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Typo-Graphie

■ Soziale Raster und Muster: Ken Lums raffinierter Ethno-Kitsch im Münchner Lenbachhaus

„Viele zeitgenössische Künstler verhalten sich dandyhaft in der Art, wie sie die exotischen Qualitäten des Kitsches ausbeuten, indem sie sie einfach reproduzieren.“ Für den Kanadier Ken Lum, aufgewachsen im Einwanderermilieu von Chinatown Vancouver, ist Nippes nichts Fremdes. Eine zynische Fortschreibung des Exotisch- Geschmacklosen hieße somit Ausverkauf der eigenen community. Der privilegierte Lebensstil des Dandys und dessen frei gewählte Asozialität ist nicht Sache der Minoritäten. Ihre Exklusivität ist unfreiwillig.

Erst der gepflegte WASP-Status erlaubt dem Verkitsch-Künstler Jeff Koons das Spiel mit Edelmetall, Geschnitztem, Blumengebinden und Glas: Aus gesicherter Ferne zum Massengeschmack wird dieser durch Nippes-Produktion – eher zynisch als ironisch – bestätigt. Ken Lum hingegen nutzt die Süße des Kunsthandwerklichen für soziale Erkundungen: „Die einzig mögliche Art im Umgang mit Kitsch scheint mir der Eingriff, das Engagement, die Aufdeckung der inneren Widersprüche einer pervertierten Erfahrung zu sein. (...) Die feinen Verschiebungen oder Unterschiede, wie sie die Reproduktion erreicht, können nicht mehr wirklich in Frage stellen. Die Schaffung eines dramatischen Bildes erlaubt es mir, deutlicher einzugreifen.“ Zugute kommt ihm dabei die Ausbildung als Grafikdesigner und Tier- beziehungsweise Pflanzenillustrator.

Lums Arbeiten spielen auf das populäre Dekor der Werbung und der Wandmalerei an. „Bindy Sangeet – Angestellte des Monats“ steht mit schriller Typographie auf der linken Hälfte der Bildtafel, während rechts eine Walt-Disney- Reinkarnation seiner uniformierten Verkäuferin kamerazugewandt die Hand drückt. Hinter den Figuren schnörkelt sich die blaue Neonschrift „Italian Ice Cream“ auf dem falschen Tempelbau entlang; eine Putte steht am Fenster. Der hier dargestellte Kitsch wird funktional, zur Verkaufsförderung, eingesetzt: Zum einen verklärt eine antikisierte Innendekoration die (mutmaßliche) Standard-Architektur einer Shopping Mall. Zum anderen suggeriert der Handshake ein harmonisches Betriebsklima, das sowohl dem Kunden gefallen will als auch den Angestellten Würde verleihen soll. Doch der lobende Händedruck folgt erst, wenn Bindy Sangeet mehr Leistung gezeigt hat als beispielsweise Scott Ruzycki. Dieser Bursche wird nämlich von zwei Beamten der Vancouver Police festgehalten, während ein Mann im Pfeffer-&-Salz-Jackett eine Liste ausfüllt. Ist dies sein Lehrer oder Scotts Bewährungshelfer, der den Drop-Out zürück an seinen Arbeitsplatz bringt (Tellerspüler im Eiscafé)? An diesem Beispiel zeigt sich auch, wie weit Lums Bild-Geschichten multiethnischer Minoritäten untereinander anschlußfähig sind.

„Come On, Get Up!“, ruft eine Frau ihrem betrunken übers Trottoir kriechenden Gefährten zu. Ken Lum montiert inszenierte Großfotos – ähnlich denen seines Freundes und Lehrers Jeff Wall – mit ornamentalen Zierschriften, wie man sie von marktschreierischen Werbezetteln im selbstgefertigten DTP-Layout her kennt. Die bildhafte Schrift und das zeichenhafte Foto stehen gleichgewichtig und sich gegenseitig kommentierend nebeneinander. Erst in der Kombination bilden Beschriftung und Fotografie den Charakter der Person heraus: „Der Kunst- Professor“ erhält eine sachliche Futura zur Seite gestellt, während die Schrift für „Ein Holzhacker und seine Frau“ in Baumstämmen und Brettern verfaßt ist.

Obgleich die abgebildeten Personen beim Namen genannt und in scheinbar dokumentarischer Situation festgehalten werden, bildet Lum mit nachgestellten Posen und Schrift-Logos ein typisiertes – und somit allgemeingültiges – Gesellschaftsvokabular heraus. Entsprechend dem transnationalen Vielvölkermix der Einwandererstadt Vancouver verschafft er diesen Randgruppen-Genrefiguren durch Ornament und Inszenierung Attraktion und Beachtung. So wird vermieden, daß man die Personen vorschnell als Einzelfälle und die Bilder als Sozial-Kitsch abstempelt.

In den leuchtfarbigen „Language Paintings“ und den schwarzweißen Motivsammlungen (Gehhilfen, Wohnungsfenster, Prostituierte, Polizeiautos, Bettler) trennt Lum Text und Bild. Nun hat der Betrachter das Fehlende zu ergänzen: Bei „Girl in Pacific Center Mall Vancouver“ sind Leinwand (und die sie umgebende Ausstellungswand) mit charakterisierenden Fragen („In welcher Klasse ist sie?“) übersät. Sogleich stellt sich die Vorstellung der Szenerie ein. Aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner der schriftlosen Motivsammlungen erschließt sich die Bezeichnung, die mal mehr (Polizeiauto), mal weniger (Gehhilfen) offensichtlich ist: Die Fotos evozieren beim Betrachter ihren Text. Auch bei dieser Bilderserie – Siebdrucke auf Leinwand, Rasterfotos auf der Mauer – nutzt Lum formal das gleiche Mittel wie bei den „Sprach-Gemälden“ und breitet zwischen den Leinwänden kleinformatige „Jugendporträts“ aus. Von fern verschmilzt die weiße Leinwand mit der Mauer.

Außer den Werbetafeln und All-Over-Wandarbeiten finden sich in den Räumen des Münchner Lenbachhauses noch überdimensionale Kissen, eine unbenutzbar zusammengeschobene Sitzgruppe und die Rauminstallation „Poetic Situation“. Entlang der Wände lehnen auf Holzstangen genagelte Pappschilder, als hätte man die Reste einer Montagsdemonstration zusammengetragen. Die „poetische Situation“ ergibt sich aus den exotischen, mit dem Pinsel aufgetragenen Schriften: Neben (wohl) asiatischen und arabischen Kalligraphien zeigt nur ein Schild die mir geläufige Schrift: „We Go To A Coun-Try Not Of Our Flesh“. Dieser Raum voller Demonstrationsrelikte und Kissen wirkt wie ein objet trouvé, ist jedoch pures Arrangement. Wie bei Kabakow soll eine inszenierte Situation den Besuchern Geschichten mitteilen. Ken Lum versetzt mittels populärer Embleme dramatische Lebensgeschichten in den Kunstkontext, ohne dabei den Kitsch zu denunzieren. Die städtische Erzählkunst der popfarbenen Poster und handgefertigten Transparente, der er sich hierbei bedient, wird als rekonstruierte Situation ins Museum getragen. Motivisch der Straßenöffentlichkeit entlehnt, wenden sich seine „dramatischen Bilder“ hier an den gezielten Besucher. Jochen Becker

Ken Lums erste Museumspräsentation in Deutschland dauert bis zum 7.März. Außerdem vom 9.Mai bis 12.Juni in der StadtGalerie Saarbrücken und vom 19.Juni bis 25.Juli im Badischen Kunstverein Karlsruhe.

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