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■ USA: Der Rechtsausschuß empfiehlt die Anklage Bill ClintonsAmerika – ein Tollhaus?

Man sperre drei Dutzend Menschen eine Woche lang in einen Raum und lasse sie darüber beraten, ob ein Ereignis trivial oder von historischer Bedeutung ist. Der Raum verwandelt sich in ein Tollhaus. Fünf Tage lang debattierten die 36 Mitglieder des Rechtsausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses darüber, ob der Präsident der USA des Amtes enthoben werden sollte – wegen einer meineidigen Äußerung über sein Verhältnis zu Monica Lewinsky. Das Schauspiel war halb Posse, halb Tragödie. Es bestätigte, daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist und daß historische Ereignisse sich einmal als Tragödie ereignen und sich dann als Farce wiederholen.

Die Beratungen fanden am gleichen Ort statt, an dem vor 24 Jahren die Anklage gegen Richard Nixon formuliert wurde. Dieser Präzedenzfall wurde ständig beschworen. Von den Demokraten, um zu beweisen, wie lächerlich sich Clintons Verfehlungen im Vergleich zu der Verschwörung Nixons ausnehmen. Von den Republikanern, um von den Demokraten zu verlangen, daß sie die gleichen Verfahrensregeln wie damals anwenden. Die Eingesperrten nahmen die Absurdität ihrer Auftritte nicht mehr war. Da saßen Leute wie der Abgeordnete Robert Barr, der seit Jahren die Amtsenthebung Clintons verlangt, und versicherten mit ernster Miene, daß ihnen ihre Stimme für die Amtsenthebung keine Genugtuung bereite. Da erzählt ein Abgeordneter, er habe in der Nacht vor der Abstimmung nicht schlafen können und sei am Vietnam Memorial vorbei und um das Washington Monument herum spaziert – als wüßte nicht jeder, daß im „freiesten Land der Welt“ mit seinem Leben spielt, wer nächtens durch die Straßen seiner Hauptstadt wandelt.

Immer wieder wurde die Verfassung dieses „großartigsten Landes der Welt“ wie ein Fetisch beschworen, als durchschaue die Mehrheit im Lande nicht, daß dieses ganze Verfahren ein parteipolitischer Clinch ist, wie das Abstimmungsergebnis denn auch bewies. So ineinander verrannt haben sich die Kampfhähne, daß sie nicht mehr über die Mauern ihres Parlamentsgebäudes hinaussehen und die Stimmung in der Bevölkerung wahrnehmen können. Sie vergessen den Rest der Welt und manövrieren mit ihrem Streit das Land in eine prekäre Lage.

Seit dem Ende des Kalten Kriegs scheint Amerikas politische Elite autistisch geworden zu sein. Sie hat die Verbindung zur Realität verloren – zur nationalen und zur internationalen. Peter Tautfest

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