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US-Produzent Juan MacLean über Sucht„Ich will das System niederreißen“

Houseproduzent Juan MacLean war drogenabhängig. Nun hat er in New York eine therapeutische Einrichtung zur Suchtbehandlung mitgegründet.

Guter House-Produzent und DJ: Wie ist er als Therapeut? Juan MacLean Foto: Jonathan Forsythe
Interview von Thomas Venker

taz: Juan MacLean, die meisten Menschen kennen Sie als Dancefloor-Produzent und DJ. Wie kam es zu Ihrer Tätigkeit als Therapeut?

Juan MacLean: Ich habe mich schon in jungen Jahren mit psychedelischen Substanzen beschäftigt. Ich war zudem heroinabhängig, als ich noch sehr jung war. Mir ist es dann zwar gelungen, durch Yoga und Meditation von harten Drogen wegzukommen. Obwohl ich jahrelang clean war, blieb ich sehr deprimiert. Ich war durch meine Depressionen akut suizidgefährdet. Aus Verzweiflung bin ich in den Dschungel nach Peru gereist, weil ich gehört hatte, dass Ayahuasca gegen Depressionen helfen soll. Ich hatte alles andere versucht, nichts hat funktioniert. Danach wusste ich, dass ich ein Teil der zeremoniellen Psychedelika-Welt sein wollte.

Was passiert dabei?


Bei der Ayahuasca-Zeremonie spielt Klang eine große Rolle, die Zeremonie besteht neben der Einnahme vor allem aus Gesang. Das ist gar nicht so weit weg von meinen Erfahrungen als DJ, wo ich auch in einem Raum mit vielen Leuten auf Drogen bin. Sie vertrauen mir als DJ, dass ich sie mit Sound durch die Nacht führe – das ist es auch, was jede psychedelische Zeremonie ausmacht. Ich habe mich einfach hineingestürzt, mit Lehrer:Innen, die mich dabei angeleitet haben.

Hatten Sie aufgrund Ihrer früheren Drogenprobleme keine Angst, dass Sie abermals in die Suchtspirale geraten könnten?

Diesen Gedanken gab es, aber ich war so verzweifelt, dass ich bereit war, ein Risiko einzugehen. Mein Leben war schon zu lange beschissen, so wollte ich nicht weiterleben. Bevor ich meine erste Tasse Ayahuasca trank, war mir bewusst, dass diese Entscheidung fatale Auswirkungen auf mein Leben haben könnte.

Dem war nicht so?

Nein. Sie hat mein Leben nachhaltig verändert. Ich möchte nicht behaupten, dass für alle die erste Erfahrung so extrem sein wird, es ist eher ein Weg.

Was führte dazu, dass Sie diese Therapieform nicht nur für sich selbst anwenden, sondern sie kombiniert mit Ihrer Tätigkeit als Musiker auch anderen Menschen anbieten?

Ich habe Psychologie studiert, mit dem Ziel, Therapeut zu werden; angeregt durch einen längeren Aufenthalt in Indien, wo ich mich intensiv mit Yoga beschäftigt habe. Erfahrungen habe ich auch als Berater in Drogenambulanzen gesammelt. All das gab mir das Gefühl, dass ich eine gute Ausbildung darin habe, wie man mit Menschen umgeht, die sich in einer psychischen Krise befinden.


Im Interview: Juan MacLean

Juan MacLean blickt auf eine lange Karriere zurück. In den 1990ern spielte er Gitarre bei der Post-Hardcore-Band Six Finger Satellite. So spannungs­geladen die Musik, so chaotisch verlief das Leben der Bandmitglieder, die immer tiefer in die Drogensucht rutschten. Hilfe kam vom ehemaligen Tontechniker der Band, James Murphy. Er gründete 2000 DFA Records und veröffentlichte auch das Werk von Juan MacLean. MacLean gab vor wenigen Wochen bekannt, dass er mit Ross Ellenhorn, Dimitri Mugianis und Julie Holland die Ambulanz Cardea eröffnet hat und dort psychedelische Therapien anbietet. cardea.net

Sie legen während der Sitzungen Musik auf, sind also Teil des Therapieteams – und doch klingt es so, als ob diese Sitzungen auch für Sie selbst noch Therapie sind.

Natürlich bin ich primär für die Person (oder Personen, wir bieten auch Gruppentherapien an) da, die sich uns anvertraut, aber ja, es ist auch eine Zeremonie für mich.


Erklären Sie den Teil­neh­me­r:In­nen im Vorfeld Ihre Rolle?

Wir nehmen uns Zeit, die Zeremonien in einem Vorgespräch genau durchzusprechen. Bei dieser Erfahrung geht es um Energie. Im Unterschied zur westlichen Medizin sind wir keine Ärzte und wollen Patienten nicht heilen, sondern werden Teil einer gemeinsamen interaktiven Erfahrung – ich nehme immer Magic Mushrooms mit, damit wir gemeinsam in diesem Raum sein können. Es geht darum zu lernen, wie man sich darin bewegt.

Solche Reisen verlaufen nicht reibungslos. Oft kommen traurige Erinnerungen und verdrängte Ereignisse hoch, so werden Probleme verarbeitet. Verstehe ich richtig, Sie sind lediglich für die Musik zuständig, Therapiegespräche führen Ihre KollegInnen?

