: UND EWIG WEINEN DIE GÖTTER
■ Werner Herzog und Reinhold Messner drehten am K-2 „Die Tränen der Götter“. Film-Tourismus oder „letzter Trip auf Erden“?
Die Eiswüste des Karakorum-Gebirges, über der eine trockene Kälte klirrt, erscheint endlos, und der im Gehen in Eis bewanderte Regisseur Werner Herzog beschwört ihre Jungfräulichkeit mit pathetischen Worten: „Der Himmel, unbußfertig wie sonst nirgends, starrt gnadenlos auf das langsam auftauende Eis. Das Eis ist groß und so weiß, daß es einem weh tut. Und der Himmel ist überall größer, größer noch als das Eis.“ Reinhold Messner neigt dazu andächtig stumm sein majestätisches Haupt, das schon manches, wenn nicht alles gesehen hat auf dieser Erde. „Und tut vermutlich noch weher“, scheint er zu denken...
Kein Ort zum Leben also, kaum zum Überleben, eher schon ein Ort zum Sterben. Und vom Sterben handelt auch der Film, den Herzog nach einer Tragödie aus dem Leben seines Kompagnons Messner in der dünnen Luft des Himalaya dreht: 1970 hatte dieser am Nanga Parbat seinen Bruder durch eine Eislawine verloren. Messner suchte lang nach ihm, immer wieder zog es ihn zurück in die Region, wo sein Bruder den Tod gefunden hatte.
Die verzweifelte Suche bildet nun das zentrale Thema des Films, den Herzog nach jahrelanger Vorbereitung und relativ erfolglosen afrikanischen Sklaventreibereien endlich verwirklicht. In Reinhold Messner hat er den idealen Partner für die Extrem-Sinnsuche gefunden: Der, ständig auf dem „letzten Trip auf Erden“, wollte in der Bergwelt des Karakorum „wie bei einer alten Geliebten“ Kraft für seine zur Zeit stattfindende Antarktis-Expedition schöpfen.
„Endzeit“ - dieses Erlösungswort schlapper Europäer -Sehnsucht nach dem Welt-Finale überträgt der deutsche Film -Mystiker in die dünn-luftige Gletscherzone der Eiszeit.
Herzog erzählt die Geschichte von Erwin und Hugo, zwei Brüdern und Topmanagern eines Waschmittelherstellers, die, der menschenverachtenden Schaumschlägerei der heimischen Seifensieder überdrüssig, zu Aussteigern werden, um in der Besteigung des entlegensten und schwierigsten Achttausenders der Erde, des K-2 (8611 Meter), Kontemplation und Selbstfindung zu suchen.
Doch selbst in ihrem Extremismus des „An-die-Grenzen -Gehens“ erweisen sie sich als Leistungsträger ihrer Zeit, auch wenn ihre Ausrüstung vornehmlich von Sherpas aufs Dach der Welt geschleppt wird. Der Hochmut der Westler kommt vor dem Fall.
Reinhold Messner spielt Hugo, die Rolle seines eigenen Bruders - bestimmt einer der gewagtesten Versuche von Vergangenheitsbewältigung durch Selbstbesteigung. Nach Hugos Absturz verliert Erwin, der konzerngestählte Macher, die Selbstkontrolle und irrt, getrieben von seinen inneren Dämonen, über endlose Gletscherfelder, in der wahnhaften Suche nach dem längst vereisten Bruder. Völlig auf sich selbst geworfen, gehen Erwin nach und nach die Konturen seines Seins verloren, und er fängt an, sich selbst zu suchen: den Erwin im Eis, den Hugo in sich.
Klaus Kinski spielt den Part des Erwin so hohlwangig kunstirr wie einst in jenen Tagen, als noch die Zornestränen eines Gottes ausreichten, den Amazonas über die Ufer treten zu lassen. Kinski mimt Erwins fortschreitende Desorientierung mit atemberaubender Lebensechtheit, weiter und weiter treibt ihn sein Wahn hinauf in die Höhen des Karakorum, nur noch ein Ziel vor Augen: auf dem Gipfel des K -2 seinen Bruder der Herrschaft der Götter zu entreißen.
Herzog inszeniert diese Suche mit dem großen Atem des Romantikers, läßt seinen Protagonisten durch eine Seelenlandschaft von symbolgeballter Eiszapfigkeit stapfen, deren Metapherkaskaden er zu grandiosen Traum- und Wahnbildern von Caspar-David-Hauserscher Sogkraft verdichtet. Bilder, die einen nicht mehr loslassen...
Eine letzte, nicht für möglich gehaltene Steigerung des eiszeitlichen Spannungsbogens erfährt der Film am Schluß, wenn Erwin, dem Gipfel nahe, in seherischer Entrückung im K -2 eine gigantische Flasche K2r zu erkennen glaubt - das ewig übermächtige Konkurrenz-Fleckenwasser aus einstigen Saubermann-Tagen läßt ihn auch in dieser zivilisationsfernen Bergregion nicht los.
Diese Durchdringung elementarer Urnatur mit profansten Alltagsmythen gibt dem Film erst die unverwechselbar Herzogsche Dimension von Tiefsinn und Abenteuer, mit der er immer entlegenere Weltregionen filmerisch erschließt. Klar, daß er auch diesmal nicht ohne Botschaft auskommt vorgetragen wird sie vom Rübezahl des Himalaya: Yeti, der Schneemensch, den bislang erst Messner zu Gesicht bekommen hatte, enthüllt nun erstmals der staunenden Weltöffentlichkeit das Geheimnis des Filmtitels: Die Gletscher sind nichts anderes als die gefrorenen Tränen der Götter. Bedeckten sie früher noch die halbe Erde, so schmolzen sie durch die Aufheizung der Atmosphäre dahin und kühlen heute nur noch die höchstgelegenen Bergregionen. Heizt, sprayt und rodet die Menschheit weiterhin so hemmungslos, so droht der Welt unweigerlich der Hitzetod und, dies die pikante Note seiner Prophezeiung, ein neuer Herzogscher Wüstenfilm. Der Arbeitstitel steht schon fest: Serengeti, die Staublunge Gottes.
Rüdiger Kind
Auf vielfachen Wunsch unserer geneigten Leserschaft kennzeichnen wir Satiren ab sofort als solche. Dies war eine.(taz-Reise)
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