Twitter-Geschichten von taz-Autor*innen: Liebe, Flausch und Candystorm
Robert Habeck hat sich von Twitter verabschiedet. Schade, denn da gibt es nicht nur Hass und Häme – sondern auch Anrührendes und Schönes.
Gareth Joswig, @garethmetik
Plötzlich war Mau weg. Unsere vierjährige Tochter Ida hat ihr Lieblingskuscheltier im Zug verloren. Als Mau auch eine Woche später nicht in den Fundbüros der Bahn auftauchte und meine Tochter immer untröstlicher wurde, startete ich eine Suchaktion auf Twitter. Viele teilten den Aufruf, nahmen Anteil und halfen suchen. Ergebnis: Die Katze ist zwar immer noch auf Reisen, hat dafür aber Postkarten von unterwegs geschickt, dank zahlreicher User*innen. Gut dreißig Postkarten hat Mau geschickt, aus Sachsen, Bayern, Malta und Paris, selbstgemalte vom Nordpol und aus der Tiefsee. Meine Tochter lässt sich die Karten immer wieder vorlesen – zusammen mit dem neuen Ersatzkuscheltier: Mau-Pünktchen.
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Maike Brülls, @MaikeBruells
Ein Sommer vor einigen Jahren. Auch in der letzten Verlosung bekam ich kein Ticket für das #Fusion-Festival. Mehr aus dem Bedürfnis, meiner Betrübtheit Luft zu machen, denn aus Hoffnung fragte ich bei Twitter, ob jemand ein Ticket abzugeben hat. Wochenlang nichts. Und dann: eine Antwort. Ob meine Suche noch aktuell sei. Ich antwortete, wir tauschten Konto- und Kontaktdaten aus. Ich überwies das Geld, über 100 Euro, einer mir fremden Person, ließ mein Misstrauen der Menschheit gegenüber beiseite – und wurde nicht enttäuscht. Nach kurzer Zeit war das Ticket da. Twitter hat mir nicht nur eine tolle Zeit auf dem Festival beschert, sondern mir auch das Vertrauen in den Menschen wiedergegeben. Zumindest kurz.
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Michael Brake, @freelancepolice
„Was machst du gerade?“ Als Twitter noch jung war, stand diese Frage ganz oben auf der Seite und viele nahmen das sehr wörtlich. Als Parodie auf dieses superbanale Tagebuchtwittern programmierte Kathrin Passig im Sommer 2008 den @trottelbot. Ein Parodieaccount, der in onkeligem Office-Humor-Sound Sachen schrieb wie: „Üffchen! Wieder zu Hause.“ „Muss dringend mal was essen. #Hunger“. Dabei bediente er sich aus einer Liste mit vorgefertigten Sätzen, die mehrere Leute, darunter ich, weiter befüllten. Über die Jahre lernte der Trottelbot: uhrzeitgebunden twittern („Ich geh mal am Schlafschnulli nuckeln.“), anderen Usern unverbindliche Antworten geben („Das ist ein interessanter Ansatz“), sogar eine Art Syntax. Wir hatten sehr viel Spaß mit Trotti, sieben Jahre lang und dann – verstummte er. Twitter hatte seine Richtlinien verändert und akzeptierte das Trottelbot-Script nicht länger.
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Anonym, @anonymindertaz
Ich war einmal anonym auf einem taz-Cover zu sehen – besser gesagt: meine Unterhose. Mein Körper brustabwärts. Es wusste fast niemand davon. Schon gar nicht mein Ex-Freund, der das Cover ein paar Sekunden, nachdem es online war, retweetete. „Super Foto“, schrieb er dazu. Mir gefiel der Gedanke, dass ich halbnackt auf seiner Timeline prangte, ohne dass er es ahnte.
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Tobias Schulze, @tschlze
Mein schönster Twitter-Moment war, als ich vor Jahren gesehen habe, dass mir Winnie Schäfer folgt. Leider sehe ich gerade, dass er mir nicht mehr folgt.
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Philipp Daum, @PhDaum
Zwei Wochen vor meinem Flug nach Bali drohte ein Vulkan auszubrechen, der Agung. Es könnte jeden Moment so weit sein: In ein paar Stunden! Eine Frage von Tagen! Nächste Woche! Aber es passierte nichts. Drei Tage vor meinem Flug fand ich auf Twitter einen britischen Vulkanologen: @MikeVolc. Ich schrieb ihm, er antwortete, beruhigte mich. Ich flog, der Vulkan brach sechs Wochen später aus.
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Anja Maier, @frau_maier
Ich finde es großartig, wie Frauen sich gegenseitig famen. Also nicht nur Journalistinnen und Politikerinnen, dann ist es nämlich noch viel schöner. Und am allerliebsten habe ich natürlich, wenn jemand so was schreibt wie „Die kluge Frau Maier hat … geschrieben“. Fühle mich dann zwar heillos überschätzt, aber aufs Wärmste wahrgenommen und gebe diese Wärme gerne zurück und weiter.
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Paul Wrusch, @powl_b
Vor über drei Jahren hatte ich eine Twitter-Romanze mit dem jetzigen @BILD-Chef Julian Reichelt. Ich schrieb ihm einen öffentlichen Liebesbrief, weil er „mutig, objektiv und sexy“ (dieses #Brusthaar!) für die Pressefreiheit kämpfte. Er schickte mir via Twitter ein sexy Foto von sich: „Für Pauli von taz2“. Mit Herzchen! Gut, er bezeichnete mich noch als „traurigen Spießer“ und „Lügner“, aber eigentlich sehnte er sich nach mir. Wie zwei verliebte Teenies stichelten wir uns eine Weile gegenseitig. Seit er so richtig Chef ist, ist das vorbei. Man muss loslassen können.
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Doris Akrap, @dorisakrap
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Markus Kowalski, @markuskowalski
#mequeer überwältigt mich. Plötzlich schreiben Freunde und Kollegen, wie sie homophob beleidigt werden. Wie sie Angst haben, öffentlich zu knutschen. Ich erkenne mich wieder. Schäme mich für mein Zögern, mein Erlebnis zu teilen. Soll alle Welt mein Innerstes kennen? Dann doch. Ich tippe, wie ich als Siebtklässler meinen Französischlehrer als „voll schwul“ beleidige, aus Selbsthass. Erst kürzlich entschuldige ich mich. Seitdem liest er mit seinen Schülern einen Roman über Homophobie.
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Kersten Augustin, @kerstenau
Verzweifelt haben wir nach einem Kitaplatz gesucht. Meine Freundin und ich wollten nicht selbst darüber in der taz berichten, nicht jeden Entwicklungsschritt unseres Sohnes publizistisch begleiten. Aber nachdem wir fast ein Jahr lang, vom Wochenbett bis kurz vor seinem ersten Geburtstag, mit wachsender Verzweiflung etwa 70 Kitas und Tagesmütter abgelaufen und immer noch keinen Platz gefunden hatten, äußerte sich unsere Verzweiflung zumindest in einem Tweet. Und zack: Journalisten von gleich zwei Berliner Lokalzeitungen meldeten sich bei uns, wir sollten traurig in die Kamera schauen und unsere Geschichte erzählen. Haben wir gemacht. Das Jugendamt hat dann reagiert. Heute geht unser Sohn in einen tollen Kitaladen. Vielen Dank, Twitter!
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Leonie Gubela, @leoniegubela
Als ich neu bei Twitter war, tippte ich wahllos auf Folge-Vorschläge für PolitikerInnen und Promis. Ein paar Stunden später kam eine Push-Meldung: „Peter Altmaier hat Dich erwähnt.“ Ach du Scheiße, Altmaier hat meinen Artikel über Müllvermeidung geteilt, denke ich. Jetzt will er sein Leben umkrempeln und mir dafür danken. Ich öffne die App und lese: „Glückwunsch, @leoniegubela, Sie sind meine 100.000’ste Followerin! Schön, dass Sie da sind, auf ein gutes ‚Twitteinander‘ !!!“ Altmaier wird sein Altpapier wohl weiterhin nicht in der Wurmkiste kompostieren. Wenigstens leben wir jetzt in seligem „Twitteinander“.
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Felix Zimmermann, @felixzimmermann
Nach Konzerten in der @BerlinPhil nachts noch schnell erste Reaktionen oder Kritiken auf Twitter sichten. Im September, als @BostonSymphony Mahlers 3. spielte. Fantastisch! Immer lesenswert: Rezensionen von Albrecht Selge @hundert11blog. Toll: In der Mahler-Besprechung klärt er auch über das kuriose Dirigentenpult auf, das in jeder Zaunabteilung jedes Baumarktes stehen könnte. @BostonSymphony hat es immer dabei. Weiß ich jetzt, dank Twitter.
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Ulrich Schulte, @UlrichSchulte
Ich mag diese Papierkügelchen-Momente. Früher, in der Schule, wenn in einer todlangweiligen Mathestunde jemand mit Spucke geformte Taschentuchfetzen durch die Gegend schnipste. Albern, und genau deshalb prusteten alle los. Heute liefert Twitter diese Miniurlaube im Alltag. Du denkst darüber nach, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat einer 15-Prozent-Partei werden will. Dann postet einer bei Twitter ein montiertes Plakat. Scholz guckt ernst, darüber das SPD-Logo und der Spruch: „Scholz – jetzt ist eh egal“.
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