US-Zeitung mit drastischer Regelung: Fürs Kommentieren bezahlen
Wer bei der amerikanischen Lokalzeitung "The Sun Chronicle" seine Meinung loswerden will, muss künftig einen Dollar bezahlen. Eigentliches Ziel: Die Personaldaten der Leser.
Amerikanische Lokalzeitungen hat die Medienkrise besonders schwer getroffen: Zahlreiche Blätter haben ihr Angebot reduziert, stehen kurz vor der Insolvenz oder wurden gar eingestellt. Da ist es kein Wunder, dass die Redaktionsleitungen nach neuen Einnahmequellen suchen. Beim Sun Chronicle im schönen Attleboro, einer 40.000-Einwohner-Stadt im Bundesstaat Massachusetts, hat man sich nun eine ganz neue Finanzstrategie einfallen lassen: Wer im Internet-Forum der Zeitung mitdiskutieren und beispielsweise Artikel kommentieren will, muss ab sofort dafür zahlen. Noch fällt der Betrag recht moderat aus: 99 US-Cent werden einmalig fällig, zahlbar per Visa, American Express oder Mastercard.
Als Grund für die Kommentargebühr nennt der Verlag des "Sun Chronicle" aber nicht den wachsenden Bedarf nach einer Diversifizierung der Einnahmenbasis. Stattdessen diene die Gebühr einzig und allein der Sicherstellung einer vernünftigen Diskussionskultur. So hatte das Blatt die Möglichkeit der Artikelkommentierung im April abgeschaltet, um "Exzesse" zu vermeiden. Davon betroffen waren auch die im gleichen Verlag erscheinenden Lokalblätter "Foxboro Reporter" und "Silver City Bulletin".
"Es gab eklatante Verstöße gegen unsere Zulässigkeitsregeln und viele unbegründete Vorwürfe", so der Zeitungsverleger Oreste D'Arconte. Mit dem Registrierungsverfahren will der "Sun Chronicle" nun sicherstellen, dass nur mit Klarnamen diskutiert wird, anonyme Kommentare seien verboten. Wer gegen die Regeln der "Netiquette" verstößt, kann aber auch nach Bezahlung noch herausgeworfen werden. "Diskutanten, die unsere Regeln verletzen, werden verbannt", so D'Arconte. Neben der Kreditkartennummer und dem Namen verlangt die Zeitung auch die Angabe der echten Postadresse und Telefonnummer. Außerdem müssen die Nutzer Bedingungen anerkennen, laut denen sie unter den bestehenden Landes- und Bundesgesetzen "für ihre Kommentare verantwortlich sind". Wer Verleumdungen veröffentlich, muss also mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.
Dass die neue Gebühr die Meinungsfreiheit einschränkt, glaubt Verleger D'Arconte nicht. Auch in der Zeitung erschienen doch Meinungsbeiträge von Dritten, die aber stets mit vollem Namen gekennzeichnet seien. Noch ist unklar, wie die neue Kommentargebühr, die seit wenigen Tagen gilt, bei den Lesern ankommt – Zahlen veröffentlichte der "Sun Chronicle" bislang nicht. Ein schneller Blick auf die Seite förderte allerdings keinen einzigen kommentierten Artikel zutage, bei dem sich Nutzer über ihre frische "Member ID" eingeloggt hätten. Selbst die Ankündigung des Registrierungszwangs durch den Verleger wird mit keinem Nutzerwort bedacht.
In Deutschland gibt es auf den großen Nachrichtenportalen unterschiedliche Ansätze, mit Leserkommentaren umzugehen. Auf die Idee, für Kommentare Geld zu verlangen, ist jedoch noch niemand gekommen. Der Trend geht aber eindeutig weg von der vollständig freien Kommentierung hin zur Freischaltung jedes einzelnen Beitrags durch die Redaktion – beziehungsweise durch speziell zuständige Community-Manager (CMs). Bei "Sueddeutsche.de" führt dies dazu, dass in der Nacht, wenn keine CMs vor Ort sind, nicht mehr direkt kommentiert werden kann.
Ebenfalls mittlerweile bei den Verlagen sehr populär - wenn auch eher selten bei den Lesern selbst – ist der Registrierungszwang. Dabei muss man zumindest Namen und E-Mail-Adresse angeben, um einen kommentierfähigen Zugang zu erhalten. Die Hürde hält viele Nutzer von unangemessenen Pöbel-Schnellschüssen ab, ist für einen echten Kommentar-Troll aber auch keine Barriere. Immerhin kann die Redaktion einen solchen Zugang leicht sperren, was den Leser aber nicht abhalten kann, sich neu zu registrieren.
Bei taz.de gilt ebenfalls eine Netiquette. Die ist aber ziemlich einfach: Wenn man auf "Abschicken" klickt, wird der Kommentar ohne weitere Bestätigung an die Redaktion geschickt. Er wird veröffentlicht, sobald ein Redakteur ihn freigeschaltet hat. taz.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus ähnlichen Gründen unangemessene Beiträge nicht zu publizieren.
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