Udo Lindenbergs Buch über Hermann Hesse: "Ein Unruhegeist wie ich"
Was Udo Lindenberg mit Hermann Hesse verbindet und welche Bücher ihn inspirierten, erfährt man im neuen Buch des Altrockers: "Mein Hermann Hesse".
Die Leserinnnen und Leser, die das Börsenblatt des deutschen Buchhandels abonniert haben, sind zumeist in der Branche tätig und lassen sich so schnell nicht erschüttern. Allwöchentlich lesen sie trockene Umsatzzahlen, Verkaufsempfehlungen und Gerüchte, nehmen ungerührt Geschäftsauflösungen und Titelschutzmeldungen zur Kenntnis und arbeiten sich durch vierzig bunte Seiten Werbung, in denen Verlage dem Buchhandel ihre zukünftigen Bestseller anpreisen. Allwöchentlich wird darin Neues von Fernsehköchen, Wirtschaftsberatern und Nobelpreisanwärtern beworben, das Buch der Woche, des Monats, des Jahres, Hits, Hits, Hits! Bücher, die etwas einfallslos angepriesen werden mit den Worten: "Wir werben in allen großen Magazinen! 2 Millionen Kundenkontakte!", "Ihre Kunden werden es Ihnen aus der Hand reißen!" und immer wieder "Da muss man einfach weinen". All das lässt diese professionellen Leserinnen und Leser gemeinhin kalt; kühl rechnen sie, was sich tatsächlich lohnt und was ihre Kundschaft eher nicht anrühren wird.
In der vergangenen Woche nun schreckten diese abgebrühten Händlerinnen und Händler dann doch einmal kurz auf - mit den denkwürdigen Worten "Bei Hermann Hesse fühle ich mich am zuhausesten" bewarb der Suhrkamp Verlag ein Hermann-Hesse-Lesebuch, das von Udo Lindenberg und dem im Schatten agierenden Hesse-Kenner Herbert Schnierle-Lutz zusammengestellt worden ist. "Mein Hermann Hesse" heißt das Werk knapp, und Udo Lindenberg ist auf dem Cover eher als Autor denn als Herausgeber ausgewiesen. Lindenberg. Mein Hesse. Im Traditionshaus Suhrkamp. "Zuhausesten".
Ist das nicht bereits eine Kulturrevolution? Was könnte man als nächstes erwarten? Ein Buch von Herbert oder - warum nicht? - Dietrich Grönemeyer herausgeben, Titel: "Mein Musil", Werbespruch: "Bei Musil fühle ich mich am eigenschaftlichsten"? Ist die deutsche Kultur am Ende? Ausverkauf allerorten?
Wenn man das Lesebuch, das vorgestern erschienen ist und für das man gute Verkäufe erwarten darf, zur Hand nimmt, findet man eine solide gemachte Auswahl aus dem Werk, Erzählungen, Romanauszüge ("Demian", "Siddharta", "Steppenwolf"), Briefstellen und allerhand Gedichte. Dazu schreibt Lindenberg ein knappes Vorwort, das mithilfe von Fotos, die Lindenberg unter anderem lesend oder mit Hesses Enkel zeigen, auf zwölf Druckseiten ausgedehnt werden konnte. Selbstverständlich schreibt der deutsche Gerontopopstar im kumpelhaften Lindenbergstil: "Hallo, liebe Leserinnen und Leser, Ihr werdet euch sicherlich fragen, was die Rocknachtigall Udo Lindenberg mit der Edelfeder Hermann Hesse zu tun hat. () Auf dem Pflaster des Calwer Marktplatzes ist er damals als Steppke rumgerannt, ein Unruhegeist wie ich, mit nem großen Traum im Kopf, den er niemandem sagen konnte, weil die Erwachsenen, die ihren Traum längst verraten oder vergessen haben, das nicht mögen. Beide haben wir Umwege gemacht, getrickst, die Erwachsenen beruhigt und getäuscht - er als Schlosser- und Buchhändlerlehrling, ich als Liftboy und Hotelpage -, um letztlich doch unseren ganz eigenen Weg zu finden und unseren Traum von Leben und Kunst zu verwirklichen."
Das klingt auch nicht dümmer und schrecklicher als das, was uns manche Literaturexperten als Lesebuch präsentieren - zu jedem runden Geburtstag werden wir mit Goethe-, Brecht- und Heine-Büchern erschlagen. Angesichts dessen ist "Mein Hermann Hesse" dann schon wieder okay; ein gutes Buch für Leserinnen und Leser, die sich gern duzen lassen und etwas über "Lindi" und Hesse lesen wollen - also für Pubertierende und Leute in Lindenbergs Alter, die sich als "Junggebliebene" bezeichnen.
Udo Lindenberg: "Mein Hermann Hesse. Ein Lesebuch". Zusammengestellt von Udo Lindenberg und Herbert Schnierle-Lutz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008, 290 Seiten, 8,90
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