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Über Abschiede und TrauerEin ganzes Haus voller Spuren von Leben

Unsere Kolumnistin schätzt gute Kleidung. Das Angebot eines Freundes, sich die Sachen seiner verstorbenen Mutter anzuschauen, ist da eine Verlockung.

Schon schick: Spitze Foto: Bernd Weißbrod/picture alliance/dpa

E in lieber Freund räumt sein Elternhaus aus, etwas, das man in unserem Alter tut. Mein Freund hatte mich gefragt, ob ich ein paar Sachen haben wolle, Accessoires, die seiner Mutter gehört hatten, die eine elegante Frau gewesen war. „So wie du“, sagte mein Freund.

Ich bin in seinen Augen eine elegante Frau. Ich nehme das gerne an, ich lege viel Wert darauf, gut gekleidet zu sein. Meine Stylevorbilder sind Sekretärinnen in „Columbo“-Filmen. Als Jugendliche schon, als ich noch gar keine „Columbo“-Filme gesehen hatte.

Meine Mutter empörte das, sie sah darin eine Art Dünkel oder ein „Besserseinwollen“. Sie lag damit gar nicht so falsch. Ich wollte mich besser anziehen als sie, das war ein jugendlicher Trotz. Heute bin ich sehr tolerant, was Kleidung angeht, viel toleranter als meine Mutter. Mir gefällt es, wenn Menschen Kleidung tragen, die zu ihnen passt, in der sie sich richtig fühlen. Das ist Mode, wie ich sie verstehe. Eine Form des eigenen Ausdrucks. Ich bin für die Vielfalt der Stile. Selbst den, der behauptet, er wolle nichts aussagen, sich der Bequemlichkeit fügen, denn auch das ist eine Entscheidung, und zwar eine sehr entspannte.

Ich bin keineswegs entspannt mit meinem Drang, mich gut anzuziehen, aber immerhin macht die Umsetzung, das Ausleben dieses Dranges, mir viel Spaß.

Ich fühlte vieles gleichzeitig, Scham, Melancholie, Begeisterung

Accessoires sind ein wichtiges Bestandteil von Mode und ich war also verlockt von diesem Angebot meines Freundes. Mit dem Bus fuhr ich in einen Stadtteil, in dem ich noch nie war, und betrat das Haus, in dem mein Freund aufgewachsen war. Es war voller Spuren von Leben, dem Leben seiner Eltern. Ich sah Postkarten und Notizzettel, Briefe und Fotografien. Ich sah, wo sie gekocht, ferngesehen, Kaffee getrunken, geschlafen hatten. Ihr Leben war noch in dem Haus, und ich begriff, wie schmerzhaft das alles für meinen Freund war. Und ich konnte nicht umhin, daran zu denken, dass meine Kinder irgendwann meine Wohnung ausräumen werden müssen und dass ich mir überlegen will, vorher, wie ich es ihnen hinterlasse.

Aber es kommt mir so vor, als müsste es noch weit in der Zukunft liegen, und ich weiß gar nicht, wie mein Leben dann ist, wenn ich alt bin. Ich denke, ich muss es noch nicht wissen und mein Vorsatz ist ein halbherziger.

Von diesen ganzen Gefühlen begleitet wühlte ich also in den Sachen der eleganten Mutter herum, und die Frau meines Freundes machte es mir einfach, indem sie alles vor mich hinlegte. Ich fühlte vieles gleichzeitig, Scham, Melancholie, Begeisterung (denn es waren so wunderbare Lederhandschuhe, Tücher, Schals, Strumpfhosen, in allen Farben, nie könnte ich mir so etwas Schönes in solcher Auswahl leisten).

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Mein Freund sagte, er freue sich, wenn jemand etwas damit anfangen könne, er freue sich, wenn ich mich freue. Und ich sagte, ich freue mich ja, ich freue mich so. Ich sah, wie traurig das alles für ihn war, wie mühselig sich die beiden durch all diese Dinge kämpften, die das Leben von zwei Menschen ausgemacht hatten.

Später stand ich mit einem ganzen Koffer voller Sachen in der Dunkelheit an der Bushaltestelle. Der Mond stand weiß über der Tankstelle gegenüber. In der U-Bahn Scharen von Jugendlichen, die sich für Halloweenpartys zurechtgemacht hatten.

Auch bei mir klingelte es später immer wieder an der Tür. Ich machte nicht auf, das erste Mal seit Jahren hatte ich nichts zu Hause. Sonst hatte ich immer etwas gehabt, aber niemand war gekommen, jetzt war es umgedreht. Alles ändert sich, wirklich alles.

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