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US-Komponist Raven Chacon im Gespräch„Schiefe Tonalität ist für mich normal“

Raven Chacon ist Stipendiat der American Academy in Berlin. Ein Gespräch über den Klang der Wüstenwinde, Lärm als Zufallsprodukt und stillen Protest.

Beeindruckender Lärmerzeuger: Raven Chacon Foto: Trevor Dunn
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Raven Chacon, seit Januar sind Sie Stipendiat der American Academy in Berlin, eigentlich kommen Sie aus Albuquerque/New Mexico im Südwesten der USA.

Raven Chacon: Aufgewachsen bin ich in einem Navajo-Reservat in New Mexico, bis wir dann nach Albuquerque umgezogen sind, wo ich heute noch wohne.

Im Südwesten der USA ist die Natur mächtig und spielt eine wichtige Rolle im täglichen Leben. Können Sie bitte die Besonderheiten der Landschaft und der Vegetation erläutern?

New Mexico liegt inmitten einer hochgelegenen, sehr trockenen Wüste, höher gelegen als die meisten Gegenden der USA. Es ist einer der am dünnsten besiedelten US-Bundesstaaten. Das Navajo-Reservat ist ländlich geprägt, die meisten Menschen betreiben Landwirtschaft unter schwierigen Bedingungen, denn das Wasser muss von weit her transportiert werden und manche Siedlungen haben keinen Strom. Gleichzeitig ist die Navajo-Nation nicht nur formal unabhängig. Sie wird von den USA als selbstständige Nation anerkannt.

Sie haben Ihre eigene Polizei und Steuergesetzgebung …

Richtig. Und es gibt einen Präsidenten des Stammes. Aber wir sind eine Nation innerhalb der Grenzen der USA.

Raven Chacon

Raven Chacon, geboren 1977, ist ein Native-American Komponist und Musiker, der in Albuquerque im US-Bundestaat New Mexico lebt und arbeitet. Er spielt u.a. zusammen mit dem kalifornischen Musiker John Dieterich als The Endlings und mit dem Kollektiv Postcommodity. Mit Postcommodity hat Chacon vergangenes Jahr an der documenta 14 in Kassel teilgenommen und 2015 das temporäre Performance-Werk „Repellent Fence“ an der mexikanisch-amerikanischen Grenze aufgeführt. Chacon erteilt Schülern in verschiedenen Navajo-Reservaten in New Mexico Musikunterricht.

Workshop: Am 23. Mai leitet Chacon einen Workshop beim Werkstattgespräch „Indigenous (Sound-)Knowledge And Contemporary Music“ in der Daad-Galerie, Berlin

Können Sie den charakteristischen Klang der Natur beschreiben?

Als ich jung war, fiel mir als Erstes der Klang des Windes auf, denn Wind ist ein wichtiger Klanggenerator, vor allem in der Wüste. Er bläst Staub und Pflanzen vor sich her. Und: Wind klingt nachts anders als am Tag. Als ich älter war, wollte ich die Sounds der Winde unbedingt verstärken; die Feldaufnahmen, die ich gemacht habe, habe ich manipuliert. Es ging mir nicht um authentischen Klang, sondern ich habe herausgefunden, was jenseits der Klangoberfläche passiert, ich habe das verstärkt. Und die Aufnahmen klingen anders, wenn ich sie in einem anderen Umfeld abspiele.

Spielte Musik immer eine Rolle in Ihrem Leben?

Als Kind habe ich mir sehr viel unterschiedliche Musik im Radio angehört. Das reichte von traditioneller Navajo-Musik bis zu Heavy Metal, der war in den Achtzigern sehr populär. Dann bekamen die ersten Nachbarn Satellitenschüsseln, und ich habe MTV gesehen. Ich habe querbeet gehört und alles Mögliche hat mich beeinflusst. Der Wendepunkt war, als ich Klavierunterricht nahm; sobald das losging, wusste ich, dass ich Musiker werden möchte. Denn als ich die Geometrie der 88 Tasten durchschaute, bekam ich auch ein Gefühl für andere Instrumente.

