US-Experte über Obamas Afghanistan-Strategie: "Wir haben zu wenig Soldaten"

US-Präsident Obama will 30.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken. Der Washingtoner Militärexperte O'Hanlon über diese Strategie und Vergleiche mit dem Krieg in Vietnam.

Mitglieder der US-Armee lauschen Barack Obama. Bild: dpa

taz: Herr OHanlon, was spricht für eine massive Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan?

Michael OHanlon: Wir versuchen, dort den Taliban-Aufstand in den Griff zu bekommen, indem wir die afghanischen Institutionen aufbauen. Beide Ziele bedürfen eines hohes Maßes an Einsatz vor Ort. Es läuft derzeit nicht gut in Afghanistan und das Problem ist dasselbe, das unseren Anstrengungen im Irak lange im Weg gestanden hat: Wir haben dort zu wenig Soldaten. Nimmt man die einheimischen Sicherheitskräfte dazu, versuchen wir in Afghanistan bislang dasselbe mit 200.000 Mann zu erreichen, wofür wir 700.000 plus einheimische Kräfte im Irak hatten. Nur dass Afghanistan größer ist! Wir brauchen dort genügend Truppen, wenn wir auf Dauer siegen wollen.

Michael OHanlon ist Forschungsdirektor für Außenpolitik bei der Washingtoner Brookings Institution. Er hat den neuen US-Befehlshaber in Afghanistan, General McChrystal, bei der Erstellung einer Lageanalyse beraten.

Zur Lage in Afghanistan: "Afghanistan ist nicht verloren, aber es bewegt sich seit einigen Jahren rückwärts. Es gibt keine unmittelbare Gefahr, dass die Regierung gestürzt wird, aber die Taliban verspüren Aufwind. Al-Kaida ist in Afghanistan nicht in einem Maße wiedererstarkt wie vor dem 11. September 2001, behauptet aber seine Rückzugsgebiete entlang der Grenze."

Zur Entscheidung:"Ich treffe diese Entscheidung nicht leichten Herzens. Ich war gegen den Krieg im Irak, weil ich glaube, dass wir Zurückhaltung üben müssen beim Einsatz unserer militärischen Stärke und dabei immer die langfristigen Auswirkungen mitberücksichtigen müssen."

Zum wann und wie viele: "Die 30.000 zusätzlichen Soldaten, die ich heute ankündige, werden Anfang 2010 stationiert - dem schnellstmöglichen Zeitpunkt - damit sie die Aufständischen bekämpfen und die wichtigsten Bevölkerungszentren schützen können."

Zu den Verbündeten: "Unsere Freunde haben mit uns gekämpft und geblutet, sind mit uns gestorben in Afghanistan. Jetzt müssen wir zusammenstehen, um diesen Krieg erfolgreich zu beenden."

Zum Finanziellen: "Ich fühle mich verpflichtet, die Kosten offen und ehrlich anzusprechen. Unser neuer Ansatz in Afghanistan wird wahrscheinlich rund 30 Milliarden Dollar kosten für das Militär in diesem Jahr. Ich werde eng mit dem Kongress zusammenarbeiten, diese Summen aufzubringen, während wir daran arbeiten, unser Defizit abzubauen."

Was meinen Sie, wenn Sie von Sieg sprechen?

Ein Sieg wäre es, wenn wir die Aufrührer dort lange genug in den Griff bekämen, um der afghanischen Bevölkerung dazu zu verhelfen, dass sie diese Sache eines Tages selber übernehmen. Das bedeutet eine Stärkung der Regierung in Kabul und eine Stabilisierung der afghanischen Wirtschaft.

Für wie realistisch halten Sie die Möglichkeit, den Kampf gegen al-Qaida gemeinsam mit so genannten "moderaten" Taliban zu führen?

Ich denke, es ist eigentlich ein Widerspruch in sich, von moderaten Taliban zu sprechen, wenn man bedenkt, welche Ziele diese Bewegung hat und wofür sie steht. Dennoch glaube ich, dass es viele Aufständische gibt, die nicht wirklich Taliban sind, sondern womöglich mitmachen, weil sie dafür bezahlt werden. Man könnte sie dazu bringen, die Seiten zu wechseln.

Es wäre also sinnvoll, diesen Aufrührern Geld anzubieten - ähnlich wie im Irak?

Im Fall der Kämpfer, die nicht aus Überzeugung zu den Taliban gehören, die also weniger extrem sind: ja.

Wie sehen Sie die Rolle der verbündeten Truppen nach der Aufstockung?

Ich habe große Hochachtung vor zahlreichen Verbündeten, wie Großbritannien, Kanada, die Niederlande und Frankreich. Meine Meinung vom Verbündeten Deutschland ist da nicht ganz so hoch, dennoch achte ich das Engagement der Deutschen in diesem Krieg. Es ist weit mehr, als manche vorausgesagt haben.

Was sagen Sie Leuten, die mit Blick auf Afghanistan von einem "zweiten Vietnam" sprechen?

Dieser Krieg wird viel besser geführt. Er richtet bei weitem nicht so viel Schaden unter der Zivilbevölkerung an. Sein Ziel ist ein Afghanistan, das die Mehrheit der dortigen Bevölkerung unterstreicht: im Gegensatz zum Taliban-Regime oder einem durch Milizen verursachten Chaos, das dort vor der Intervention geherrscht hat.

Präsident Obama spricht bereits vom Ende des Krieges in Afghanistan. Wie wahrscheinlich und wie nah ist dieser Exit?

Ich denke, wir können in drei bis vier Jahren unsere Truppen reduzieren. Bis zum Ende einer möglichen zweiten Amtszeit von Obama könnten wir die Truppen dort bis auf ein ganz kleines Level heruntergefahren haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.