US-Hypothekenkrise: Die Woche der Wahrheit
Die US-Notenbank senkt die Leitzinsen, um die Nachfrage nach Krediten zu erhöhen. Aber reicht das, um die Weltwirtschaft in Schwung zu halten?
Die US-Hypothekenkrise schwelt weiter. Auch die Angst in Europa wächst. Nun wird die US-Notenbank aktiv. Aber was kann sie gegen die Krise tun?
Aller Voraussicht nach wird die US-Federal Reserve Bank (Fed) heute die Leitzinsen senken. Niedrigere Zinsen für Kredite bei der Zentralbank sollen die US-Wirtschaft vor weiteren Einbrüchen bewahren. Denn Dollarschwäche, Hypothekenkrise und hohe Ölpreise haben der US-Konjunktur schwer zugesetzt.
Doch was haben US-Leitzinsen und die Kreditkrise miteinander zu tun?
Die Leitzinsen sind ein Instrument der Zentralbank, mit der sie die Geschäftsbanken beeinflusst, sich Geld von ihr zu leihen. Bei der Zentralbank können sich Geschäftsbanken zusätzliches Geld für das eigene Kreditgeschäft borgen. Der Preis für diesen Kredit von der Zentralbank ist der Leitzins. Je niedriger die Leitzinsen sind, desto billiger werden die Kreditkosten - und desto größer ist der Anreiz für Verbraucher und Unternehmen, sich zu verschulden. Es geht also darum, die Konjunktur anzukurbeln.
Ein Grund für die erwartete Zinssenkung sind auch die Geschäftsbanken, denn ihnen geht wegen der Hypothekenkrise die Liquidität aus. Weil niemand weiß, wie viele Milliarden Dollar an faulen Krediten in den Büchern der anderen Banken stehen, leihen sich die Geschäftsbanken untereinander kaum mehr Geld. Es herrscht das blanke Misstrauen, das weltweite Ausmaße erreicht hat. Ein Indikator für das Misstrauen sind die Zinsen, die Banken für Kredite an andere Banken verlangen: Sie sind auf den höchsten Stand seit fast 10 Jahren gestiegen. Niedrigere Leitzinsen könnten helfen, das Misstrauen zu lindern.
Wieso ist es für die ganze Welt gefährlich, wenn das Kreditgeschäft stockt?
Die Konjunktur dürfte nachhaltig einbrechen, wenn das Kreditsystem nicht funktioniert.
Kredite sind die Pulsader der Volkswirtschaften. Ohne Kredite könnten Investitionen für wirtschaftliches Wachstum nicht finanziert werden. Doch wehe, wenn der Strom versiegt. Dabei laufen Kredite an Geschäftsbanken in der Regel höchstens über drei Monate. Wenn sie nicht stets an frisches Geld kommen, stehen sie schnell mit dem Rücken zur Wand, weil sie ihre akuten Zahlungsverpflichtungen nicht bedienen können.
Wenn Banken reihenweise Konkurs anmelden müssen, weil sie nicht liquide sind, droht eine weltweite Krise, die alle Wirtschaftsbereiche trifft. Deshalb sind die Zentralbanken in den vergangenen Wochen weltweit als Feuerwehr aufgetreten und sicherten den Banken kurzfristige Kredite in unbegrenzter Höhe zu. Mehrere hundert Milliarden US-Dollar haben sie seitdem zusätzlich verliehen, um den Bänkern aus der Klemme zu helfen.
Und wer ist schuld an der US-Hypothekenkrise?
Im Kern: gutmeinende Notenbänker der US-Zentralbank, naive Häuslebauer und die pure Gier der Investoren.
Nach dem Platzen der "New Economy"-Blase 2001 setzte der damalige US-Notenbank Chef Alan Greenspan auf eine lockere Geldpolitik: Banken bekamen zu niedrigen Zinsen billiges Geld von der Fed. Damit stützte Greenspan die schwächelnde und an Überschuldung leidende US-Konjunktur - in diesem Fall aber über das vertretbare Maß: Angetrieben durch die Gier der Banken wurden Verbraucher gelockt, Kredite aufzunehmen, die sie sich eigentlich nicht leisten können. Etwa zum Hauskauf. Bänker haben für die riskanten Geschäfte beispielsweise mit Arbeitslosen oder Verschuldeten den Euphemismus "subprime" erfunden, also zweitklassige Kredite. Um das Risiko zu streuen, verkauften sie die Forderungen als gemischte Kreditpakete weltweit an private Investoren wie Banken und Hedgefonds, die sich von den versprochenen Renditen blenden ließen. Weil die Aussichten so gut schienen, finanzierten viele Investoren ihre Engagements wiederum mit Krediten. Ex-Fed-Chef Alan Greenspan beschreibt sie heute als "Süchtige, die nach den Papieren so süchtig waren wie nach Kokain".
Das ging einige Jahre gut, solange die Hauspreise in den USA jedes Jahr um 10 bis 20 Prozent stiegen. Denn angefeuert durch die billigen Kredite boomte der Immobilienmarkt. Dahinter steckt aber die Logik eines Kettenbriefes: Der Wert der Häuser legte nur so lange zu, wie die Nachfrage mit Krediten angefeuert wurde. Die Darlehen waren aber nur in den ersten zwei bis drei Jahren günstig. Dann schossen die Kreditzinsen in die Höhe. Sie sollten aus der Wertsteigerung der Häuser finanziert werden. Doch daraus wurde nichts. Denn auch die Leitzinsen in den USA sind in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Das billige Geld versiegte. Zahlungen blieben aus. Große Baufinanzierer in den USA rutschten in die Pleite. Die Blase platzte.
Könnte nun auch Europa in den Strudel der US-Immobilienkrise geraten?
Europäische Anleger stecken tief im Hypotheken-Sumpf. Auch deutsche Banken mussten bereits Milliardenbeträge abschreiben. Hierzulande hat es bislang die sächsische Landesbank und die Mittelstandsbank IKB Deutsche Industriebank am schwersten getroffen. Die beide Institute standen wegen ihrer missglückten US-Hypothekengeschäfte kurz vor der Pleite und wurden von anderen Banken gerettet.
Großbritannien und Spanien stehen vor ähnlichen Problemen wie die USA, denn auch dort haben sich Immobilienblasen entwickelt. So gibt es in Madrid zurzeit Verkäufer, die für eine 25-Quadratmeter-Wohnung 200.000 Euro verlangen.
Panische Kunden vor den Filialen der britischen Hypothekenbank Northern Rock sind ein untrügliches Zeichen, dass die Hypothekenkrise der USA auch international immer größere Kreise zieht. Das britische Geldinstitut wurde Ende vergangener Woche nur durch einen Notkredit der britischen Zentralbank vor der Pleite gerettet. Seitdem versuchen die verunsicherten Kunden, ihre Ersparnisse bei der Northern Rock in Sicherheit zu bringen. Dabei hat die britische Bank bei den Geschäften mit faulen Hypothekenkrediten nicht einmal mitgemacht. Die Krise der britischen Bank liegt daran, dass sie von anderen Banken keinen Kredit für ihre laufenden Geschäfte bekommen hat.
Auch in Deutschland sieht es nicht gut aus: Hier hat die Kreditkrise mittlerweile auch andere Branchen erreicht. So sollen milliardenschwere Immobilienverkäufe blockiert sein, weil keine Bank bereit ist, Immobiliendeals dieser Größe zu finanzieren.
Schließlich gerät die Europäische Zentralbank (EZB) nun unter Druck. Eigentlich will sie im gegenwärtigen Aufschwung die Leitzinsen für den Euro erhöhen, weil sie Inflationsgefahren sieht. Doch darauf hat der EZB-Rat bei seiner letzten Sitzung vor zehn Tagen verzichtet. Die Folgen der US-Hypothekenkrise dürften sie davon abhalten, in nächster Zeit die Leitzinsen zu erhöhen.
Kann man vielleicht aus der Vergangenheit lernen? Ist dies die erste Immobilienblase in den USA?
Spekulanten sind offenbar vergesslich, denn vor gut 100 Jahren hat sich die Geschichte in den USA bereits schon einmal zugetragen. Ende des 19. Jahrhunderts traf es die Farmer. Banken überschätzten den Wert der Farmen und liehen den Bauern viel Geld, um noch mehr Land zu kaufen. Es kam zu einer "Farmblase", die platzte, als der Mittlere Westen von einer Dürre heimgesucht wurde. Die Farmer konnten ihre Schulden nicht zurückzahlen und verloren ihre Höfe. Aber auch Banken gingen deshalb pleite.
Nach den Interventionen der vergangenen Wochen: Ist das Schlimmste vielleicht schon überstanden?
Das ist schwer zu sagen, denn niemand weiß, wie viele faule Kredite noch in den Bilanzen der Banken versteckt sind. Zumindest schlägt in dieser Woche für einige große US-Banken die Stunde der Wahrheit, denn Investmentbanken wie Goldman Sachs und Morgan Stanley legen bis zum Donnerstag Quartalsberichte vor. Mit diesen Zahlen bekommen Anlager erstmals konkrete Daten darüber, wie stark die US-Banken unter der Hypothekenkrise gelitten haben. Negative ökonomische Signale gibt es aber bereits. Die Einzelhandelsumsätze sind in den USA im August ebenso gesunken wie die industrielle Produktion. Auch die Beschäftigung ist leicht zurückgegangen.
In Deutschland befürchten viele Experten in dieser Woche einer Reihe von Gewinnwarnungen bei den Geschäftsbanken - aus dem gleichen Grund.
Wie können die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ihre Probleme lösen?
Die lockere Geldpolitik der US-Notenbank war in den letzten Jahren eine der Antriebskräfte des Wachstums der US-Wirtschaft. Doch wie sich gezeigt hat, ist das ein Spiel mit dem Feuer. US-Verbraucher fühlten sich reicher, als sie waren, und konsumierten, was das Zeug hält. Ihre Verschuldung hat sich in den letzten 20 Jahren auf 800 Milliarden Dollar verdreifacht. Weltweit sind die USA einer der größten Schuldner mit einem chronischen Leistungsbilanzdefizit, das über 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA liegt. Amerikanische Finanzexperten wie Jeremy Grantham, der in den USA die größte unabhängige Vermögensverwaltung betreibt, glaubt, dass die schlimmsten Folgen erst noch kommen: "Ich fühle mich, als beobachtete ich ein Zugunglück in extremer Zeitlupe", sagt Grantham.
Am Ende würde es alle treffen, bräche die US-Konjunktur ein. Denn auch boomende Länder wie China und Indien könnten das nicht kompensieren. Ihr Wachstum hängt zum großen Teil von der US-Nachfrage ab. Langfristig gibt es für die USA nur eine Möglichkeit, ihr ökonomisches Kernproblem zu lösen: Sie müssen aufhören, ökonomisch über ihre Verhältnisse zu leben.
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