US-Präsident Obama in Moskau: Harfenklänge statt Marschmusik
Washington versucht einen "Neustart" in den Beziehungen mit Moskau. Die USA wollen Russland vor allem mit Achtung und Gleichheit begegnen. Doch im Kreml herrscht Skepsis.
MOSKAU taz | Auch in der Russlandpolitik setzt US-Präsident Barack Obama zunächst auf die Devise: Yes, we can. Auf dem heute beginnenden dreitägigen Gipfeltreffen in Moskau wollen Russlands Präsident Dmitri Medwedjew und sein US-Kollege ein frisches Kapitel in den russisch-amerikanischen Beziehungen aufschlagen. Unter der Ägide des Expräsidenten George W. Bush war das bilaterale Klima immer frostiger geworden. Daran erinnerte Dmitri Medwedjew noch einmal vor dem Gipfeltreffen in seinem Videoblog: das Verhältnis zu den USA, klagte der Kremlchef, sei "beinahe auf den Stand des Kalten Krieges gesunken".
Dass Obama daran etwas ändern wolle, signalisierte der US-Präsident bereits kurz nach dem Einzug ins Weiße Haus. Damals kündigte er an, im Russlandprogramm den "Reset"-Knopf drücken zu wollen. Seither ist dieser Knopf zur stehenden Metapher geworden. Auch weil es um dieses Wort ein kleineres Übersetzungsproblem gab. Die Amerikaner hatten "Reset" nicht mit "peresagruska" - Neustart -, sondern mit "peregruska" übersetzt, was so viel wie "Überlastung" bedeutet. Dieses Missverständnis wurde schnell aus der Welt geschafft. Kritiker auf beiden Seiten geben zu bedenken, dass man ein neues Programm hochladen könne, was aber geschehe mit der veralteten Hardware?
Statt donnernder Marschmusik begleiten vorerst Harfenklänge Obamas Einzug in Moskau, der im Vorfeld in Interviews sein Bestes gab, um die Gastgeber für sich zu gewinnen. Es bestünde die Möglichkeit für eine Zusammenarbeit in sehr vielen Fragen, meinte Obama und nannte Verteidigung, Wirtschaft sowie Energie, Terrorbekämpfung und das iranische Atompotenzial als Beispiele. Was die Gastgeber jedoch besonders gefreut haben dürfte: das Wichtigste, was er der russischen Führung und dem russischen Volk mitteilen wolle, so Obama, sei die Tatsache, dass die USA Russland mit Achtung begegneten und das Verhältnis auf der Basis von Gleichheit gestalten wollten. Daran hatte es der ehemaligen Supermacht besonders gefehlt. Moskau beklagt sich seit Zusammenbruch der UdSSR, von den USA missachtet und nicht auf Augenhöhe behandelt worden zu sein. Selbst der außenpolitische Chefberater des Kreml, Sergei Prichodko, räumte ein, dass der Umgang sanfter geworden sei: "Wir haben den Eindruck, sie hören uns nicht nur zu, sondern hören uns auch".
Doch das Misstrauen ist noch längst nicht überwunden. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, die Partner hefteten nicht allzu große Erwartungen an das Treffen. Die Ironie der Geschichte will es zudem, dass die ehemaligen Blockgegner die "Überwindung der Kalten-Kriegs-Mentalität" und den Neustart mit Abrüstungsverhandlungen angehen, die in ebendiesen Kalten Krieg zurückreichen. Aus einem einfachen Grund: Die Aussicht in vertrautem Verhandlungsumfeld vorzeigbare Ergebnisse zu erzielen erscheint vielversprechender als ein Durchbruch bei akuten Kontroversen - sei es die Nato-Erweiterung, der Georgienkonflikt, Irans nukleare Aufrüstung oder Nordkoreas Raketenspiele.
Auf der Agenda steht zunächst die Unterzeichnung eines neuen Rahmenabkommens des im Dezember auslaufenden Start-I-Vertrags, der die Reduzierung atomarer Trägersysteme regelt. Bis auf 1.700 oder gar 1.500 Sprengköpfe soll das Arsenal abgerüstet werden. Die Schwierigkeiten liegen aber im Detail und der unterschiedlichen Zählpraxis. Russland besteht auf einem besonderen Passus für mobile Trägersysteme. Während die USA auf strategische Bomber und seegestützte Raketen bei ihrem Abschreckungspotenzial setzten, überwiegen in Russland landgestützte Systeme. In den laufenden Verhandlungen wollte Moskau überdies das Folgeabkommen mit einem amerikanischen Verzicht auf den in Osteuropa geplanten Raketenabwehrschirm verknüpfen. Die USA lehnen dies ab.
Einen konkreten Erfolg konnte die US-Regierung jedoch schon verbuchen. Russland gestattet den USA, die Truppen in Afghanistan über den russischen Luftkorridor zu versorgen. Bisher ließ Moskau nur die Lieferung von zivilen Versorgungsgütern auf dem Schienenweg zu.
Am Beispiel Afghanistans und der atomaren Aufrüstung Irans lässt sich die komplizierte Gemenge- und widersprüchliche Interessenlage recht deutlich erkennen. Als regionale Großmacht muss Russland daran interessiert sein, die Taliban in Afghanistan einzudämmen und Irans Aufstieg zur Nuklearmacht zu verhindern. Kooperation mit den USA böte sich an. Als degradierte Supermacht mit Aspirationen auf eine neue Weltmachtrolle, wenn auch in einem multipolaren System, sieht es sich indes gezwungen, den USA Paroli zu bieten und in ein Nullsummenspiel zu verfallen.
In Russland ist die Auffassung weit verbreitet, Washington, nicht Moskau müsse Konzessionen machen, um die Beziehungen zu verbessern. Im Klartext: Überlasst uns Georgien und die Ukraine. Auf diesen Kuhhandel werden sich die USA wohl nicht einlassen.
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