Berichte der Beteiligten auseinander.
Susann Meyer, eine deutsche Angestellte in der Pizzeria Singh und unmittelbare Tatzeugin, macht auswärtige Rechtsextreme dafür verantwortlich. "Da haben Glatzen draußen vor dem Zelt gewartet, als ob das geplant gewesen wäre." Sie hätten sich aber mit Mügelner Gästen vermischt. "Wenn ihr nicht gleich abhaut, ist hier was los", sei gedroht worden. Die Inder seien schnell in eine bedrohliche Situation geraten und geflohen. Zunächst in eine Seitenstraße, dann in einen Hof, schließlich in die Pizzerias ihres Landsmanns Singh, einem schüchtern und sehr friedlich wirkenden Mann. Unbestritten ist wiederum, dass auch die Pizzeria den Angegriffenen keinen Schutz bot und dass bereits eine Scheibe eingetreten und ein Auto demoliert worden war, bevor die Polizei etwa eine halbe Stunde nachdem sie von den Indern gerufen worden war mit etwa 70 Beamten anrückte. Da hatten einige Angreifer bereits Pfeffergas eingesetzt und einen weiteren deutschen Angestellten der Pizzeria mit Tritten schon misshandelt. Verbürgt sind auch Rufe wie "Ausländer raus!" Die Polizei verhinderte durch ihr entschlossen Auftreten Schlimmeres, wie auch einige Bewohnern anerkennen.
Eine andere Geschichte erzählen einiger Mügelner, die sich am Tage danach gleichfalls am Markt einfinden und das Geschehen diskutieren. Danach hätten sich die Inder schnell zusammengefunden und mit Messern und abgeschlagenen Flaschen bewaffnet. Eskaliert sei das Geschehen, weil zuerst zwei Deutsche an Hals und Oberschenkel durch Stiche verletzt wurden. "Da haben sich eben einige Deutsche in landsmannschaftlicher Verbundenheit zusammengetan", lässt sich ein Mügelner mittleren Alters vernehmen und fügt hinzu: "Sie wollen doch nur schreiben, dass in Mügeln alle rechtsradikal sind!"
Daneben steht ein etwa 25-jähriger junger Mann mit Bärtchen und kleinem Bauch, der dazu eifrig nickt - aber nur, um sich gleich darauf ausdrücklich als Rechtsradikaler zu bekennen. Ja, er sei dabei gewesen und habe vor der Pizzeria auch ausländerfeindliche Parolen gerufen, nachdem "zwei von uns" schwer verletzt worden waren. "Die sollen ihr Leben leben, die Kanaken, und uns in Ruhe lassen."
Andere Einwohner kommentieren das Geschehen teilnahmslos. Aber an eine organisierte Tat glauben sie nicht. Wenn es gezielt gegen Ausländer gegangen wäre, hätten die zahlreichen von "Fidschis" betriebenen Lebensmittelläden und Imbisse in der Nähe des Markts ebenfalls "dran glauben müssen", meinen sie.
Mit den Indern habe es bislang keine Probleme gegeben, sagen die 16-jährige Monique und die 17-jährige Mandy. Von einer organisierten Neonazi-Szene haben sie nie etwas bemerkt, ebenso wenig wie der Bürgermeister. Eine rechtsextreme Szene gibt es aber im wenige Kilometer entfernten Leisnig, wo auch die Polizei an diesem Wochenende in Bereitschaft war. Bürgermeister Deuse hatte nach Ankündigungen im Internet die Polizei auf mögliche geplante Aktionen auch bei seinem Stadtfest hingewiesen.
Jetzt bekundet er für die Opfer "sehr großes Mitgefühl". Der am schwersten verletzte Inder kommt soeben aus dem Krankenhaus, hat ein von mehreren Nähten und blauen Flecken entstelltes Gesicht. Pizzabäcker Singh, der sich bislang so sicher fühlte, hat Angst davor, dass sich ein solcher Übergriff wiederholen könnte. Bürgermeister Deuse wiegelt ab: "Es kann auf jedem Volksfest mal so etwas geben, und Mügeln hat es eben mal getroffen." "Der Alkohol hat um diese Zeit eine Rolle gespielt - und außerdem war plötzlich mal was los", sagt auch Polizeisprecher Reinhard Böttcher.
Doch ist kaum vorstellbar, dass eine Rempelei zu einer Hetzjagd eskaliert, an der sich 50 Leute beteiligen, wenn nicht ausländerfeindliche Ressentiments existieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin