US-Journalist über NSA: „Sie haben die Gedanken“

Die NSA dreht durch, denn Snowden hatte als System-Administrator eine Art großen Schlüsselbund. Der Journalist James Bamford über die mächtigste Abhörbehörde der Welt.

General Keith Alexander (schütteres Haupthaar, re.), Chef der NSA, auf verschlungenen Wegen. Bild: reuters

taz: Herr Bamford, was hat Sie bei den Enthüllungen über den US-Geheimdienst NSA am meisten überrascht?

James Bamford: Am meisten hat mich überrascht, dass Edward Snowden diese Dokumente überhaupt aus der NSA herausschmuggeln konnte. Denn nachdem Bradley Manning eine Viertelmillion Dokumente an die Öffentlichkeit brachte, sagte die Regierung: So etwas wird uns nie mehr passieren. Und dann marschiert dieser Kerl mit einem großen Haufen Daten aus der geheimsten Behörde der Welt …

Dennoch: Wer Ihre Bücher liest, die Sie seit Anfang der 80er über die National Security Agency geschrieben haben, kann sich nicht wirklich über die Tatsache wundern, dass dieser Geheimdienst ein weltweiter Datenstaubsauger ist.

Ich wusste in der Tat einiges über das, was nun bekannt wurde, und habe auch darüber geschrieben. Was mich aber schon überrascht hat, ist, dass nicht nur Tag für Tag die Handyverbindungsdaten jedes Einzelnen im ganzen Land eingesammelt werden, ohne irgendeinen Verdacht auf Straftaten; sondern dass der NSA der Zugang zu einer so großen Menge an Daten auch noch so leicht gemacht wird.

Der Chef der NSA, Keith Alexander, sagt: All das ist legal. Und man habe 50 Terroranschläge weltweit seit dem 11. September 2001 verhindert. Sind das keine Argumente?

Was heißt in diesem Fall legal? Der US-Kongress, der die NSA nie an etwas hindert, hat ein Gesetz mit allerlei Schlupflöchern verabschiedet, das es einem streng geheimen Gericht ermöglicht, die NSA zu ermächtigen, insgeheim die Telefondaten aller zu speichern. Das ist doch wie bei Kafka.

66, kennt die NSA wie kein anderer Journalist. 1982 hat er mit „The Puzzle Palace“ das erste Buch über den Geheimdienst veröffentlicht. Es folgen „Body of Secrets“ (2002) und „The Shadow Factory“ (2008). Er hat die aktuelle Titelgeschichte das US-Magazins Wired über NSA-Chef Keith Alexander geschrieben.

Aber noch mal: Es verhindert angeblich zahlreiche Terroranschläge.

Das kaufe ich denen nicht ab. Das sagen die schon seit Jahren. Und jedes Mal hätte man die Anschlagspläne auch durch normale Ermittlungen vereiteln können, ohne auf den Rechten aller Bürger herumzutrampeln. Gleichzeitig sind den Diensten die Boston-Bomber entgangen, obwohl sie ständig mit Tschetschenien kommunizierten. Dasselbe gilt für den sogenannten Unterhosenbomber …

der an Weihnachten 2009 mit einer in der Hose versteckten Bombe fast ein Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach Detroit sprengte …

… obwohl sein Vater vorher in die US-Botschaft in Nigeria gelaufen war und den dortigen CIA-Chef vor der Radikalisierung seines Sohnes warnte.

Wie viel Macht hat die NSA?

Sehr, sehr viel. Der Direktor der NSA, General Keith Alexander, ist die mächtigste Person in der Geschichte der US-Geheimdienste.

Warum?

Vor dem 11. September war der CIA-Chef sehr mächtig, jetzt ist es der Chef der NSA. Alexander ist ein 4-Sterne-General, das ist der höchste militärische Rang. Er leitet die mit über 30.000 Mitarbeitern größte Geheimdienstbehörde der Welt und ist gleichzeitig auch noch Kommandeur des US Cyber Command. Er hat eigene Militäreinheiten unter sich und die Macht, kriegerische Handlungen zu befehlen – und hat dies auch schon getan, als die iranischen Zentrifugen angegriffen wurden …

durch ein von den USA und Israel entwickeltes Schadprogramm namens Stuxnet.

Der Iran hatte uns nicht attackiert, und trotzdem haben wir einen Teil seiner Infrastruktur zerstört. Das ist eine kriegerische Handlung. Und nun haben sie Vergeltung geübt und die Daten auf 30.000 Computern der saudischen Ölfirma Aramco zerstört und sie durch brennende amerikanischen Flaggen ersetzt. Stuxnet hat diese Art der Kriegsführung legitimiert, sodass nun auch Länder Kapazitäten für den Cyberkrieg aufbauen, die vorher nie daran gedacht hätten.

In Deutschland kannten die meisten den Namen Keith Alexander bis vor kurzem noch nicht mal.

Falls General Alexander die Pennsylvania Avenue in Washington runterlaufen würde, würde ihn der durchschnittliche Amerikaner auch nicht erkennen. Und wahrscheinlich auch einige Mitarbeiter des Weißen Hauses nicht.

Sie schreiben am Ende Ihres Buchs „Die Schattenfabrik“, der Geheimdienst habe „die Kapazität, eine totale Tyrannei“ zu errichten.

Das Zitat stammt ursprünglich nicht von mir, sondern von dem Mann, der den Geheimdienstkontrollausschuss des US-Senats gegründet hat. Er hat das schon 1975 gesagt, als die Macht der NSA im Vergleich zu heute noch sehr gering war. Damals konnte die NSA nur Festnetztelefone und Telegramme ausspähen. Heute kommuniziert jeder jederzeit. Der Geheimdienst kann E-Mails mitlesen und, was vielleicht am beunruhigendsten ist, die Suchergebnisse von Suchmaschinen wie Google. Wer Zugang zu diesen Daten hat, kann sich in die Gedanken einer Person einklinken.

Wie das?

Wenn wir im Netz etwas suchen, werden unsere Finger zu einer Verlängerung unseres Gehirns. Sie tippen unsere Gedanken unmittelbar in die Tastatur. Zum Beispiel, wenn man überlegt, eine Reise zu machen. Oder man erfährt von einer schlimmen Diagnose. Es gibt Dinge, die würde man niemandem anvertrauen, sie bewegen einen aber so sehr, dass man im Internet nach Antworten sucht. Wer diese Google-Suchprotokolle hat, hat die Gedanken der Menschen. Und das ist gefährlich für einen Geheimdienst mit so wenig Kontrolle.

Sie schreiben seit mehr als drei Jahrzehnten über die NSA. Werden die Enthüllungen von Edward Snowden etwas ändern?

Möglicherweise. Die Obama-Regierung und der Kongress, die die Operationen der NSA unterstützen, würden normalerweise versuchen, eine Enthüllung wie diese auszusitzen, und hoffen, dass die Leute beim nächsten Tornado in Oklahoma oder sonst einem Großereignis die Aufmerksamkeit verlieren. Aber diese Sache kann sich noch lange hinziehen, weil die Enthüllungen tröpfchenweise erfolgen.

Der britische Guardian veröffentlicht fast täglich neue Details.

Snowden hatte viel Zeit zu überlegen, was er will. Und heutzutage passt viel Material auf eine Festplatte. Was es für die NSA noch schlimmer macht, ist die Bandbreite dessen, was er mitgenommen hat.

Sogar geheime Dokumente eines britischen Partnerdienstes sind darunter.

Snowden hatte als System-Administrator eine Art großen Schlüsselbund, der ihm vielen Türen geöffnet hat. Die müssen durchdrehen bei der NSA.

Ist Snowden ein Held oder ein Verräter?

Für mich ist er ein Held. Er hat Dinge öffentlich gemacht, die die Regierung nicht tun sollte. Dinge, die in meinen Augen illegal sind. Er hat sein ganzes restliches Leben drangegeben und wird es womöglich im Gefängnis verbringen. Ich glaube Snowden, wenn er sagt, er habe das aus altruistischen Motiven getan. Ähnlich wie Daniel Ellsberg, der die streng geheimen Pentagon Papers ans Licht brachte und enthüllte, wie die USA in Vietnam einen furchtbaren Krieg anfingen.

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