Typisch norddeutsch: Klischee-Maschine
Der NDR hat für den "Tag der Norddeutschen" vor allem hellhäutige Protagonisten begleitet. Rassismusforscher vermissen Menschen mit Migrationshintergrund.
HAMBURG taz | Am Samstag strahlt der NDR die Dokumentation „Tag der Norddeutschen“ aus. 121 Menschen, vom Busfahrer über den Kardiologen bis zur Tänzerin, wurden einen Tag lang mit der Kamera begleitet und ihre Geschichten werden von 6 bis 24 Uhr gezeigt. Auch ein italienischer Kfz-Mechaniker ist dabei, ein türkischer Bäcker und ein Kaffeeverkäufer aus der Karibik: „Deutsch spricht er nicht so gut, dafür ist sein Kaffee umso besser“, schreibt der NDR auf seiner Website.
Das Hamburger Institut für Migrations- und Rassismusforschung (Imir) kritisiert in einem offenen Brief an den NDR-Intendanten Lutz Marmor und den Rundfunkrat, dass in der Dokumentation zu wenig und zu klischeehaft dargestellte Menschen mit Migrationshintergrund vorkämen. „Gibt es in Eurer norddeutschen Welt keine weiteren Muslime, keine Menschen, deren Wurzeln in Asien oder Afrika liegen?“, fragen Professorinnen und Professoren der Uni Hamburg, Lehrer verschiedener Schulen, Mostafa Morid aus dem Hamburger Integrationsbeirat und auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde der Stadt, Hüseyin Yılmaz, in dem Brief.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoğuz, die im NDR-Rundfunkrat sitzt, stimmt den Kritikern zu. Sie sei sicher, dass dies „helfen kann, die interkulturelle Öffnung auch in den Medien und deren Produktionen stärker zu berücksichtigen“, sagt sie.
Das Statistische Bundesamt hat eine Länderstatistik über den Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund veröffentlicht. Als solche gelten Nicht-Deutsche sowie Deutsche, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Ihr Anteil an der Bevölkerung betrug im Jahr 2011:
In Hamburg: 27 Prozent
In Niedersachsen: 17,5 Prozent
In Schleswig-Holstein: 12,4 Prozent
Mecklenburg-Vorpommern subsumiert das Bundesamt unter "neue Länder", dort leben im Schnitt 4,7 Prozent Migranten.
Eine Migrantenquote für das NDR-Sendegebiet lässt sich daher nicht ermitteln. Ohne M-V läge sie bei 17,7 Prozent.
Der NDR beteiligt sich an der Unternehmensinitiative „Charta der Vielfalt“. Damit verpflichtet sich der Sender, seine Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unabhängig von Geschlecht, Nationalität oder ethnischer Herkunft zu fördern und diese Haltung auch in seinen Programminhalten umzusetzen. „Medien prägen die Bilder, die sich Menschen in Deutschland von Zugewanderten machen“, sagt Iris Bents, eine Pressesprecherin des NDR. In dieser Verpflichtung sehe sich auch die Redaktion, die den „Tag der Norddeutschen“ verantwortet. Die Kritik könne man aber nicht nachvollziehen, schließlich erhebe die Dokumentation „nicht den Anspruch, eine vollständig repräsentative demografische Abbildung“ zu sein.
Mehr als 1.000 Norddeutsche wollten sich laut NDR für das Projekt von einem Kamerateam begleiten lassen. Rund die Hälfte der Mitwirkenden sei durch eine Online-Abstimmung von Zuschauern gewählt worden. Die andere Hälfte habe die Redaktion ausgesucht, „um etwa darauf zu achten, wie viele Frauen und wie viele Männer es gibt“, sagt Bettina Feldgen, Sprecherin vom „Tag der Norddeutschen“.
Hüseyin Yılmaz von der türkischen Gemeinde Hamburg bedauert, „dass der NDR die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat, die Vielfalt im Norden darzustellen“. Unter den türkischen Hamburgern hätten die Redakteure Protagonisten aus allen beruflichen Sparten finden können – „von der Putzfrau bis zur Ministerin“. Der NDR zeige stattdessen die Kroatin im Knast und den Italiener beim Spaghettikochen, sagt Rassismus-Forscher Andreas Hieronymus vom Imir. Das reproduziere nur Klischees.
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