Twitter in der Politik: Zwitschern um die Wählergunst

Der Microbloggingdienst Twitter zieht Politiker derzeit magisch an. Von Wahlkampfinhalten bis zu Speiseplänen wird alles getwittert. Doch was bedeutet das für die Politik?

Twitter ist nicht unbedingt das seriöseste Nachrichtenmedium. Bild: screenshot twitter

BERLIN taz | Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin, sitzt hinter seinem aufgeklapptem Laptop in einem Cafe in Berlin Mitte. Gerade nutzt er das Online-Kommunikationsinstrument Twitter, „weil man so mit wenig Aufwand seine Gedanken loswerden kann. Die auf 140 Zeichen limitierten Inhalte laden viel eher zum Lesen ein als lange Blogbeiträge.“ Deshalb wohl sind zahlreiche Politiker, Fraktionen, Parteien und NGOs auf Twitter aktiv. Peter Bihr, Onlinewahlkampfberater der Jusos, meint: „Twitter ist hip, da will niemand außen vor bleiben.“

Diese Hipness hat viel mit Barack Obama zu tun. Sein Wahlkampf wurde zentral von modernen Kommunikationsformen getragen. Das wollen auch deutsche Politiker erreichen, bisher mit geringem Erfolg. Markus Beckedahl von Netzpolitik.org, Experte für internetbasierten Wahlkampf, erklärt: „Im Gegensatz zu manchem deutschen Politiker hat eben die Obama-Kampagne keine Nachricht verschwendet, um über Bratwürste oder Zahnarztbesuche zu twittern.“

Aber was soll man in 140 Zeichen in einem so komplexen Feld wie Politik schon erzählen? Halina Wawzyniak, stellvertretende Vorsitzende der Linken, sagt: „Man muss eben das Weltgeschehen auf den Punkt bringen.“ Ralf Stegner, Vorsitzender der SPD Schleswig-Holstein, der auch mal Scherze, Karnevalsreime und Musiktips twittert, warnt hingegen: „Man sollte Twittermeldungen nicht überschätzen, sie bleiben aufgrund ihrer Kürze impressionistisch. Es ist, als würde man mit Anderen beim Bier sitzen.“

Für Gudrun Kopp aus der FDP-Bundestagsfraktion ist Twitter hingegen ein ideales Mittel um die Wählermeinung zu sondieren. Sie sieht darin einen politischen Pulsmesser: „Ein Thema zu setzen, ist wie einen Stein ins Wasser zu werfen und zu betrachten, wie groß die Kreise sind, die er zieht.“ Peter Bihr bestätigt das: „Rückkopplung ist die eigentliche Stärke von Twitter, auch wenn sie nicht immer genutzt wird.“ Denn ob ein Spitzenpolitiker Zeit und Lust hat, sich mit den Meinungen einzelner Wähler auseinanderzusetzen, ist fraglich.

Und doch nutzen Politiker Twitter als Informationsquelle, denn es ist oft aktueller als jedes andere Medium. Der Haken daran ist die Subjektivität, die die Benutzer ganz offen zur Schau tragen. Das Twittergewitter aus Befindlichkeitstalk und politischer Nabelschau verstellt oft den Blick aufs Wesentliche. Für Gudrun Kopp ist das kein Problem: „Sich als Politiker persönlich darzustellen, schafft eine Vertrauenswürdigkeit, dann öffnen sich die Menschen auch gegenüber den Inhalten.“ Markus Beckedahl sieht hier eine schwierige Gratwanderung: „Man hat teilweise das Gefühl, Politiker wollen zu sehr authentisch wirken. In der Regel wirkt das belanglos.“

Ein weiteres Problem ist: Selbst Angela Merkel lässt sich auf Twitter finden, vier Mal gleich – und keine ist die Echte. Martin Sonneborn, Mitherausgeber der Satirezeitschrift Titanic, behauptet: „Eine Hälfte der Accounts ist gefälscht, man weiß nur nicht welche.“ Seine Twitterfälschung von Thorsten Schäfer-Gümbel wurde bekannt mit Tweets wie diesem: „Habe Mutter gerade erzählt, daß ich öffentlich twittere und bis zu 300 Leute zuschauen - Ohrfeige erhalten!“ Sonneborn sagt, die Politiker sollten „Gelassen, gelassen und nochmal gelassen“ mit solchen Fälschungen umgehen. Halina Wawzyniak sieht das genauso, sie meint: „Man sollte sich da selbst nicht so wichtig nehmen.“ Benedikt Lux erkennt sogar einen positiven Aspekt: „Twitterfakes verleihen den Konsumenten Medienkompetenz. Denn man muss in sehr kurzer Zeit Informationen nach Gehalt und Vertrauenswürdigkeit bewerten.“

In das Instrument werden viele politische Hoffnungen gesetzt. Doch angesichts der Zahl der Leser - sebst für Spitzenpolitiker sind schon 1.000 eine schwer knackbare Marke - scheinen diese Hoffnungen übertrieben. Benedikt Lux empfindet deshalb andere Kommunikationsformen als wichtiger: „Wenn ich eine Stunde für politische Kommunikation hätte und ich müsste wählen zwischen Mailingliste, Twitter oder einem Jazzfrühschoppen, wäre ich beim Frühschoppen. Denn letztlich zählt doch der direkte Kontakt am meisten.“ Das wahre Leben findet eben doch noch nicht hinter dem Laptop statt.

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