piwik no script img

US-Armeearzt und NS-KriegsverbrecherGibt es eine Nazi-Psyche?

Douglas McGlashan Kelley untersuchte die führenden Nazis in Gefangenschaft. Ein Buch von El-Hai arbeitet seine Begegnung mit Hermann Göring auf.

NS-Kriegsverbrecher Hermann Göring Bild: dpa

Die Alliierten wollten 1945 ein Zeichen setzen und die Nazi-Kriegsverbrechen nicht ungesühnt lassen. Sie verhafteten führende Nazis und planten, sie nach Kriegsende sofort vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur Verantwortung zu ziehen. In den Monaten vor Prozessbeginn am 20. November internierten die Alliierten 22 prominente Nationalsozialisten zunächst in Bad Mondorf (Luxemburg) und danach in Nürnberg.

Weil die Alliierten befürchteten, die als Kriegsverbrecher Beschuldigten könnten sich umbringen oder von alten Kameraden befreit werden, ordneten sie im Gefängnis rigide Sicherheitsmaßnahmen an.

Zur Überwachungsmannschaft gehörte auch der US-amerikanische Arzt und Psychiater Douglas McGlashan Kelley. Den interessierte von den 22 Nazis, die er psychologisch betreuen, aber auch aushorchen sollte, von Anfang an der Patient Hermann Göring, den er von dessen Tablettensucht heilte, was zu einem Vertrauensverhältnis zwischen beiden führte.

Der Wissenschaftsjournalist Jack El-Hai erzählt die Geschichte des Gefängnispsychiaters Kelley und seines Lieblingspatienten Göring auf der Basis des umfangreichen Notiz- und Testmaterials, das Kelley im Lauf des Jahres 1945 sammelte und bei seiner Rückkehr in die USA im Januar 1946 mitnahm.

Das Buch

Jack El-Hai: „Der Nazi und der Psychiater“. Aus dem Amerikanischen v. H. Heise. Andere Bibliothek, Berlin 2014, 317 Seiten, 38 Euro.

Aufklärerische Absicht

Kelley setzte sich das Ziel, in den Gesprächen „den Charakter“ dieser 22 Männer zu untersuchen „um bis zu einem Grade herauszubekommen, welche Technik sie anwandten, um zur Macht zu gelangen und sich an der Macht zu halten“. Im Laufe der Arbeit mit den Gefangenen veränderte sich Kelleys Zielsetzung. Er wollte wissen, ob die Nazis „psychisch gestört“ waren oder an „Geisteskrankheiten“ litten und ob es so etwas wie eine „Nazi-Psyche“ oder „eine Neigung zur Barbarei“ gab.

Kelleys Absichten waren durchaus aufklärerischer und nicht obskurantistischer Natur: Er glaubte, nur durch die restlose Durchleuchtung der „Nazi-Psyche“ sei eine Wiederholung der nationalsozialistischen Verbrechen zu vermeiden.

Im Fortgang seiner Untersuchungen kam Kelley jedoch zu der für ihn „schmerzhaften Einsicht, dass viele Menschen potentielle Kriegsverbrecher waren“ und das absolut Böse in jedem angelegt sei. Um diese Einsicht zu testen, verfügte Kelley jedoch nur über ein erbärmliches methodisches Werkzeug. Er stützte sich auf die 1921 von Hermann Rorschach erfundenen Tests, einem psychologisch-diagnostischen Verfahren, mit dem aus Assoziationen von Probanden zu Farbklecksen ein Persönlichkeitsbild erstellt wird.

Das Verfahren ist hoch umstritten, und Kelley selbst räumte ein: „Wir wissen sehr wenig darüber, warum der Test funktionierte.“ Sein zweites methodisches Werkzeug war die Allgemeine Semantik von Alfred Korzybski, mit der Verhaltensmuster mithilfe von Sprache verändert werden sollten. So sollte etwa das Wort „Hass“ lehren, die Angst vor einem gewalttätigen Vater zu überwinden. Auch dieses Verfahren genießt nicht den besten Ruf.

Kelleys Analysen „22 Cells in Nuremberg“, die er 1947 veröffentlichte, verschafften ihm eine Professur und den Status eines Experten für Kriminologie als Polizeiberater. El-Hai wertet den umfangreichen Nachlass Kelleys, der sich 1958 wie sein Proband Göring 1945 mit Zyankali umbrachte, akribisch aus, bleibt jedoch gegenüber der dürftigen wissenschaftlichen Basis von Kelleys Analysen nicht nur unkritisch, sondern vereinfacht die problematischen Befunde bis zu Kabarettreife: Aus einer entsprechenden Notiz Kelleys über ein Gespräch mit Göring zieht El-Hai den Schluss, Hitler habe den Russlandfeldzug verschoben, „weil seine Verdauungsprobleme sich verschlimmerten“.

Und Kelleys Suizid „erklärt“ El-Hai mit dem Hinweis, Kelley habe den schmerzhaften Tod gewählt, „um dem größeren Schmerz des Weiterlebens zu entgehen“. Der Leser fragt sich, warum sich die renommierte „Andere Bibliothek“ mit Küchenpsychologie von der Stange beschäftigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Nazi Psyche. Darauf kann auch nur ein Arzt kommen. Er wäre in Hinsicht auf „Nazi-Psyche“ sicher eher bei seinen Arztkollegen fündig geworden, siehe Mitcherlich beim Nürnberger Ärzteprozess, „Medizin ohne Menschlichkeit“ sein grundlegendes Buch dazu.

    Die herrische Männerphantasie des Übermenschen wird einem in jeder Arztpraxis bis heute vorgeführt. Herrschaft, Knechtschaft. Wer’s nicht glaubt, sollte nochmal in sich gehen: Wer bestimmt wen, was bestimmt der Arzt auf welchen Verwertungs-Grundlagen? Leben wir nicht schon längst in einer Gesundheitsdiktatur?

    Dazumal, während der gesundheitspolitischen Grossveranstaltung waren auch die Nazigrössen von ihren Ärzten abhängig: Morell, Gebhardt, Brandt, Hagedorn und Co. Die ideologischen Grundlagen waren Eugenik, Rassenkunde, Einteilung in lebenswertes und lebensunwertes Leben. Alles ärztliche Grundideen wie eine leichte Recherche unter Ploetz, Jost, Hoche, Galton, usw. ergibt.

    Was Tun gegen „Nazi-Psyche“ und „Nazi-Ideen“? Das Vertrauen den Ärzten entziehen. Aufbau Sozialistischer Patientenkollektive. Das Kapital wird's nicht verwinden, alles weitere wird sich finden. Wen’s interessiert, Suchmaschine: Iatrokratie im Weltmaßstab.

  • Tinneff¿ - wie fraumans nimmt -

     

    Tja - der - den Reichsjägermeister -

    einen der Gewöhnlichsten -

    (vgl Oskar Maria Graf -

    Wir sind Gefangene)

    "…aber auch aushorchen sollte, von Anfang an der Patient Hermann Göring, den er von dessen Tablettensucht heilte, was zu einem Vertrauensverhältnis zwischen beiden führte.…"

     

    Das hatten - wie gewöhnlich eben -

    auch schon andere -interessengeleitet - klar - wie du&ich -

    Wie der Komponist Eduard Künneke -

    Beide waren Morphinisten (s.o.)

     

    (&und was dessen Tochter, der flugbegeisterten Evelyn Künneke

    im Ergebnis die aktive Teilnahme an der Bombardierung Rotterdams

    im Stuka - nunja einbrachte;

    vgl Wolfgang Korrhun

    Hautnah. Indiskrete Gespräche.))

     

    kurz - was heute via Gen-Forschung längst plan as plan can be ist -

    Die Menschen sind gleich -

     

    Nur unseren Politikern ist dieses -

    &ganz interessengeleitet - &bisher¿-

    &darin sind eben diese sich weltweit

    durch die Bank - genetisch;)gleich -

    &Leider - Verborgen Geblieben!!!

    kurz - it's - Time to a-changing

     

    Dank an Rudolph Walther;)

    • @Lowandorder:

      ah ja - sorry - I forgot -

       

      Vertrauen gegen Vertrauen

      Von seiner Zyankali-Kapsel

      im Zahn - erzählte

      der berühmte Herr Meier

      eben grad - nix;

      uns aber bleibt das schöne nunja

      Kinderlied -

      "Herr Meier kam geflogen -

      auf einer Flasch Benzin…"

      nun - das kommt dabei heraus,

      wenn man so ein aufgeblasener

      dickwanstiger Angeber ist;

      "Wenn ein einziges feindliches Flugzeug

      über DEUTSCHEM BODEN

      (ja Pegida ist überall)…Meier heißen."

      Genauso - ganz banal - kam es.

  • Tinneff!

     

    Milgram hat in den 60 er Jahren durchaus bestätigen können das Arendts "Banalität des Bösen" es schon ziemlich gut trifft; sein bekannter Versuch aber auch:

     

    http://www.radford.edu/~jaspelme/_private/gradsoc_articles/obedience/Migram_Obedience.pdf