U-Turn in der grünen Verkehrspolitik: Der Asphalt kommt
Schleswig-Holsteins Grüne wollen den Weiterbau der Autobahn 20 nicht länger verhindern – falls der Bund die Elbquerung nach Niedersachsen finanziert.
KIEL taz | Für Andreas Tietze ist die Richtung klar: „Wir müssen uns für neue Lösungen öffnen“, sagt der Verkehrsexperte der Grünen-Landtagsfraktion im schleswig-holsteinischen Landtag. Das bedeutet, dass die Partei ihren Widerstand gegen den Weiterbau der Küstenautobahn A 20 aufgeben könnte. „Konzepte sind in der Mache“, sagt Tietze: Um neuen Herausforderungen zu begegnen, sei eine Zukunftswerkstatt zum Thema Mobilität geplant.
Die vielleicht größte Herausforderung ist, dass die schwarz-rote Koalition im Bund die Vollendung der A 20 und deren Kernstück – einen Elbtunnel zwischen Schleswig-Holstein und Niedersachsen – in den vordringlichen Bedarf des neuen Bundesverkehrswegeplans einstellt. Dann nämlich, fürchten manche Grüne, könnten sie ihre Ablehnung der Autobahn nicht länger aufrechterhalten.
Sollte die Finanzierung einer solchen Querung gesichert sein, sei es aus rein öffentlichen Mitteln, sei es mit privater Beteiligung und Mautpflicht, müsste auch der Anschluss an Land gebaut werden. „Wir werden aber nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen“, sagt Tietze: „Noch ist der Weiterbau nach Niedersachsen eine Phantomdebatte.“
Die 1998 als "Ostseeautobahn" zwischen der polnischen Grenze und Lübeck geplante A 20 soll auf 542,4 Kilometer Gesamtlänge zur "Küstenautobahn" bis an die Nordsee ausgebaut werden.
In Betrieb sind bislang 345,2 km von der Uckermark bis Weede östlich von Bad Segeberg, davon 38,8 km in Schleswig-Holstein.
Im Bau befinden sich dort zwei Teilstücke zwischen Weede und der A 7 bei Bad Bramstedt.
In Planung sind 40 weitere Kilometer nach Südwesten bis zur Elbe mit einem 6,5 km langen Tunnel zwischen Glückstadt und Stade.
Die Vollendung ist angedacht über 121 Kilometer durch Nordwestniedersachsen Richtung Bremerhaven und unter der Weser hindurch bis Westerstede an der A 28 nördlich von Oldenburg.
Im Koalitionsvertrag des Kieler Regierungsbündnisses aus SPD, Grünen und SSW ist festgelegt, dass die A 20 „in dieser Legislaturperiode“ nur zwischen Bad Segeberg und der A 7 gebaut werden soll. Eine westliche Fortführung der Autobahn wollen die schleswig-holsteinischen Grünen verhindern, um keinen Sachzwang zu schaffen für den Elbtunnel.
Für den Weiterbau ist aber die SPD. Für sie ist die A 20 das zweitwichtigstes Verkehrsprojekt im Lande – hinter der Sanierung des Nord-Ostsee-Kanals und noch vor der Hinterlandanbindung eines Fehmarnbelt-Tunnels. „Die A 20 muss kommen“, sagen unisono Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner, Ministerpräsident Torsten Albig und Verkehrsminister Reinhard Meyer.
Mehr noch: Die Autobahn – „einschließlich westlicher Elbquerung“ – sei eine der „wichtigsten Verkehrsachsen für den gesamten nordeuropäischen Raum“. Von der A 20 erwarte man „bedeutende wirtschaftliche Impulse für Schleswig-Holstein und ganz Norddeutschland“, heißt es etwa auf der Homepage des Kieler Verkehrsministeriums – Koalitionsvertrag hin oder her.
Am 6. November 2013 allerdings hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig einen vorläufigen Baustopp verhängt: Der Planfeststellungsbeschluss für den zehn Kilometer langen A 20-Abschnitt von Weede bis Wittenborn (Kreis Segeberg) sei rechtswidrig, weil der Schutz eines großen Fledermaus-Bestandes in den Segeberger Kalkhöhlen nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.
Kiels Verkehrsminister Meyer sprach nach dem Urteil von einem Rückschlag: Die notwendigen Planänderungen würden mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen. Die Grünen hingegen freuten sich: Wieder mal müsse „ein Gericht dafür sorgen, dass StraßenplanerInnen die Gesetze beachten“, kommentierte ihre Umweltpolitikerin Marlies Fritzen.
Auch Meyers Vorschlag, übergangsweise den A 20-Ausbau weiter westlich anzugehen, lehnte der Koalitionspartner ab: „Ich sehe da keinen Gestaltungsspielraum“, stellte Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben klar: „Der Koalitionsvertrag gilt.“
Aber nur noch gut drei Jahre, bis zur nächsten Landtagswahl. Die dann als Mitregierende für die SPD möglicherweise bereitstehende CDU ist mindestens so entschieden für den Bau der Autobahn wie die eventuellen kleinen Ergänzungspartner SSW und FDP. Die Grünen stünden allein auf dem Standstreifen.
Und um das zu verhindern, müsse „die Balance zwischen Ökologie und Ökonomie neu justiert werden“, sagt Tietze. Noch vor der Sommerpause soll darüber ein Parteitag diskutieren.
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