Sie komponieren Auftragswerke, etwa für das Kronos Quartet, aber Sie spielen auch zusammen mit John Dieterich von der Band Deerhoof als the Endlings. Und Sie sind Teil des indigenen Kollektivs Postcommodity. Mit dem machen Sie wiederum Klang­installationen und Performance-basierte Kunstaktionen. Was hält alle Projekte zusammen?

Das ständige Umschalten ist der Kern meines Schaffens. Ich arbeite an einem Projekt, verausgabe mich, aber meine Ideen bringen mich geradewegs zum nächsten. Ich bevorzuge Kollaborationen, weil ich gerne mit anderen Ideen entwickle und sehe, wohin sie mich führen. Die Situation als Stipendiat der American Academy ist neu für mich. Ich habe ein Studio mit einem Klavier und ich arbeite ausschließlich an Kompositionen.

Viele Ihrer Werke sind extrem laut. Mit den Endlings bevorzugen Sie brachialen Feedbacklärm, in der Arbeit mit Postcommodity wiederum wirkt Ihr Klang eher wie subtiler Dronesound. Wie würden Sie Lärm definieren?

Mein Verhältnis zum Lärm hat sich durch einen Zufall ergeben. Ich mache Lärm nicht als rebellische Geste, ich leite es ab von meinem Interesse an Heavy Metal. Da fanden meine ersten Gehversuche in einer Band auf schlechtem Equipment statt. Ich habe mit einer Klampfe gespielt, die nur zwei Saiten hatte. Das Schlagzeug war auch Schrott. Die schiefe Tonalität hat sich mir eingebrannt, wir haben die Songs auch noch auf einem schlechten Taperekorder aufgenommen und mit kaputten Lautsprechern abgespielt. Irgendwann habe ich ein Faible für den schiefen Sound entwickelt.

Sie haben die Kunsthochschule CalArts in Los Angeles besucht, wo der Jazztrompeter Wadada Leo Smith einer Ihrer Lehrer war.

Smith, James Tenney und Michael Pisaro waren alle drei wichtige Lehrer. Mit Leo habe ich im Duo zusammengespielt.

Es gibt ein Video von Smith in einem Boot sitzend und auf dem Tallahatchie River in Mississippi Trompete spielend

…Genau an der Stelle, wo 1955 die Leiche des Bürgerrechtlers Emmett Till in den Fluss geworfen wurde.

2017 sind Sie nach Standing Rock in North Dakota gereist und haben an den Protesten ­gegen eine geplante Pipeline in einem Reservat der Sioux teilgenommen. Was hat Sie dazu gebracht?

Ich wollte mich selbst davon überzeugen, was dort passiert. Ich bin nicht mit dem Motiv gefahren, dass ich den Bau der Pipeline verhindern kann. Als ich in Standing Rock ankam, merkte ich sofort, warum es wichtig war, dort zu sein: Angehörige von anderen Stämmen beteten und sangen zusammen. Ich habe dann angefangen, Momente der Stille aufzunehmen, wenn gerade kein Protest war. Facetten der Stille.

Navajos sind berühmt für ihre Webkunst. Gibt es in Ihrer Musik ein klangliches Äquivalent?

Ich wünschte, ich könnte ­weben. Die geometrischen Webmuster sind ein wichtiger Einfluss für meine Musik, denn sie tauchen in meinen Partituren auf: In Triangelform, in der Komposition für das Kronos Quartet sind sie in Pfeilform angeordnet, als eine Art Wegweiser.

Wie ist Ihre Definition von Schönheit?

Schönheit entsteht im Abgleich mit der Natur, oftmals geschieht das beiläufig. Ob man es darauf anlegt oder nicht, Natur gleicht die Schönheit an unsere spezifische Lebenssituation an. Man kann höchstens versuchen, diesen Zustand mit Kunst oder durch Gebete zu erreichen.

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