Wir machen alle das Gleiche. Generell wird nicht geredet während der Sitzung. Es sei denn, jemand will reden, zum Beispiel, wenn die Person eine schwere Zeit hat. Aber es ist eine Sache, die über die Sprache hinausgeht. Viele Leute kommen zu uns, weil sie von der Gesprächstherapie frustriert sind, sie sind gegen eine Wand gelaufen, wo das Reden nicht wirklich etwas bewirkt. Zum Beispiel bei Depressionen und Angstzuständen.

Würden Sie sagen, dass es hart ist, jemand ohne Gespräche dabei zu begleiten – die Leute reagieren durchaus heftig und bekommen Heulattacken?

Wenn man sieht, dass es jemandem schlecht geht, ist der erste Impuls, da reinzugehen und die Dinge zu ändern, damit es demjenigen nicht mehr schlecht geht. Aber das ist nicht förderlich. Wir unterdrücken unsere Gefühle oft, aber das führt nirgendwohin. Wenn man sich das Weinen abgewöhnt hat, sammelt es sich im Körper an, lebt dort und führt zu Stress. In indigenen Kulturen weinen die Menschen, wenn ihnen danach ist – und andere unterstützen sie dabei, indem sie mit ihnen weinen. In den Industrieländern ist das nicht so: Wenn jemand weint, schämen sich die Leute meistens und gehen sogar auf Distanz. Es ist mit Scham behaftet. Wenn ich während der Zeremonien jemand weinen sehe, spüre ich den Impuls, die Person zu trösten, damit sie nicht mehr weint. Stattdessen gilt es das Weinen zu fördern, denn danach fühlt man sich normalerweise besser.

Sie haben erwähnt, es gibt Vorgespräche, die Sitzungen dauern oft einen Tag, und es gibt Nachbesprechungen. Ich nehme also an, dass die Therapie nicht gerade günstig ist.

Sie ist teuer. Wir bieten auch kostenlose Therapien an, beispielsweise für Obdachlose. Wir weisen niemanden ab, weil er nicht zahlen kann. Die, die die volle Gebühr bezahlen können, zahlen auch für jene mit, die es sich nicht leisten können. Meist spornt das die Leute an.

Nicht alle Therapien sind in den USA legal, deswegen bieten Sie Retreats auf Jamaika an. Betreiben Sie politische Lobbyarbeit, um solche Behandlungen in den USA zu legalisieren?

Ich bin zwiegespalten, was die Legalisierung angeht. Es gibt bereits eine Menge Risikokapital, das sich davon eine neue Form von Antidepressiva erhofft – Pilze als das neue Prozac. Das behagt mir nicht. Menschen, die zu uns kommen, leiden oft an Depressionen und Angstzuständen. Die Idee, diese Mittel als Antidepressivum zu verwenden, um Leute wieder aufzupäppeln, damit sie wieder arbeiten und sich ins System einfügen, ist verrückt. Ich möchte das System niederreißen.

Wer etwas nachhaltig heilen will, braucht Zeit. Man muss vieles verändern – nicht nur individuell, sondern in der Gesellschaft als Ganzes. Was nicht leicht ist, denn die Menschen stehen unter massivem Druck, gerade in New York mit seinen astronomischen Miet- und Lebenshaltungskosten.

Wir arbeiten gegenwärtig mehr als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Selbst in den Jäger- und Sammlergesellschaften war es nicht so, dass man aufgewacht ist und den Tag damit verbracht hat, Wege zum Überleben zu finden. Die Menschen arbeiteten einige Stunden, um das zu tun, was sie tun mussten, egal wo. 
Ich verstehe nicht, warum die Leute zwölf Stunden arbeiten! 
Das ist schlichtweg deprimierend.

Wir vergessen oft, wie wichtig freundschaftliche Begegnungen mit anderen sind. Etwa, indem wir gemeinsam Tanzen. 
Nun könnte man daraus ableiten, dass Sie als DJ eigentlich hätten happy sein müssen?

Ich habe zu viele Engagements angenommen. Das lag an meiner Angst: Da war immer dieses Gefühl, wenn ich Gigs ablehne, lande ich unter der Brücke. Ich bin arm aufgewachsen – Armut hat mich ziemlich geprägt. Also nahm ich grundsätzlich alle Auftritte an – das war falsch. 
Irgendwann habe ich beschlossen: Ich will nicht mehr vor Massen spielen. Ich stand damals bei einer großen Booking-Agentur unter Vertrag. Ihre Idee war es, mich auf das Niveau von Star-DJ Peggy Gou zu bringen. Es fühlt sich so an, als ob ich die Verbindung zu dem, was passierte, verliere – als ob ich ein seltsames DJ-Spiel spiele. Ich genieße es nach wie vor, vor 200 Leuten aufzulegen.


Als DJ können Sie unsympathische Personen auf der Tanzfläche ausblenden. Wie gehen Sie damit bei Therapiesitzungen um?

Es geht nicht um mich. 
Tatsache ist, wenn ich vor Menschen sitze, von denen ich denke, dass sie schrecklich sind, mag ich sie normalerweise trotzdem. Sie stehen zwar auf Dinge, die ich beschissen finde, aber sie haben auch eine andere Seite. Und ich glaube, das ist bei den meisten Leuten so.

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