piwik no script img

Überall Umweltkatastrophen. Dabei müsste es Menschenkatastrophe heißenDer Tragödie dümmster Teil

Kolumne Wir retten die WeltVonBernhardPötter

Kurt Michel war ein Deutschlehrer von altem Schrot und Korn. Für ihn war Goethe der Größte, Marx war Murks und das klassische Theater seine Leidenschaft. Deshalb verdonnerte er uns in der neunten Klasse dazu, mit verteilten Rollen „Antigone“ zu lesen und öffentlich den „Diener zweier Herren“ aufzuführen. Ich hasste das. Heute sehe ich Pater Michel in milderem Licht. Sicher, er war herrisch und er liebte Drama auf großer Bühne. Aber eines ging bei ihm nicht: Begriffe zu benutzen, ohne zu wissen, was sie bedeuten.

Wie gut, dass mein alter Deutschlehrer dieser Tage nicht die Zeitungen des Bildungsbürgertums lesen muss. Dort wimmelt es von „Tragödien“, wenn es um die Vernichtung der Umwelt geht. Die FAZ schreibt über die Zerstörung des Great Barrier Reef durch Klimawandel und Kohlebagger, das sei „eine Tragödie“. Für die Zeit folgen auf den Klimawandel „unzählige Tragödien“, weil Menschen ihre Heimat verlassen müssen, Land, Arbeit und Eigentum verlieren. Die Website Climate and Capitalism schreibt, Überschwemmungen in Indien seien „vermeidbare Umwelt-Tragödien.“

„Sechs, setzen!“, hätte unser alter Deutsch-Spieß Michel gebellt. Falsch! In einer Tragödie kann der Held seinem Schicksal nicht entgehen. Das schlimme Ende ist unausweichlich. Höhere Mächte richten den armen Tropf zugrunde. Also genau das Gegenteil von dem, was Umweltzerstörung und Klimawandel anrichten. Es ist nicht unausweichlich, dass wir das wichtigste Riff der Erde zerstören. Es ist nicht einfach Schicksal, wenn Menschen wegen steigenden Meeresspiegeln ihre Heimat aufgeben. Und es ist erst recht nicht der Wille der Götter, wenn in Indien wegen Korruption und Klimaänderungen Tausende Menschen bei Überschwemmungen ertrinken. Sprache ist verräterisch, auch das hat uns der alte Michel eingebläut.

Wer die Verantwortung für Desaster beim Schicksal ablädt, der akzeptiert sie als Kollateralschäden des Weltgeistes. Wer die Vernichtung von Lebensräumen und deshalb auch von Menschen, Tieren und Pflanzen als „Tragödie“ bezeichnet, der will nicht, dass sich daran etwas ändert. Wie auch? Das Scheitern des Helden ist ja unausweichlich, sagt die Definition. „Der Keim der Tragödie ist, dass der Mensch der Hybris verfällt und dem ihm vorbestimmten Schicksal durch sein Handeln entgehen will.“

Hybris haben wir hier bis zum Abwinken. Nicht, weil wir uns gegen das Schicksal auflehnen, sondern weil wir das Schicksal für alles verantwortlich machen, was wir anrichten. Die Katastrophe (auch ein Element der Tragödie übrigens) bei Klima oder Artensterben ist keine Umwelt-, sondern eine Menschenkatastrophe. Wie anders würden wir auf die Welt schauen, wenn wir in den Nachrichten alle paar Tage diese Schlagzeilen hörten: „Menschenkatastrophe auf den Ölfeldern im Persischen Golf“, „Menschenkatastrophe nach einem Reaktorunfall“, „Chemieunfall führt zu Menschenkatastrophe“.

Schwierig wird es, wenn wie derzeit in Washington Mitglieder eine Laienspielerschar den größten anzunehmenden Unfall provozieren, weil auch sie den Unterschied zwischen Tragödie, Komödie und absurder Performance nicht kennen. Da helfen dann auch keine goldenen Vorhänge im Weißen Haus. Es bleibt Schmierentheater.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen