U21-Fußballeuropameisterschaft: Zu gut für den Nachwuchs
Ohne ihre Besten starten die Deutschen bei der U21-EM gegen die Niederländer. Die geringe Wertschätzung des Turniers könnte sich rächen.
TEL AVIV taz | Pierre-Michel Lasogga blickte aus dem Fenster und traute seinen Augen nicht. Da unten liefen sie die Strandpromenade entlang. Hintereinander, nebeneinander, in ihren orangefarbenen T-Shirts. Die Holländer machten Trainingspause – und sie demonstrierten Lässigkeit vor dem deutschen Mannschaftsquartier.
Sehr selbstbewusst hätten sie gewirkt, sagt Lasogga, der Mittelstürmer aus Berlin, so wie man sich eben präsentieren müsse bei einem wichtigen Turnier. Auf eine Kampfansage verzichtete Lasogga. Er hätte auch zu laut schreien müssen, um die Botschaft zu übermitteln: Sein Zimmer befindet sich im achten Stock einer noblen Herberge am Stadtstrand von Tel Aviv. Lasogga: „Wir bekommen es ja am Donnerstag miteinander zu tun.“
Natürlich freue er sich auf einen Einsatz, auch wenn er nicht garantieren könne, dass er von Beginn an spielt: „Jeder weiß ja, dass der Trainer die Entscheidung trifft.“ Was im Fall der U 21-Nationalelf aber nur die halbe Wahrheit ist. Denn wenn Trainer Rainer Adrion die freie Wahl gehabt hätte, wenn er sich hätte bedienen können, wie er wollte – was für eine sensationelle Mannschaft hätte er dann hier aufs Feld führen können!
Ilkay Gündogan, der Dortmunder, wäre noch spielberechtigt, und er wäre gern hingefahren. Auch André Schürrle, der bald für den FC Chelsea aufläuft, war so ein Kandidat. Und natürlich Julian Draxler, Schalkes junges Offensivgenie. Wären Toni Kroos und Mario Götze nicht verletzt, dann wäre auch ihnen ein Platz im Kader sicher gewesen, wenn sie es gewollt hätten.
Altbekannte Komponenten
So aber müssen die Deutschen zusehen, wie sie klarkommen – und auf altbekannte Komponenten setzen: Der Zusammenhalt der Mannschaft wird beschworen, die gute Fitness und die Klasse einzelner. Die von Lewis Holtby beispielsweise, dem ehemaligen Schalker, der jetzt bei Tottenham spielt. Und natürlich die Explosivität des Angreifers Lasogga, der seinen Kollegen einen langen Aufenthalt am Strand von Tel Aviv verspricht: „Wir sind hier, um die EM zu gewinnen.“
Der Weg ins Finale führt über Holland, Spanien und Russland, wobei es vor allem die erste Aufgabe in sich hat: 14 Spieler sind schon für das A-Nationalteam von Bondscoach Louis van Gaal aufgelaufen, dessen Team in der WM-Qualifikation von Sieg zu Sieg eilt. „Das Qualitätsniveau ist sehr hoch“, sagt Trainer Co Pot. Und so verkündet Keeper Jeroen Zoet nicht minder selbstbewusst als sein deutscher Gegenspieler Lasogga: „Ich sehe es als meine Aufgabe an, die Mannschaft ins Endspiel zu führen.“
Ausgeglichener ist kaum ein Team besetzt: Die Abwehr um Daley Blind ist bestens organisiert, und mit Kevin Strootman vom PSV Eindhoven verfügt man über einen glänzenden Strategen. Luuk de Jong funktioniert im Team als zentraler Angreifer meist besser als in seinem ersten Jahr bei Borussia Mönchengladbach. Coach Pot will die Deutschen nach gutem holländischen Brauch mit zwei Flügelspielern und einer Spitze in Bedrängnis bringen.
Nicht nur der Coach wundert sich, dass die Deutschen es sich leisten, ein paar ihrer besten Kräfte nicht zu nominieren. In Holland ist die Meinung eine andere: Es gehört zum Konzept des Verbandes, die Spieler zum Abschluss der Juniorenausbildung noch einmal ein großes Turnier spielen zu lassen – und ihnen somit die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen unter harten Wettkampfbedingungen zu machen. Eine U 21 hat in Holland traditionell einen ganz anderen Wert.
Kern des deutschen Fußballaufschwungs
In Deutschland hat sich diese Sichtweise bisher nicht durchsetzten können. Obwohl die Vergangenheit etwas anderes lehrt: Während Jahrzehnten hatten die Deutschen keinen Titel bei den Junioren gewinnen können, im Jahr 2009 aber schlug die Stunde des U 21-Teams. Trainer Horst Hrubesch führte die Mannschaft als Außenseiter zum 4:0-Finalsieg in Schweden über England, und dieses Team war der Kern des neuen deutschen Fußballaufschwungs: Im Tor stand Manuel Neuer, die Abwehr dirigierte Jerome Boateng, Mats Hummels ordnete das defensive Mittelfeld, Mesut Özil und Sami Khedira beherrschten die Offensive.
Fabelhafte Kicker, die nicht nur im Nationalteam reüssierten. Das Quintett stand in diesem Jahr im Halbfinale der Champions League, und keiner von ihnen bestreitet, dass der frühe Erfolg ihnen enorm geholfen hat. Die Haltung, dass die Jungen zu gut für den Nachwuchs sind, sie könnte zum Bumerang werden.
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