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Tunix-Treffen im taz-CaféSpuren hinterlassen

Martin Reichert
Kommentar von Martin Reichert

Ortstermin: 30 Jahre Tunix-Kongress. Die 78er auf einem Sponti-Klassentreffen im Berliner taz-Café.

Klassentreffen machen erst richtig Spaß, wenn wirklich genügend Zeit vergangen ist: Nach fünf oder zehn Jahren sieht man noch immer viel zu sehr nach sich selbst aus. 30 Jahre nach dem Tunix-Kongress war es also an der Zeit für ein Wiedersehen im Berliner taz-Café in der Rudi-Dutschke-Straße.

Auf dem Podium versammelt waren nicht wenige jener Organisatoren, die damals in den als düster und beklemmend empfundenen Tagen nach dem "Deutschen Herbst" die richtige Idee zur richtigen Zeit hatten: einen Kongress zu organisieren, bei dem sich all jene Geister versammeln konnten, die sich - RAF hin oder her - für den Aufbau einer anderen, besseren, auf jeden Fall alternativen Gesellschaft einsetzen wollten. Hardcorespontis, Stadtindianer, Landkommunenfreaks, all jene, die man heute unter dem Label 78er zusammenfasst.

Die Männerriege auf dem Podium, darunter Jony Eisenberg, Peter Hillebrand und Diethard Küster, erzählte also von einem Kongress, der sich, einmal angeschoben, wie von selbst organisierte - und das ganz ohne Internet. Wie schafft man es, das Audimax der Technischen Universität zu mieten? Man ruft jemanden an, der jemanden kennt, der Sartre kennt, der wiederum einen Brief an die Hochschulleitung schreibt. Geht doch.

Geht doch? Es war ein bisschen so, als könnten die auf dem Podium und im Publikum versammelten ProtagonistInnen selbst nicht ganz glauben, dass es sie selbst wirklich gegeben hat: Mit Staunen sah man sich zusammen einen "Monitor"-Beitrag aus dem Jahr 1978 an. Zumindest ein sichtbarer Beweis, dafür, dass Tunix auch wirklich stattgefunden hat, denn in den Geschichtsbüchern hat der Kongress bisher kaum einen Platz eingenommen. Die Erinnerungskultur ist durch die 68er bestimmt - während die 78er sich noch heute am damaligen Vorwurf, unpolitisch zu sein, abarbeiten: "Wir waren übrigens schon politisch!" Ein Trauma scheinbar, zu dessen Bewältigung die Weitergabe selbigen Vorwurfs an die nächstjüngere Generation gehört.

Die nächstfolgende Generation - "Generation Heiligendamm"? - war zwar nur sporadisch vertreten, aber durchaus interessiert. Schließlich war jene Alternativkultur, die sich im Umfeld von Tunix herauskristallisierte, stilbildend für die 80er-Jahre und darüber hinaus. Sie hat Spuren hinterlassen. Die Grünen zum Beispiel, und auch die taz.

Spuren hinterlassen: Im "Monitor"-Beitrag hatte man sich noch darüber lustig gemacht, dass die Spontis ernsthaft Atomkraft durch niedliche kleine Windräder ersetzen wollten, um die sie einen symbolischen Bi-Ba-Butzemann-Tanz veranstalteten. Heute sind die Dinger so groß, dass sie mit Blinklampen versehen sind. Der Flugzeuge wegen.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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