Turn-WM: Kalifornische Weißrussinnen
Bei der Turn-Weltmeisterschaft in Glasgow starten zwei US-Amerikanerinnen für Weißrussland. Sie haben noch nie einen Fuß in das Land gesetzt.
Weißrussland? Kylie und Alaina kommen eigentlich aus den USA, genauer aus dem sonnigen Kalifornien. Sie trainieren im „All Olympic Gymnastics Center“, dem Klub von Galina Marinova und Artur Akopyan, Sprungweltmeister für die Sowjetunion 1983. Er ist in den USA ein Begriff, seit Mitglied McKayla Maroney in London 2012 Gold gewann. Doch mit dem US-Team haben die Mädchen nichts zu tun. Auf ihren Anzügen klebte in Glasgow das Wappen Weißrusslands.
Kurios: Dickson und Kwan haben weder weißrussische Verwandte noch sonst irgendwelche Verbindungen in das Land. Sie haben noch nie einen Fuß auf weißrussischen Boden gesetzt. Was sie jetzt aber haben, ist ein weißrussischer Pass. „Weißrussland hat eine große Geschichte, also berühmte Turner“, sagt Dickson.
Im Frühjahr sind die beiden angetreten, um sich für die US-Meisterschaften zu qualifizieren – ohne Erfolg. „Die Frage der Eltern war, welcher der nächste Schritt in der Karriere ihrer Töchter ist“, erklärt Trainerin Marinova. In den USA ist das Turnen ein lukratives Geschäft, Eltern zahlen Unsummen für den Traum vom großen Erfolg. Chancenlos in den Staaten, machten sich die Trainer von Kwan und Dickson auf die Suche nach „anderen Möglichkeiten“.
Kylie Dickson über weißrussinnen
Weißrussland hat eine lange Turntradition. Zuletzt blieben die Erfolge jedoch aus. Für Glasgow wurden zunächst Sviatlana Lifenka und Valeria Tsekhmistrenko gemeldet, dann aber durch Dickson und Kwan ersetzt, obschon drei Turnerinnen startberechtigt gewesen wären. „Man hat uns erklärt, dass es momentan keine WM-Turnerin gibt“, behauptet Marinova. Man wolle beim Wiederaufbau des weißrussischen Turnens helfen.
Kylie Dickson weiß, dass es in Weißrussland Turnerinnen gibt. Schlecht fühlt sie sich nicht, dass sie diese vorerst verdrängt hat, im Gegenteil: „Ich möchte ihnen zeigen, dass sie es auch schaffen können, wenn sie nur hart arbeiten und immer ihr Bestes geben.“ Wie sie darauf kommt, dass die Mädchen in Minsk, denen sie den WM-Startplatz weggenommen hat, nicht ebenso hart arbeiten wie sie, kann sie nicht sagen.
Zentrale Person in diesem Coup ist offenbar Nellie Kim, mit fünf olympischen Goldmedaillen für die Sowjetunion dekorierte Vorsitzende des Technischen Komitees des Weltverbandes Fédération Internationale de Gymnastique (FIG) und Vizepräsidentin des weißrussischen Verbandes. Marinova und Akopyan kennen Kim, die ebenfalls in den USA lebt, aus den achtziger Jahren.
Beispielloser Nationalitätenwechsel
Kim vermittelte, Lukaschenkos Regime vergab flugs die Staatsbürgerschaft, und die weißrussische Verbandspräsidentin wünschte den Mädchen beim ersten Aufeinandertreffen in Glasgow viel Glück. Nellie Kim erklärte, sie helfe persönlich gern, wenn sie könne, außerdem seien Nationalitätenwechsel keine Seltenheit. Dieser ist beispiellos.
Der mediale Shitstorm auf das „BelarusGate“ ließ in den USA nicht lange auf sich warten. Im Zentrum der Kritik steht der mangelnde Patriotismus der US-Girls.
Der US-amerikanische Verband äußert sich zu dem Fall offiziell nicht, lässt aber wissen, dass die beiden Mädchen aufgrund ihrer bisherigen Leistungen faktisch unbekannt waren. Auch die FIG hat keine Handlungsoption, international tauchten Dickson und Kwan erst auf, als Weißrussland sie vor Kurzem regulär für die WM meldete – eine Win-win-Situation für die Beteiligten: Dickson und Kwan hatten ihre WM und Weißrussland hat nun einen Startplatz bei der zweiten Olympiaqualifikation. Wer dabei im April an den Start geht, weiß angeblich noch niemand.
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