die taz vor 14 jahren : Über die Einheit im Trennenden
Der Vorschlag kommt anderthalb Jahre zu spät. Zu Beginn der Legislaturperiode hätte die Einrichtung eines „Ausschusses für Ost-Angelegenheiten“ dokumentiert, daß auch das Berliner Abgeordnetenhaus in der Lage ist, veränderten Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Er hätte den Bürgern im Ostteil signalisiert, daß sie nicht nur eingemeindet wurden, sondern daß ihre Sondersituation auch eine entsprechende Berücksichtigung im parlamentarischen Raum hat. Zum jetzigen Zeitpunkt käme ein solcher Ausschuß dem Eingeständnis einer fehlgeschlagenen Integrationspolitik gleich.
Die Ost-Abgeordneten sind sicherheitshalber gleich in die Knie gegangen und haben sich vorsichtig tastend in den parlamentarischen Betrieb hineinbewegt. Kaum einer ist dabei auf die Schnauze gefallen, doch kaum einer ist dabei, der herausragt. Als vorläufiges Resultat läßt sich festhalten, daß die Ost-Abgeordneten integriert sind. Die Angleichung wurde individuell vollzogen, und diesen mühsam erreichten, diesen Drei-Viertel-West-Standard will keiner mehr hergeben. Deshalb muß nun ein eigenes parlamentarisches Gremium wie eine pädagogische Krücke erscheinen für all jene vermeintlichen Unzulänglichkeiten, die mit dem sattsam bekannten Begriff der Befindlichkeit umschrieben werden.
Auch wenn sie zu spät kommt: Man muß die Idee eines „Ausschusses für Ost-Angelegenheiten“ trotzdem gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, damit würde dem Gedanken des Zusammenwachsens widersprochen. Die Einheit erreicht man nicht, indem man das Trennende verschweigt.
DIETER RULFF, 14. 9. 1991